Rätsel Folge 2
Die Strähne
Es ist altbekannt, wie sehr sich Schriftsteller in ihre Figuren vertiefen. Das geht so weit, dass sie manchmal unbewusst ausgedachte Gesten annehmen oder die Lieblingssätze ihrer Figur ins Gespräch einwerfen. Schrecklicher fühlt es sich an, wenn man langsam seinem Buch immer mehr zu ähneln beginnt - und zwar von außen verursacht, unbeabsichtigt.
Ab und zu bin ich beim Friseur zu allen Schandtaten bereit. Öfter mal etwas Neues, nur nicht in Routine erstarren. Und ich habe eine Friseuse, der ich blind vertrauen kann: Ja, machen Sie mal, ich lasse mich überraschen. Beim vorletzten Mal wollte ich mich verändern - und ließ es mit mir geschehen. Ich staunte nicht übel, als ich langsam immer mehr den Frauen auf den alten Fotografien ähnelte, die ich für mein Projekt gesichtet hatte. Woher wusste sie, in welcher Zeit mein Hörprojekt spielt? Sie wusste doch nicht einmal, womit ich beschäftigt war! Als ich herauskam, war die Zeitmaschine perfekt - es hätte nur noch das entsprechende Kostüm gefehlt.
Beim letzten Mal wurde es mir dann richtig gruslig. Diesmal schlug die Friseuse eine kleine Aufmunterung vor. Ich ließ mich überraschen. Und quietschte dann doch los, quietschte einen Spitznamen, dass sich alle umdrehten. Es war der Spitzname einer der Männer, die in dieser Geschichte vorkommen. Auch er hatte diese Strähne, zeitlebens, wenn auch in Weiß. Er trug sie auf der gleichen Seite wie ich nach der Blondierungsattacke. Ich werde sie mir beim nächsten Mal wieder wegmachen lassen. Weil ich vor dem Spiegel ständig herumblödle: "Hättest du nicht wenigstens deiner Hauptfigur ähnlicher werden können? Der war doch viel schöner als der mit der Strähne!" Und blieb da nicht nach dem Haarewaschen eine leicht rötliche Spur im Handtuch zurück?
Erdbeeren fielen mir ein. Erdbeeren und ein Strand. Jener Mann mit der Strähne liebte Venedig, stieg am Lido ab, machte Urlaub im Grand Hotel Des Bains. Das Hotel war beliebt bei Schriftstellern und Künstlern, Musikern und Theaterleuten, wurde frequentiert von der damaligen Schwulenszene und von großbürgerlichen Familien mit Kindern. Dass jener Mann dort seine Urlaube verbrachte und sogar in Venedig starb, wissen allerdings nur noch Menschen, die sich mit seinem Beruf beschäftigen. Vielleicht starb er sogar wie jener alternde Künstler, den Luchino Visconti so unvergesslich im Jahr 1971 auf Film bannte? Der war zuvor nämlich beim Friseur gewesen. Und starb auf jung getrimmt am Lido von Venedig sitzend, dem jungen Geliebten im Meer nachschauend. Gustav Mahlers Musik und die blutroten, lebensprallen Erdbeeren, die er vorher noch so genüsslich verspeiste, machen seine Sterbeszene zu einer der schönsten der Filmgeschichte. Schließlich rinnt dem alternden Künstler, gespielt von Dirk Bogarde, die künstliche Haarfarbe übers Gesicht.
Jener Herr mit der Strähne, über den man sagte, er habe mit der künstlichen Farbe auf den restlichen Haaren wüst die Kopfkissen in den Hotels verschmiert, war berühmt. Aber posthum stahl ihm ein anderer Hotelgast die Schau, der im gleichen Jahr mit seiner Familie im Hotel Des Bains im Urlaub weilte. Kaum einer denkt noch an den Herrn mit der Strähne. Aber jeder weiß: Hier hat Thomas Mann am Lido seinen polnischen Knaben gesehen, von perfekter Schönheit. "Tod in Venedig" wurde zu einer seiner bewegendsten Novellen. Und hier hat Luchino Visconti seinen Film gedreht, den damaligen Schauplatz wieder aufleben lassen und unvergessen gemacht.
Heute gesucht:
Der Name des alternden Künstlers, der bei Thomas Mann ein Dichter ist und bei Luchino Visconti ein Musiker. Wir brauchen vom Vornamen den fünften Buchstaben.
Und weil es so schön ist, können wir ihm hier noch einmal beim Sterben zusehen.
Alle Rätselfolgen auf einen Blick.
Es ist altbekannt, wie sehr sich Schriftsteller in ihre Figuren vertiefen. Das geht so weit, dass sie manchmal unbewusst ausgedachte Gesten annehmen oder die Lieblingssätze ihrer Figur ins Gespräch einwerfen. Schrecklicher fühlt es sich an, wenn man langsam seinem Buch immer mehr zu ähneln beginnt - und zwar von außen verursacht, unbeabsichtigt.
Ab und zu bin ich beim Friseur zu allen Schandtaten bereit. Öfter mal etwas Neues, nur nicht in Routine erstarren. Und ich habe eine Friseuse, der ich blind vertrauen kann: Ja, machen Sie mal, ich lasse mich überraschen. Beim vorletzten Mal wollte ich mich verändern - und ließ es mit mir geschehen. Ich staunte nicht übel, als ich langsam immer mehr den Frauen auf den alten Fotografien ähnelte, die ich für mein Projekt gesichtet hatte. Woher wusste sie, in welcher Zeit mein Hörprojekt spielt? Sie wusste doch nicht einmal, womit ich beschäftigt war! Als ich herauskam, war die Zeitmaschine perfekt - es hätte nur noch das entsprechende Kostüm gefehlt.
Beim letzten Mal wurde es mir dann richtig gruslig. Diesmal schlug die Friseuse eine kleine Aufmunterung vor. Ich ließ mich überraschen. Und quietschte dann doch los, quietschte einen Spitznamen, dass sich alle umdrehten. Es war der Spitzname einer der Männer, die in dieser Geschichte vorkommen. Auch er hatte diese Strähne, zeitlebens, wenn auch in Weiß. Er trug sie auf der gleichen Seite wie ich nach der Blondierungsattacke. Ich werde sie mir beim nächsten Mal wieder wegmachen lassen. Weil ich vor dem Spiegel ständig herumblödle: "Hättest du nicht wenigstens deiner Hauptfigur ähnlicher werden können? Der war doch viel schöner als der mit der Strähne!" Und blieb da nicht nach dem Haarewaschen eine leicht rötliche Spur im Handtuch zurück?
Erdbeeren fielen mir ein. Erdbeeren und ein Strand. Jener Mann mit der Strähne liebte Venedig, stieg am Lido ab, machte Urlaub im Grand Hotel Des Bains. Das Hotel war beliebt bei Schriftstellern und Künstlern, Musikern und Theaterleuten, wurde frequentiert von der damaligen Schwulenszene und von großbürgerlichen Familien mit Kindern. Dass jener Mann dort seine Urlaube verbrachte und sogar in Venedig starb, wissen allerdings nur noch Menschen, die sich mit seinem Beruf beschäftigen. Vielleicht starb er sogar wie jener alternde Künstler, den Luchino Visconti so unvergesslich im Jahr 1971 auf Film bannte? Der war zuvor nämlich beim Friseur gewesen. Und starb auf jung getrimmt am Lido von Venedig sitzend, dem jungen Geliebten im Meer nachschauend. Gustav Mahlers Musik und die blutroten, lebensprallen Erdbeeren, die er vorher noch so genüsslich verspeiste, machen seine Sterbeszene zu einer der schönsten der Filmgeschichte. Schließlich rinnt dem alternden Künstler, gespielt von Dirk Bogarde, die künstliche Haarfarbe übers Gesicht.
Jener Herr mit der Strähne, über den man sagte, er habe mit der künstlichen Farbe auf den restlichen Haaren wüst die Kopfkissen in den Hotels verschmiert, war berühmt. Aber posthum stahl ihm ein anderer Hotelgast die Schau, der im gleichen Jahr mit seiner Familie im Hotel Des Bains im Urlaub weilte. Kaum einer denkt noch an den Herrn mit der Strähne. Aber jeder weiß: Hier hat Thomas Mann am Lido seinen polnischen Knaben gesehen, von perfekter Schönheit. "Tod in Venedig" wurde zu einer seiner bewegendsten Novellen. Und hier hat Luchino Visconti seinen Film gedreht, den damaligen Schauplatz wieder aufleben lassen und unvergessen gemacht.
Heute gesucht:
Der Name des alternden Künstlers, der bei Thomas Mann ein Dichter ist und bei Luchino Visconti ein Musiker. Wir brauchen vom Vornamen den fünften Buchstaben.
Und weil es so schön ist, können wir ihm hier noch einmal beim Sterben zusehen.
Alle Rätselfolgen auf einen Blick.
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