Irgendwo macht sich ein Kollege gerade Gedanken ums Altern und in einem anderen Blog taucht zu einem Krimi von Jonquet die Frage auf, wie es ein Autor aushalte, sich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Im Falle Jonquets, der von Almodovar verfilmt wird, geht es um eher Abartiges, Abgründiges. Spontan kam mir die Idee, dass das Altern und das Schreiben etwas gemeinsam haben könnten.
Nun arbeiten Autoren ja in der Regel einsam und auf sich selbst zurückgeworfen, sind also nicht unbedingt Herdentiere. Dementsprechend gibt es mindestens so viele Antworten auf die Frage wie Autoren. Und nicht jeder macht sich tiefe Gedanken, denn auch als Auftragsarbeit und sogar mit schnöder Routine kann man Bücher schreiben. Liegt die Antwort vielleicht in der Frage, was einen Autor motiviert, sich mit Themen auseinanderzusetzen, an die Tante Erna auch nicht geschenkt denken möchte?
Ich kann mich da nur sehr subjektiv nähern. Warum wähle ich mir welche Themen? Ganz einfach: Ich muss gebissen sein. So sagt man hier im Französischen: "je suis mordue". Das bedeutet, etwas hat mich berührt, gepackt, hält mich in seinen Fängen - und wie das Gift einer Schlange verteilt sich die Be-Geisterung in meinen Adern, die Leidenschaft (la passion). Die ich natürlich brauche, um all die Durststrecken und Abgründe des Berufs auszuhalten - um durchzuhalten.
Die Magie dieses Gepacktseins kann ich nicht erklären. Ich glaube, ein Thema sucht mich, nicht umgekehrt. Und dieses Thema muss nichts Schönes sein. Als ich die Kulturgeschichte der Rose schrieb, gab es viel Schönheit und Lust. Aber da waren auch mindestens eben so viele menschliche Abgründe - und die waren viel viel interessanter. Im Moment ist ein Sachbuchprojekt von mir unterwegs, bei dem viele meiner Bekannten den Kopf schütteln: Wie kannst du nur als Frau? Ganz einfach: Ich bin gebissen. Es wird hart, diesmal wird es ein Blick in ziemliche Extreme menschlichen Umgetriebenseins, aber es ist auch ungeheuer spannend, herausfordernd. Und auch wenn ich über meinen in der Entstehung begriffenen neuen Roman nichts sagen darf - Tante Erna gruselte sich davor, während mich ungeheure Neugier antreibt.
Wenn man dann älter wird und beim Schreiben zu sich in Distanz geht, merkt man, dass die Themen, die einem so "zufällig" zufallen, sehr viel mit dem eigenen Selbst zu tun haben. Nicht so platt, wie das manche Leser meinen, wenn sie denken, eine Ich-Figur sei nun dringend identisch mit dem Autor oder man plaudere da aus den eigenen Untiefen. Nein, die Themen haben viel zu tun mit den Fragen, die man sich selbst über die Menschen und die Welt stellt. Schreiben ist auch ein Vorgang des Begreifens, des Verstehens. Ein Autor, der einen Mörder erfindet, der seine ganze Familie abschlachtet, muss selbst keine Familienprobleme haben. Aber vielleicht interessiert er sich dafür, wie der Mikrokosmos Familie funktioniert? Am Extrem begreift man leichter das Normale. (Anders gesagt, ich habe früher Spielzeugautos zerlegt, um zu sehen, wie sie funktionieren - heute schreibe ich eben).
Sich als Leser diese Fragen über die wahren Motivationen eines Autor zu stellen, bringt wohl weniger richtige Antworten als Hauptgewinne beim Lotto. Deshalb können wir auch nur mutmaßen, wie einer solche extremen Projekte durchhält. Wir sehen es vielleicht hinterher in der Biografie - die einen feixen mit ihrer Familie über das letzte Schauerkapitel, die anderen landen im Suff oder in der Psychiatrischen, weil sie irgendwann den Rückweg in professioneller Eigendistanz nicht mehr geschafft haben. Auch das gehört zum Autorenberuf: Aushalten lernen. Sich neben der Arbeit immer wieder selbst finden. Professionelle Eigendistanz beim Arbeiten.
Und hier liegt meiner Meinung nach eine Verbindungsstelle zum Altern. Diese ewige Frage: Wer bin ich? Wer will ich sein? Wie entwerfe ich mich selbst - auch gegen die Erwartungen und Klischees von außen? Wer sind die anderen? Was treibt die Menschen um? Warum sind sie so, wie sie sind?
Für viele Autoren bedeutet Schreiben ein ständiges Sich-neu-Entwerfen. Das sich daran reibt, die Welt tiefer verstehen zu wollen. Schreiben ist Leben.
Die Beschäftigung mit menschlichen Abgründen beim Schreiben macht auf der einen Seite extrem sensibel, hellhörig und empfindlich. Man kann das im "normalen" Leben nicht mehr unbedingt abschalten. Schlüsselerlebnis in Polen... idyllisches Masuren, Einsamkeit, Natur, eine malerische Kate. Ein Bekannter neben mir juchzt, wie schön das ist, wie idyllisch. Ich schaue auch hin, sehe die Schönheit, sehe aber auch das alte, völlig gekrümmte Mütterchen, das sich die Hände im Rinnstein wäscht, weil der Brunnen so weit weg ist und es in dieser Natur keinen Wasseranschluss gibt. Ich nannte das als Journalistin "meine Berufskrankheit". Ich kann nicht mehr wegschauen. Das ist nicht immer leicht.
Aber im Journalismus gewinnt schnell die Tagesaktualität, Bilder verblassen. Als Buchautorin muss ich noch genauer hinschauen, muss überlegen, was zu diesem Bild geführt haben könnte und was daraus wird. Ich erfinde die Geschichten dahinter - und beim Sachbuch recherchiere ich sie sogar akribisch. Ich bin mit so einem Projekt auf lange Monate zusammen, innig zusammen. Und da ist das Zurück in die unbeschwerte Welt nicht immer leicht. Man ist gebissen - und das bedeutet, irgendwie ist man auch gezeichnet. Es ist dann wie in jedem Beruf, in dem man in Abgründe schaut, wie beim Kriminalkommissar, dem Chirurgen, dem Pfarrer. Der eine schafft das Abschalten, wenn er mit dem Hund durch den Wald läuft. Der andere muss schon drei Ster Holz hacken...
Irgendwann ist es dann auch wie mit dem Altern: Man leidet ab und zu am genauen Hinschauen und wünscht sich in den Zustand zuvor zurück, als es die Falten und Zipperlein noch nicht gab. Aber die Unschuld der Jugend, mit der man gewisse Dinge einfach ausblenden konnte, ist vorbei. Man kann das Rad nicht zurückdrehen. Man kann vorwärtsschauen. Und da wächst mit der Zeit das Verstehen, das Mitfühlen, die Liebe zum Hauptsujet - den Menschen. Und damit auch die innere Gelassenheit und das Gefühl eines Reichtums, der mit keinem Geld der Welt zu bezahlen ist.
Nun arbeiten Autoren ja in der Regel einsam und auf sich selbst zurückgeworfen, sind also nicht unbedingt Herdentiere. Dementsprechend gibt es mindestens so viele Antworten auf die Frage wie Autoren. Und nicht jeder macht sich tiefe Gedanken, denn auch als Auftragsarbeit und sogar mit schnöder Routine kann man Bücher schreiben. Liegt die Antwort vielleicht in der Frage, was einen Autor motiviert, sich mit Themen auseinanderzusetzen, an die Tante Erna auch nicht geschenkt denken möchte?
Ich kann mich da nur sehr subjektiv nähern. Warum wähle ich mir welche Themen? Ganz einfach: Ich muss gebissen sein. So sagt man hier im Französischen: "je suis mordue". Das bedeutet, etwas hat mich berührt, gepackt, hält mich in seinen Fängen - und wie das Gift einer Schlange verteilt sich die Be-Geisterung in meinen Adern, die Leidenschaft (la passion). Die ich natürlich brauche, um all die Durststrecken und Abgründe des Berufs auszuhalten - um durchzuhalten.
Die Magie dieses Gepacktseins kann ich nicht erklären. Ich glaube, ein Thema sucht mich, nicht umgekehrt. Und dieses Thema muss nichts Schönes sein. Als ich die Kulturgeschichte der Rose schrieb, gab es viel Schönheit und Lust. Aber da waren auch mindestens eben so viele menschliche Abgründe - und die waren viel viel interessanter. Im Moment ist ein Sachbuchprojekt von mir unterwegs, bei dem viele meiner Bekannten den Kopf schütteln: Wie kannst du nur als Frau? Ganz einfach: Ich bin gebissen. Es wird hart, diesmal wird es ein Blick in ziemliche Extreme menschlichen Umgetriebenseins, aber es ist auch ungeheuer spannend, herausfordernd. Und auch wenn ich über meinen in der Entstehung begriffenen neuen Roman nichts sagen darf - Tante Erna gruselte sich davor, während mich ungeheure Neugier antreibt.
Wenn man dann älter wird und beim Schreiben zu sich in Distanz geht, merkt man, dass die Themen, die einem so "zufällig" zufallen, sehr viel mit dem eigenen Selbst zu tun haben. Nicht so platt, wie das manche Leser meinen, wenn sie denken, eine Ich-Figur sei nun dringend identisch mit dem Autor oder man plaudere da aus den eigenen Untiefen. Nein, die Themen haben viel zu tun mit den Fragen, die man sich selbst über die Menschen und die Welt stellt. Schreiben ist auch ein Vorgang des Begreifens, des Verstehens. Ein Autor, der einen Mörder erfindet, der seine ganze Familie abschlachtet, muss selbst keine Familienprobleme haben. Aber vielleicht interessiert er sich dafür, wie der Mikrokosmos Familie funktioniert? Am Extrem begreift man leichter das Normale. (Anders gesagt, ich habe früher Spielzeugautos zerlegt, um zu sehen, wie sie funktionieren - heute schreibe ich eben).
Sich als Leser diese Fragen über die wahren Motivationen eines Autor zu stellen, bringt wohl weniger richtige Antworten als Hauptgewinne beim Lotto. Deshalb können wir auch nur mutmaßen, wie einer solche extremen Projekte durchhält. Wir sehen es vielleicht hinterher in der Biografie - die einen feixen mit ihrer Familie über das letzte Schauerkapitel, die anderen landen im Suff oder in der Psychiatrischen, weil sie irgendwann den Rückweg in professioneller Eigendistanz nicht mehr geschafft haben. Auch das gehört zum Autorenberuf: Aushalten lernen. Sich neben der Arbeit immer wieder selbst finden. Professionelle Eigendistanz beim Arbeiten.
Und hier liegt meiner Meinung nach eine Verbindungsstelle zum Altern. Diese ewige Frage: Wer bin ich? Wer will ich sein? Wie entwerfe ich mich selbst - auch gegen die Erwartungen und Klischees von außen? Wer sind die anderen? Was treibt die Menschen um? Warum sind sie so, wie sie sind?
Für viele Autoren bedeutet Schreiben ein ständiges Sich-neu-Entwerfen. Das sich daran reibt, die Welt tiefer verstehen zu wollen. Schreiben ist Leben.
Die Beschäftigung mit menschlichen Abgründen beim Schreiben macht auf der einen Seite extrem sensibel, hellhörig und empfindlich. Man kann das im "normalen" Leben nicht mehr unbedingt abschalten. Schlüsselerlebnis in Polen... idyllisches Masuren, Einsamkeit, Natur, eine malerische Kate. Ein Bekannter neben mir juchzt, wie schön das ist, wie idyllisch. Ich schaue auch hin, sehe die Schönheit, sehe aber auch das alte, völlig gekrümmte Mütterchen, das sich die Hände im Rinnstein wäscht, weil der Brunnen so weit weg ist und es in dieser Natur keinen Wasseranschluss gibt. Ich nannte das als Journalistin "meine Berufskrankheit". Ich kann nicht mehr wegschauen. Das ist nicht immer leicht.
Aber im Journalismus gewinnt schnell die Tagesaktualität, Bilder verblassen. Als Buchautorin muss ich noch genauer hinschauen, muss überlegen, was zu diesem Bild geführt haben könnte und was daraus wird. Ich erfinde die Geschichten dahinter - und beim Sachbuch recherchiere ich sie sogar akribisch. Ich bin mit so einem Projekt auf lange Monate zusammen, innig zusammen. Und da ist das Zurück in die unbeschwerte Welt nicht immer leicht. Man ist gebissen - und das bedeutet, irgendwie ist man auch gezeichnet. Es ist dann wie in jedem Beruf, in dem man in Abgründe schaut, wie beim Kriminalkommissar, dem Chirurgen, dem Pfarrer. Der eine schafft das Abschalten, wenn er mit dem Hund durch den Wald läuft. Der andere muss schon drei Ster Holz hacken...
Irgendwann ist es dann auch wie mit dem Altern: Man leidet ab und zu am genauen Hinschauen und wünscht sich in den Zustand zuvor zurück, als es die Falten und Zipperlein noch nicht gab. Aber die Unschuld der Jugend, mit der man gewisse Dinge einfach ausblenden konnte, ist vorbei. Man kann das Rad nicht zurückdrehen. Man kann vorwärtsschauen. Und da wächst mit der Zeit das Verstehen, das Mitfühlen, die Liebe zum Hauptsujet - den Menschen. Und damit auch die innere Gelassenheit und das Gefühl eines Reichtums, der mit keinem Geld der Welt zu bezahlen ist.
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