Der Badewanneneffekt

Ein Mann namens Pender fährt im Zug und ärgert sich über einen schlechten Krimi. Kein Wunder, dass er sich von einem Mitreisenden ablenken lässt, den Krimis anöden. Es entspinnt sich ein Gespräch über schlecht gemachte Kriminalromane - und über den perfekten Mord. Mr Pender ist natürlich ganz der Skeptiker seiner Zeit und steigt irgendwann unbeeindruckt aus. Das wäre es, wenn die Kurzgeschichte "Der Mann, der Bescheid wusste" nicht von Dorothy L. Sayers stammen würde. Meiner Meinung nach einer der besten Lehrstoffe für Suspense.

Sie ist deshalb so unvergesslich, weil Sayers nicht mit Gift und Gewalt arbeitet, sondern mit einem Phänomen des menschlichen Bewusstseins, das Kreativität ebenso hervorbringt wie irrsinnige Verschwörungstheorien. Und den perfekten Mord natürlich auch. Nur so viel darf verraten werden: Der findet in der Badewanne statt, immer in der Badewanne. Achten Sie einmal darauf, wie viele Menschen angeblich auf natürlich Weise in der Badewanne sterben!

Bewusstseinsforscher nennen das, was dem armen Mr Pender zustößt, einen "Flow" mit verschärftem Fokussieren (s. Badewanne). Und der hat mich jetzt ebenfalls mordsmäßig erwischt. Nachdem sich der Roman gestern beim Frühstück wie von selbst schrieb, habe ich mich mit einer Ausstellung zum Thema meines neuen Sachbuchprojekts belohnt. So wie "Das Buch der Rose" eine der ganz großen menschlichen Leidenschaften über 5000 Jahre begleitet, wird es auch im nächsten Projekt um eine große Leidenschaft gehen. Diesmal stehen zwar das 18. bis 21. Jahrhundert im Mittelpunkt, aber vor der großen "Lücke" geht es bis ins Paläolithikum zurück, erstaunlicherweise auf vielen Straßen, denen ich schon in meiner Kulturgeschichte der Rose gefolgt bin.

Natürlich kann ich dann nicht mehr unvoreingenommen durch Ausstellungen laufen. Ähnlich wie Mr Pender bin ich hellhörig für meine Themen. Meine Ausbeute an Stichworten und Namen für weitere Recherchen war nicht übel. Und wie Mr Pender einfach nur ein entspannendes Bad nehmen wollte, gab ich ein paar Stichworte im Computer ein ... nur mal so abschätzen, was an Arbeit auf mich zukommt, wie zugänglich die Quellen sind.

Plötzlich eine neue Ausgrabung mit einem archäologischen Experiment, die das Museum noch nicht hatte. Grabungsstolz bei der Autorin, weitere Recherchen. Zwei, drei Assoziationen von der Ausstellung verknüpfen sich mit dem Gelesenen, weitere Ideen führen zu weiteren Quellen. Abends zappe ich zufällig etwas durchs Fernsehen und stoße auf eine ältere Wiederholung. Es geht um den Fund, und das Experiment, das ich recherchieren wollte.

Heute stehe ich schon unter Strom, es zeichnen sich langsam Linien im Thema ab. Die Recherche nähert sich den wirklich guten Texten und Tiefen. Das erkennt man immer daran, dass man Gugel längst verlassen hat und auf irgendwelchen Universitäts- oder Regierungsservern um Geld für das Einlesen der Fachzeitschriften gebeten wird. Endlich habe ich einen Fachmann, die Ausbeute ist riesig, ein anderer Fachmann wird empfohlen. Mein detektivischer Spürsinn läuft heiß. Ich verfolge seine Spuren. Noch kann ich nicht genau sagen, ob er in Syrien oder Arabien, den USA oder England weilt.

Ich fange an zu träumen: Hach, diesen Menschen interviewen zu können, das wäre irre. Dann habe ich ihn. Bei der Royal Society. Anderthalb Stunden wilde Recherche um den Globus und ein Kilo Ausdrucke später habe ich nicht nur fast den ersten Teil meines Buches an Material zusammen, sondern auch diesen Menschen gefunden. Und wie sollte es anders sein - es ist wie mit der Badewanne. Der Fachmann arbeitet beim CNRS in Strasbourg. Vierzig Minuten von meiner Haustür entfernt. Ausfahrt Cronenbourg...

5 Kommentare:

  1. hi pvc, in echt? das ist ja der totale recherchekrimi! wo nimmst du denn die nerven her, den bis zu ende durchzustehen? jedenfalls wünsch ich dir strömung bewegung duktus leidenschaftlich**

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  2. Danke für die guten Wünsche, kari! Ich gestehe, Recherche ist eine perverse Leidenschaft von mir - je schwieriger die Quellenlage, je verstockter die Interviewpartner, desto mehr will ich's wissen. Deshalb bin ich wahrscheinlich Journalistin geworden, da kann ich mich immer ausreden, es sei eine Berufskrankheit. ;-)
    Schöne Grüße,
    Petra

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  3. Lustig, die Beiträge noch einmal zu lesen. Dieses Projekt ist in der Zwischenzeit jämmerlich verreckt, an Verlagen, die meinen, eine Frau könne nicht glaubhaft über solche Themen schreiben. Worum es ging? Um Erdölgeschichte...
    R.I.P.

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  4. Liebe Petra,
    leider kann man nicht das Datum der Kommentare sehen - nur die Uhrzeit.
    Aber ich vermute, Sie haben den letzten Kommentar erst heute geschrieben?!
    Ich werde mir das Buch besorgen - ich bin gespannt. Ich berichte dann, ob ich meine Badewanne zum Blumenkübel umfunktioniere. ;)

    Gruß Heinrich

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  5. Nachtrag: Das wundersam magische Buch ist dann doch nie entstanden ... es wurde von der Realität überholt. Was beweist: Der Badewanneneffekt kann einen auch ganz schön ablenken!

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