Estragon: Wait.
Vladimir: Yes, but while waiting.
Estragon: What about hanging ourselves?
Vladimir: Hmm. It'd give us an erection.
Estragon: (highly excited). An erection!
Vladimir: With all that follows. Where it falls mandrakes grow. That's why they shriek when you pull them up. Did you not know that?
Estragon: Let's hang ourselves immediately!
Weil wir gerade drei sind, die warten und nicht wissen, ob sie sich vor Ungeduld die Zehennägel anknabbern sollen, finde ich: Wir können das mit ein wenig Godot-Feeling auf die Spitze treiben. Schließlich hat Beckett in seinem Leben auch jede Menge gewartet, auf die Aufführung des Stücks "Warten auf Godot" sogar fünf Jahre lang. Sind wir nicht alle ein wenig Estragon?
Warten gehört zum täglichen Brot eines Autors, wenn man nicht zufällig mit einem Hausverlag gesegnet ist, der nur mit Peitsche und Daumenschrauben zu wedeln braucht, damit der kreative Hausautor sein nächstes Projekt in drei Sätzen aufs Papier schmeißt. Der écrivain commun, der gemeine Autor, gehört dagegen zu einer Spezies, die sich unter schlimmsten Geburtswehen und Kritikerblicken ein Exposé nebst Probetexten aus dem Hirn winden muss, um sich mit jedem Projekt immer wieder von Neuem zu bewerben. Und weil die Branche zunehmend gewinnmaximierend und risikominimierend denkt, könnte der écrivain galant, der branchenfreundliche Schriftsteller, eigentlich gleich ein ganzes Manuskipt liefern, in unbezahlter Vorarbeit erstellt.
Egal wie - in der Wartephase sind zumindest die KollegInnen, die ich kenne, nicht mehr ganz zurechnungsfähig - mich eingeschlossen. Andere haben gut lachen, aber man stelle sich vor, ein Finanzbeamter oder eine Lehrerin müssten sich alle halbe Jahre neu bei ihrem Arbeitgeber bewerben! Oder ein Unternehmer müsste jährlich von Null an bei allen Behörden und Kunden beweisen, dass er seiner Firmenidee überhaupt mächtig ist! Während die unbezahlten Rechnungen im Hintergrund auflaufen, rechnet man sich die Überlebenschancen fürs nächste Jahr aus, tüftelt an abartigen Rettungs-Szenarios herum, falls es schief geht. Denn jede Verlagsbewerbung ist ein Spiel im Kolosseum: Wird wenigstens ein Daumen nach oben zeigen? Es ist schlimmer als Brot und Spiele! Wenn kein Verlag anbeißt, wenn alle Daumen nach unten zeigen, dann beißt einem auch kein Löwe erlösend den Kopf ab. Man muss mit der Schmach leben und kann nicht schnell mal umschulen.
Wartende Schriftsteller entwickeln seltsame Verhaltensweisen. In Gesellschaft erscheinen sie extrem still oder quasseln unkontrolliert selbst an Orten herum, wo man ihr Mundwerk am liebsten totschlagen würde. Im Zeitalter des Internet werden Mails minütlich abgerufen. Was, wenn jetzt die Zusage kommt, während ich auf dem Klo sitze? Lieber gleich schauen, wer wieder eine Absage in einer Weise formuliert hat, dass man sich aufhängen möchte. Man unterbricht Telefonate mit Freunden: "Ich muss mal schnell schauen, ob mein Agent gemailt hat." Keine Absage. Seit Tagen keine Absage. Das Hirn des Schriftstellers läuft Amok und malt sich all die schrecklichen Dinge aus, die das bedeuten könnte. Im Ernstfall hat noch keiner gelesen. Im Ernstfall hat der Lektor Urlaub, ist die Lektorin in die Schwangerschaftspause verschwunden. Aber nein. Man denkt: Die mögen mich nicht! Keiner mag mich!
Manche werden dick beim Warten, manche besoffen. Die meisten greifen zur einzigen Droge, die in solchen Fällen hilft: Weiterschreiben. Einfach so tun, als wolle da draußen irgendwer all diesen Schmus lesen, als würde man es irgendwann doch schaffen. Und schließlich geht nachher, wenn es denn tatsächlich zur Unterschrift kommen sollte, alles ganz schnell. Verlage warten nämlich nicht. Die wollen dann alles am liebsten vorgestern. Wer sich bewirbt, ist selbst schuld, der darf seine Zeit nicht mit anderen Arbeiten vergeuden. Und deshalb hilft gegen das Warten das schnelle Scheiben und der Glaube daran, dass nachher alles ganz schnell gehen kann.
Wir glauben fest an Godot. Wir ziehen die Schuhe aus und laufen barfuß zum leeren Kühlschrank und träumen vom Tag der Erlösung, wenn unser Leben wieder einmal für ein paar Monate ein Ziel haben wird, an das noch ein paar mehr Menschen glauben als man selbst. Wir vergessen, dass wir mit dem künftigen Honorar auch die Wartezeit finanzieren müssen und kaufen teure fette Pralinen. Irgendwann, liebe wartende KollegInnen, wird Godot kommen, denn zu Beckett kam er schließlich auch. Und bis dahin, würde ich vorschlagen, hängen wir uns auf!
Lesetipp: Samuel Beckett, Waiting for Godot
Hinreißend, Frau van Cronenburg!
AntwortenLöschenDanke sehr für dieses köstliche Pralinchen :)
Jan
Danke! Du darfst mich auch gern weiterhin duzen, Monsieur. ;-)
AntwortenLöschenGrüßle von einer, die über acht fast druckreifen Seiten Romantext das Pralinenkaufen und Warten vergessen hat...
In der Tat, ganz köstlich. :-)) Danke für die kurzweilige Ablenkung von der Warterei!
AntwortenLöschenGruß,
Manuel
Oh, dann sind wir schon mehr als drei! Machen wir einen Wettbewerb unter den Verlagen: Deutschlands Superzauderstar?
AntwortenLöschenSchön, dich mal wieder zu lesen, Manuel!
Grüßle,
Petra