Währungsreform?

"Ich finde das nicht gut, dass man für alles Mögliche, was man lesen will, auch noch zahlen soll. Wenn Ihr von Euren Texten nicht mehr leben könnt, weil sich die Zeiten ändern, müsst Ihr es eben anders machen." Originalausspruch eines jungen Menschen, der es gewohnt ist, im Internet seine Musik kostenlos herunterzuladen und e-books zu tauschen.

Ich denke genauso: Etwas muss grundlegend anders werden! Es geht nicht an, dass kreativ Schaffende bei der derzeit sich verbreitenden gesellschaftlichen und politischen Entwertung von Kultur und der Entwertung geistiger Arbeitsleistungen in der Opferhaltung verharren. Aber was tun, wenn man "nur" Texte produziert?

Nun könnte man in meinem Fall sagen, ich sei selbst schuld, mich als hauptberufliche Buchautorin über Wasser halten zu wollen. Dumm nur, dass ich nichts anderes gelernt habe als Schreiben. Das aber mit allen Fertigkeiten, die dazu gehören, bis hin zum Layout und Fotografieren. Denn im "Brotberuf" bin ich Journalistin, eine echte, zur Redakteurin ausgebildete - das muss man heutzutage ja schon dazusagen. Was ganz besonders schlimm ist: Mir machen beide Berufe verdammt viel Spaß. Ich liebe sie. Und deshalb mache ich mir ständig Gedanken, wie man damit in einer Welt überlebt, in der Texte immer weniger bis nichts wert sind.

Die Situation klingt pervers. Nie wurde in der westlichen Welt von so vielen Menschen so viel gelesen und geschrieben wie heute. Vor geschichtlich noch nicht langer Zeit waren Lesen und Schreiben einer machtausübenden Elite vorbehalten und Analphabetismus im Volk die Norm. Noch im 19. Jhdt. bezichtigte man Frauen der Geisteskrankheit, Sucht und Hirnerweichung, wenn sie ernsthafte Bücher lasen, die über das ihnen zugestandene Niveau seichter Unterhaltung hinausgingen. Wer lesen und schreiben konnte, war verdächtig und unbequem, weil gebildet, weil dadurch informiert, weil kritisch. Wenn einer texten konnte, stand ihm die Welt offen. Schriftsteller mischten sich in die Politik ein, Journalisten entlarvten menschenfeindliche Systeme.

Und dann kam etwas, was sich anfühlte wie eine Währungskrise. Entgegen der aktuellen Lamentiererei, wo man die Ursache im Internet festmachen will, kam der Umbruch lange vorher: durch den blinden Konsumismus einer Überflussgesellschaft, die in bisher ungeahnter Weise Werbung zum Kunst- und Kulturausdruck aufwertete. Bereits Anfang der Neunziger sagte mir zynisch ein Fernsehproduzent: "Vergiss in Zukunft die Inhalte. Vergiss in etablierten Medien die Qualität. Privatfernsehen ist Werbung. Alles andere ist nur Vorwand, füllt die Pausen so, dass noch geeigneteres Zielpublikum bei der Werbung noch seltener abschaltet. Und die öffentlich rechtlichen Sender werden eines Tages Unterprivilegiertenfütterung werden. Da wird man daran arbeiten, Rentner, Sozialhilfeempfänger und Frauen (!) still zu halten, ein wenig zu verblöden - heile Welt mit Pseudobildungsanspruch."

Auch Radio und Printmedien jonglierten mit dem Geldfaktor Werbung. Zeitungen und Zeitschriften betrieben Monokultur mit Anzeigenkunden. Das führte dazu, dass zuerst nur der ein oder andere Artikel entschärft oder gekippt wurde, um potente Anzeigenkunden nicht zu vergraulen. Und als diese zunehmend abwanderten, weil sie die Macht hatten und woanders bessere Konditionen fanden, hagelte es Massenentlassungen. Irgendwann sparte man an erfahrenen, weil teureren Journalisten; irgendwann bediente man sich noch häufiger an Freien, weil die aus Not weniger aufmuckten. Wer es rechtzeitig schaffte, sprang ab, wurde Weinhändler oder Werbetexter. Irgendwann stand auch ich mit eigenem PR-Büro da und kratzte mich am Kopf, warum ich dort mit dem gleichen popeligen Dreißigzeiler das Fünffache dessen verdiente, was ich als Journalistin bekommen hätte.

Die Medienkrise war nicht das Ergebnis angeblich dummer Kunden, sondern wurde von Machern geschaffen, die ihre Kunden für dumm hielten und weiter verblöden wollten. Und Kunden sind dann richtig verblödet, wenn sie kaufen kaufen kaufen, egal was, auch den letzten Schund. Fatal war, dass die Kunden das auch taten. Keiner widersprach, keiner muckte auf. Und wenn sie nicht gestorben sind, kaufen sie noch heute. Haben also die recht, die sie für blöde halten?

Jedenfalls hatte ich es irgendwann satt, wie man mit den schreibenden Profis umging: "Sie wollen mehr als 20 Cent für die Zeile? Gute Frau, da draußen stehen Hunderte, die es für acht machen!" - "20 Euro für ein Aufmacherfoto finden Sie zu wenig? Sie haben doch eine Digitalkamera, kostet sie doch keinen Cent und die Kamera macht die Fotos von selbst, das kann sogar meine Oma!" - "Klasse Artikel, da steckt noch richtig Arbeit drin. Unterschreiben Sie bitte unseren Buy-out-Vertrag."

So ist damals dieser Blog entstanden. Als Protest gegen Buy-out zu Billigsthonoraren. Ich sagte mir: Wenn ich mit Text ohnehin zu wenig verdiene und der Auftraggeber diesen für seine eigene Tasche noch zigfach verkaufen und verwerten kann - dann kann ich ihn gleich ans Volk verschenken. Und habe noch obendrein den Vorteil, dass mir keiner Vorschriften macht. Es hat schon befreiende Wirkung, sich dem maroden System zu entziehen - leider bringt es zum Leben nichts ein.

Viele Journalistenkollegen sind damals diesen Weg gegangen und bauten die Blogkultur auf - als Gegenentwurf, als Experimentierfeld. Oder einfach um den Frust loszuwerden, den man bei den Berufsverhältnissen sammelte. Und dann ist das ganze explodiert. Irgendwann war auch das Internet nicht mehr Minderheitensache. Wer sich keinen Computer leisten kann, vernetzt sich im Internet-Café oder in vielen Ländern in Bibliotheken kostenlos. Jetzt schreiben auch die, die zuvor das Schreiben und Lesen nicht gewagt haben, wegen all ihrer Schwächen. Im Internet fällt es nicht auf. Vielleicht fällt es aber auch einfach überhaupt nicht mehr auf, weil Bildung entwertet wird? Weil sie, wie man in Deutschland zuweilen den Eindruck bekommt, vielleicht sogar absolut nicht hip ist?

Was unsere Generation in hektographierten Fanzines oder heimlich im Tagebuch wagte, ist demokratisiert worden: die Nachahmung. Auch wir lernten so die ersten Schritte im Handwerk. Heute übt man öffentlich im Internet. Spielt den Journalisten, den Autor, den Kritiker. Ein faszinierendes Spiel, bei dem man im besten Fall eine Menge lernen kann, im schlimmsten Fall sich selbst und die Realitäten grenzenlos überschätzt. Früher hat man vor den Amateuren keine Angst gehabt. Man hat sie gefördert. Alte Hasen und Profis haben sie unter ihre Fittiche genommen. Und heute?

Die alten Hasen haben Angst. Verleger und Medienchefs greinen, weil ihnen die Felle davonschwimmen. Die Industrie platziert Werbung gewinnbringender bei YouTube als im Feuilleton der FAZ. Zu dumm, dass man sich einst den Werbeleuten so heftig an die Brust geworfen hat und saftig am Konsumismus verdienen wollte, ohne passendere, kulturtauglichere Konzepte zu erproben. Zu dumm, dass man die eigenen Leute, die Qualität noch beherrschten, so mies behandelt hat über die Jahre. Die haben ihr Know-how längst ins Internet getragen und in Firmen, die ahnten, wie sich die Welt verändern wird.

Die Profis haben auch Angst. Der Niedergang der Qualitätsmedien, die weiter das Klischee vom verblödeten Leser / Hörer / Zuschauer predigen, geht einher mit einer Hebung im Niveau von Amateuren. Nicht von allen, das Internet ist auch eine unermesslich große Müllhalde! Aber in einer großen Masse gibt es immer auch Menschen, die heftig dazulernen. Das Internet ist interaktiv, kommunikativ - Diskurs über die eigene Arbeit ebenso möglich wie aktives Lernen an Bildungsquellen, die mehr bieten als Wikipedia.

Die Kluft zwischen denen, die Zugang zu Information, Wissen und Bildung haben - und denen, die sich aktiv verweigern oder schuldlos abgeschnitten sind, wird in den nächsten Jahren extrem wachsen. Die Welt spaltet sich jetzt schon in Menschen mit und ohne Internetzugang. Unzensiertes Wissen, Information und Bildung entscheiden nach wie vor über Macht und Einfluss - da hat sich seit der Prähistorie auch durch das Internet nichts geändert. Aber der Abgrund verschiebt sich. Er verläuft nicht mehr entlang der alten Machtlinie zwischen Amateuren und Profis. Die neue Machtlinie, so darf man mutmaßen, wird sehr viel mit sozialen Verhältnissen zu tun haben, mit Armut und Reichtum, aber auch mit politischer Freiheit und Vielfalt.

Was nutzt uns Textarbeitern das, um unsere Arbeit aufzuwerten, um davon ordentlich leben zu können? Zunächst nicht viel. Instantlösungen habe ich nicht einmal für mich selbst. Langfristig hilft Erkenntnisgewinn. Etwa die Erkenntnis, dass uns wieder einmal ein Pseudokrieg eingeredet wird. Der Pseudokrieg zwischen Amateuren und Profis, an dem sich jetzt schon diverse Branchenbeteiligte bereichern. Der echte Preis- und Entwertungskrieg findet dagegen dort statt, wo man beide auspresst - die Amateure und die Profis. Auch da hat sich seit der Antike nicht viel verändert: Lenke die Unbequemen mit Nebenschauplätzen ab und du hast freie Hand dort, wo es wirklich um die Wurst geht.

Buy-out-Klauseln gibt es inzwischen auch für Buchautoren. Da tritt man lustig locker elektronische Rechte aller Art ab, selbst die, die noch gar nicht erfunden sind. Immer mehr Verlage mischen im Internetgeschäft mit und ahmen dabei Amateurideen nach. Alles natürlich zum Besten der Autoren, die dafür nie Geld sehen. Da werden ganze Bücher kostenlos feilgeboten, andere werden für Plattformen eingescannt, Amateurrezensenten bereichern die Werbeindustrie und die Händler sowieso, Profis werden verschenkt, feilgeboten wie Sauerbier. Wer nicht mitmachen will, bekommt gesagt: "Wir müssen auf den Zug des Verschenkens aufspringen, bevor es zu spät ist!" Gewunken wird mit einer verschwindenden Promillzahl von Promis und Berühmtheiten: Wenn ihr brav seid, könnt ihr auch da landen. Deutschland sucht immer einen Superstar.

Und pervers sind wir doch schon alle. Im Partnerprogramm von Onlinebuchhändlern bekommt ein Schriftsteller pro verkauftem Buch mehr als durch seine Verlagstantiemen! Der Zug ist längst abgefahren - für die am Ende der Nahrungskette, die Autoren, die Schöpfer der Ware.

Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Heute werden nicht mehr nur die Kunden für doof gehalten. Sondern die kreativ Schaffenden auch. Und wie damals, als die ersten Privatsender aufkamen, gibt es auch heute nur eine Möglichkeit, Qualität und Auskommen zu erhalten: Im rechten Moment NEIN zu sagen. Denn bei einer wachsenden Demokratisierung von Informationen und Wissen wächst da draußen auch die Zahl derer, die nicht verblödet. Die Zahl derer, die Durst haben nach mehr Qualität, die es über haben, für dumm verkauft zu werden. Lassen wir diese Leute nicht im Regen stehen!

Neu ist das trotzdem alles nicht. Man konnte schon immer Journalist werden durch geregelte Ausbildung oder durch Do-it-Yourself. Neu ist die Entwertung der Arbeitsleistung durch Auftragsgeber, aber auch durch Kunden. Diese riesige Masse, die glaubt "ich kann das ja auch" oder "das ist doch ein schönes Hobby und keine Arbeit" - diese Masse glaubt, alles abgreifen zu können, geschenkt, umsonst. (Stellt euch vor, ihr müsstet ab morgen alles selbst herstellen...)

Wie wir von einer Kultur wegkommen, die wir mit Werbung und Konsum selbst geschaffen haben, einer Kultur von Billigheimern, von "für umme" und "ich bin doch nicht blöd" - das wird die größte Herausforderung der nächsten Jahre werden. Vielleicht schaffen wir es, Kultur und Kunst wieder aufzuwerten als überlebenswichtigen Ausdruck ganzer Nationen. Wir haben unsere Zukunft in der Hand.

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