Nijinsky-Fieber
Ein gerade zwanzigjähriger Russe tanzte in Paris im noch recht konventionellen Ballett "Le Pavillon d'Armide" zur Musik von Tscherepnin und gewann die Herzen der Zuschauer im Sturm. Es war die Geburtsstunde der Ballets Russes und der Anfang der atemberaubenden Karriere von Vaslav Nijinsky. Der als achtes Weltwunder bestaunte "Gott des Tanzes" berührte die Menschen nicht nur von der Bühne aus. Vaslav Nijinskys Leben war eine Existenz der Extreme. Höchster Ruhm, tiefstes Leid, Hochbegabung und dann im Alter von nur 30 Jahren die Zwangseinweisung in die Psychiatrie. Er verschwand für den Rest seines Lebens nach zweifelhaften Diagnosen in teilweise dubiosen Therapien - und auch bedingt durch die Zeitgeschichte in völliger Isolation von der Kunst und Gleichgesinnten. Was der Tänzer und Choreograf, der seiner Zeit weit voraus war, wirklich geleistet hat, tritt erst in den letzten Jahren zutage.
Ich wollte heute ursprünglich erzählen, was mich an Vaslav Nijinsky so fasziniert, aber dann las ich morgens den mitreißenden Artikel seines größten Sammlers und Spezialisten, des Chefchoreografen des Hamburg Balletts, John Neumeier. Ich wollte nur dasitzen und zuhören, vielmehr hinlesen ... (und empfehle das jedem, der etwas von der Faszination spüren will, die Nijinsky noch heute ausübt).
Ich brenne erst seit Spätherbst 2008 im Nijinsky-Fieber, schreibe erst seit Jahreswechsel unter Vertrag, das ist ein Wimpernschlag, nicht mehr.
Und warum brenne ich so? Wie komme ich dazu, über Vaslav Nijinsky zu schreiben? Ich kann es nur so erklären: es fühlt sich an, als würden sich mit diesem Projekt Kreise schließen, deren Anfänge uralt sind. Das ist von Anfang an nie ein "normales" Buch gewesen. Und es ist für mich persönlich ein absoluter Traum, weil ich die Ebene des gedruckten Textes verlassen darf, weil hier Text neben Musik inszeniert wird - gesprochen von einem Schauspieler. Ich glaube, ich darf das laut sagen: Es ist auch für meine Verlegerin ein Traum. So viele Jahre hat sie Nijinsky im Kopf. Und einige Jahre ist sie bereits meine Verlegerin, blieb mir aber immer anonym. Sie hatte in Lizenz das Elsass-Buch zum Hörbuch gemacht.
Wie das Leben manchmal so spielt, liefen wir uns plötzlich ein paar Mal über den Weg. Ob ich mir vorstellen könne, über die Ballets Russes und Vaslav Nijinsky zu schreiben?
Ich erinnere mich nicht mehr genau, wie ich reagiert habe. Natürlich kam mir zuerst in den Sinn, dass ich von Ballett keine Ahnung habe. Ich gehe in die Vorstellungen wie jeder andere Laie auch - so wie ich ins Theater und in Konzerte gehe. Aber ich würde nie als Fachfrau jeden einzelnen Schritt auseinandernehmen können. Wie sollte so eine wie ich über ein Thema aus dem Ballett schreiben können? Aber hatte ich nicht in meiner Ausbildung gelernt, mich in jedes nur erdenkliche Thema einarbeiten zu können? Hatte ich nicht auch über Rosen geschrieben, ohne Gärtnerin zu sein?
Ob mich das interessiere? Mmmmh, ja, Russisches liegt mir sehr. Ich hatte als Kind kyrillische Buchstaben als Geheimschrift gelernt, ging später in einen Russischkurs und erlebe heute die Russen in Baden-Baden, warum eigentlich nicht? Ballets Russes, Moment, wann waren die noch gleich, was war da los? Als meine Verlegerin von den Künstlern, Komponisten und Schriftstellern schwärmte, die mit den Ballets Russes und Nijinsky verbandelt waren, hat es mich gepackt. Das war doch diese Zeit, in die ich schon immer mit der Zeitmaschine fliegen wollte! Meine Lieblingskünstler obendrein. Entweder hatte ich sie in Ausstellungen gesehen oder in Büchern. Und ihre Kunstdrucke hängen an meinen Wänden. Spannend. Ja, über diese Zeit der Avantgarde zu recherchieren, welch ein Vergnügen!
Es gab damals eine feste Clique, die täglich mit Nijinsky und Diaghilew in Paris speiste. Und einer von denen ging mir nicht aus dem Kopf. Er erinnerte mich an etwas. Rostand ... Rostand ... kein Name, den man in deutschen Schulen lernt. Aber genau über den habe ich mir vor über sieben Jahren den Kopf zerbrochen. Ich arbeitete damals mit den BBC an einer DVD über Francis Poulenc und zitierte einen Claude Rostand. Ich erinnere mich noch, wie ich das Zitat ständig gegenprüfte. War das nicht doch Maurice Rostand? Der verkehrte irgendwie mit Cocteau und mit Poulenc, war da nicht so eine hochspannende Clique? Der Regisseur von den BBC seufzte, ja, eine spannende Zeit. Das war damals mit den Russen. Da war Poulenc noch jung, hat auch mit den Ballets Russes gearbeitet.
Ich war fast ein wenig traurig, dass wir uns mit dem älteren Komponisten beschäftigten. Ach, einmal im Leben wieder so ein Projekt, multimedial und aus dem Vollen der Künste geschöpft! Einmal im Leben vielleicht sogar ein Projekt über meine Lieblingszeit, über all diese Leute, die ich seit meiner Schulzeit bewundere und die ich in Frankreich sehr lebendig entdecken durfte. Wassilij Kandinsky, Sonia Delaunay-Terk, Pablo Picasso, Henri Matisse ... und all die anderen, Klimt, Modigliani, Rodin, Bakst, Redon, Kokoschka, Chagall - sie alle haben Vaslav Nijinsky entweder gemalt oder persönlich gekannt. Ganz zu schweigen von Leuten wie Marcel Proust, Hugo von Hoffmannsthal, Igor Strawinsky, Isadora Duncan, Maurice Ravel und all den anderen von den Ballets Russes "gebissenen" Künstlern! Das Abenteuer konnte beginnen.
Ich habe mich also Vaslav Nijinsky über Umwege genähert. Und dann seine Tagebücher gelesen, die er angeblich im Wahn verfasst hat. Es ist eins der Bücher, die mich seit langem tief berührt haben. Hier sprach kein durchgedrehter Tänzer aus der Umnachtung, hier machte sich ein hochsensibler Künstler luzide Gedanken über die Kunst und litt daran, dass man ihm diese große Liebe seines Lebens genommen hatte. In dem Moment gab es kein Zurück mehr für mich. Ich wollte diesen Mann näher kennen lernen.
Nein, das war keine normale Recherche mehr. Nijinsky hat auch mein Leben verändert. Ich habe gelernt, wo ich mich selbst schreibend hinsehne. Ich habe dann die verrückteste Entscheidung meines Lebens getroffen (in den Augen anderer) und einen bereits fast 200 Seiten umfassenden Unterhaltungsroman zurückgezogen. Ich will nicht zur "Schreibmaschine" werden. Dass ich trotz widrigster äußerer Umstände dann noch "nebenbei" ein altes Traumprojekt bearbeitete, habe ich meinem Agenten, meiner Verlegerin - und Nijinsky zu verdanken. Jetzt oder nie - das Leben kann so kurz sein und die Zeiten für Kunst sind nie günstig. Wagen.
Ich habe natürlich noch einen Traum. Ich wünsche mir, diese Begeisterung übertragen zu können. Und ich wünsche mir, als lernende Dilettantin diesem wunderbaren Projekt gewachsen zu sein. Und jetzt trinke ich erst einmal einen Sekt auf Vaslav Nijinsky und die Ballets Russes! Ein großartiger Tag heute.
Ganz herzlichen Glückwunsch, liebe Petra!!!
AntwortenLöschenIch hoffe, der wohlverdiente Crémant hat gemundet und stoße an auf dich und den Gott des Tanzes!
Jan
Die Begeisterung kommt rüber, Petra! Ich wünsche dir alles nur erdenklich Gute mit diesem Projekt!
AntwortenLöschenHerzlichst und mit Daumen hoch
Christa
Ich bin jetzt ganz irritiert, lieber Jan. Weil ich doch immer dreimal auf Holz klopfe...
AntwortenLöschenDarf ich mir zu einem Projekt gratulieren lassen, nur weil es schon gelistet ist? Ihr glaubt ja gar nicht, was alles noch passieren kann! Vogelgrippe, Scheinegrippe, virulenter Kreativzerfall und diverse Kataströphlein, die ich gar nicht zu benennen wage!
Ich halte es bescheiden mit deinem Wunsch, liebe Christa. Denn in dem Moment, in dem es hoffentlich im Laden liegen wird, kann man allein ein neues Buch schreiben - über das verrückte "Making of"...
Aber auf die Ballets Russes habe ich natürlich schon getrunken, zumal ich gestern wieder innerlich heulend mitbekommen habe, wie unser Präsident langsam Kunst und Kultur abschafft, wo sie einmal so blühte...
Herzlichsten Dank für eure guten Wünsche - das beflügelt beim Durchhalten und an den harten Tagen,
Petra