MacGuffin oder der Backstein

Wenn man im Internet an verschiedenen Stellen herumschmökert, trifft man manchmal schreibende Menschen, die Glaubenssätze von Schreibratgeber-Gurus vor sich hertragen, ohne sie jemals kritisch hinterfragt zu haben (außerhalb des Internets begegnet mir das selten). Einer dieser Glaubenssätze, um den dann mit Gegnern wahre Glaubenskriege entbrennen können, heißt: Ein Roman braucht eine Prämisse. Ohne Prämisse kein verdammt guter Roman. (Prämisse = Romaninhalt oder Autorenideologie in einem Satz, z.B. "wer sich durchboxt, überlebt auch schlimme Nachbarn" oder "auch Prinzessinnen auf der Erbse finden Prinzen, wenn sie sexy Schuhe kaufen")

Und dann gibt es die Erfolgreichen, die einfach alles ganz anders machen und sich eins lachen. Alfred Hitchcock war so ein Prämissenverächter, ja für Drehbuchlogiker, Wahrscheinlichkeitsberechner und Psychologen hatte er nur Spott übrig. Truffaut gegenüber lüftete er sein spezielles Geheimnis des suspense: den MacGuffin.

Er erzählt dazu von zwei Reisenden in Schottland. Der eine stellt einen Karton ins Gepäcknetz. Fragt der andere neugierig, was denn das für ein Karton sei. - Ach, das sei ein MacGuffin. - Und was ist ein MacGuffin? - Ein Apparat, um in den Bergen von Adirondak Löwen zu fangen. - Diesen Bären lässt sich der andere nicht auf die Nase binden, schließlich gäbe es dort keine Löwen. - Ja dann sei das auch kein MacGuffin.
Nicht verstanden? Macht nichts, Truffaut hat auch nachgefragt.

Hitchcock wollte damit sagen, dass seine Geschichten keinen schlauen, einsichtigen Anlass wie etwa eine Prämisse brauchten. Im Gegenteil - er verwendete ein Gimmick, das er den MacGuffin nannte, um zu zeigen, dass der beste seiner Art leer, nichtig, lächerlich und unlogisch sein darf. Und genau dann hakten sich die Zuschauer daran fest, wurden neugierig, waren gespannt - nicht, wenn er irgendetwas Schlaues aussagte oder einen Inhalt hatte. Der MacGuffin als Mittel der suspense.

Seinen besten und leersten MacGuffin sah Hitchcock in seinem Erfolgsfilm "North by Northwest" (unvergessen: Cary Grant auf der Flucht im Maisfeld oder auf dem Mount Rushmore), diesem unheimlich reichen Spionagethriller, der so viel Abwechslung bietet, dass ihn manche als mehrere Filme in Erinnerung haben. Hitchcock hatte ein höllisches Vergnügen, gegen die Frage der Logiker und Prämissensucher ("Was suchen die Spione") nur Leere zu stellen, Blödsinn - im Dialog von Cary Grant mit dem CIA-Mann auf dem Flugfeld in Chicago. Was der Oberbösewicht mache? "Sagen wir Import-Export" - "Ja, aber was verkauft er denn?" - "Na, eben Regierungsgeheimnisse."

Es macht Spaß, in seinen Filmen die MacGuffins zu suchen. Die Geheimklausel in "Foreign Correspondent", das Liedchen in "The Lady Vanishes" oder den Uranium-MacGuffin in der Weinflasche in "Notorious", über den sich Hitchcock besonders amüsiert hat. Er wusste köstliche Geschichten zu erzählen, etwa wie er monatelang vom FBI wegen dieses MacGuffins überwacht wurde. Es gibt offenbar auch dort Menschen, die nach Prämissen suchen...

Da fiel mir ein anderer Platz ein, wo Leute nach Sinn suchen und einer Text schreibt und theoretisch ein Thema haben sollte. Damals im Theologiestudium lernte ich, dass es beim Predigen weder auf den Inhalt, noch den Sinn noch ein Thema ankäme, sondern zuerst einmal darauf, die Schäfchen in den Bänken mit Text und Vortrag zu fesseln. suspense in der Kirche sozusagen. Der Dozent hatte einen fabelhaften Trick. Er ließ seine Studenten wahllos irgendeinen Text vortragen und gab ihnen einen Backstein in die Hand. Mir geht jetzt erst auf: dieser Backstein war ein McGuffin!

Es funktionierte ganz einfach: Man musste zu Beginn der Predigt das Wort "Backstein" unterbringen, auf eine möglichst wichtige, ernsthafte und besondere Weise. Das Ding dabei schauspielerisch ins Interesse rücken. Also so, als sei der Backstein die Prämisse, die man ja gar nicht hatte. Alle Aufmerksamkeit auf den Backstein lenken. (Hitchcock hätte spöttisch gesagt, "unsere Freunde, die Wahrscheinlichkeitskrämer" befriedigen.) Während man dann predige, sei einem die Aufmerksamkeit der Schäfchen gewiss. Bei jedem drohenden Gähnen müsse man einfach den Backstein wieder ins Gespräch bringen. Backstein. Irgendwann reiche es, den Backstein nur kurz hochzuheben. Aber - auch das gehörte zur spannenden Predigt - am Ende sollte man irgendetwas Nettes über den Backstein sagen. Die Geschichte sozusagen auflösen. Nichts nehmen Zuhörer und Leser übler, als wenn sie keinen Sinn erkennen können. Auch wenn es gar keinen gibt.

Auch in dieser Beziehung war Hitchcock der große Könner: Er vermied es, den MacGuffin erst am Schluss aufzulösen. Denn wer das mache, verheddere sich in den berühmten ewig erklärenden und auflösenden Schlussszenen... Weil er zu all den anderen nötigen Auflösungen auch noch den zugfahrenden, ungläubigen Schotten befriedigen muss.

Ach übrigens: Hitchcock blieb natürlich immer frei und ironisch genug, sich an seine eigenen Mechanismen nicht immer zu halten. Vielleicht weil er wusste, welch organisches und lebendiges Gebilde eine Geschichte bis zum Schluss bleiben muss, um für das Leben gehalten zu werden.

Lesetipp: Francois Truffaut: Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? (Heyne)

3 Kommentare:

  1. Jetzt haste mich endgültig neugierig gemacht auf Deinen Lesetip... danke!

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  2. ... mich auch. Auf der Liste der zu kaufenden Bücher steht er ja ohnehin schon ... aber ich schreibe weiter mit Prämisse, gell. :-) Das funktioniert nämlich auch. Sehr gut sogar.

    Liebe Grüße
    Inge

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  3. Liebe Inge, ich will keinen missionieren, solange er mich nicht missioniert. ;-) Ich bin die, die Religionsverkäufern an der Haustür klarmacht, dass nur das Kauen auf dem kosmisch-gigantischen Büffelhautknochen direkt ins Paradies führt, was man an Rocco, dem Auserwählten, sehen kann. Rocco sagt auch: Jedem seinen eigenen Knochen.
    Merkt man mir an, dass ich Hunger habe?

    Mit sonnigen Grüßen, an den Grill zurückhüpfend, Petra

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