Unfehlbar

Nein, hier geht es nicht um Religion! Sondern um den guten alten Wort-Schatz.
Die Religion nämlich hat die Wortbedeutung verengt, indem sie sich das Lehnwort entlehnte. Als Fachwort in Fachsprech - so wie etwa Mediziner für Laien unverständliches Kauderwelsch sprechen, weil es die Sache besser und eindeutiger definiert und weil Laien nicht alles verstehen müssen. Katholisch verengt und knapp auf einen Satz geschrumpelt, bedeutet jenes Fachwort "unfehlbar", dass der Papst in seinen Worten genau dann - und nur dann - unfehlbar spricht, wenn er "ex cathedra" (in höchster Lehrgewalt) einen Glaubenssatz verkündet. Formal muss das u.a. mit einer festgelegten Formel deutlich gemacht werden. Das hat Papst Pius IX. 1870 festgelegt. Seither ist alles andere, was der Papst spricht, weiterhin fehlbar. So viel zum Fachsprech, mit allen Mängeln einer Verknappung dargestellt.

Uns interessiert das Wort, das sich laut Kluge etwa im 17. Jahrhundert als Lehnwort aus dem Lateinischen "infallibilis" in der deutschen Sprache breit gemacht haben soll. Da gibt es allerdings schon seit locker drei Jahrhunderten den Fehl, dem irgendwann der Fehler im Sinne von Fehlschluss den Rang abgelaufen hat. Ganz so auf die leichte Schulter hatte man den Fehl aber nicht zu nehmen, denn das lateinische falla, von dem Fehl und fallibilis stammen, bedeutet Betrug.

Einer der einen Fehl produzierte, beging also einen Betrug. Einer, der unfehlbar war, konnte vielleicht ein Lügner oder Heuchler sein, aber er beging keinen Betrug. Die Gebrüder Grimm beschrieben dann Variationen wie unfehlend, das zeigte, wie sich das Wort allgemein auf Dinge zu beziehen begann, die eine Gemeinschaft für falsch erachtete, als Fehler ansah. Da gab es den Fehltritt, die Fehlanzeige, die Fehlgeburt. Ob es um einen zufälligen Fehler oder einen moralischen Fehl handelte, entschied ganz allein die Gemeinschaft, in der sich das fehlbare Schäfchen verirrt - also den Weg verfehlt hatte.

Unfehlbar konnte später vieles sein. Es gab einen unfehlbaren Eheverspruch, unfehlbare Genesungsmittel, ohnfehlbare Folgen. Man hat mit unfehlbaren Prozessen versucht, den Stein der Weisen zu finden, und der Naturforscher und Arzt Valentini wurde im frühen 18. Jahrhundert mit zwei Büchern berühmt: der unfehlbaren Praxis der Medizin und der unfehlbaren Praxis der Chirurgie. Die Götter in Weiß hatten das Wort für ihren Fachsprech adoptiert.

Man versprach auch unfehlbare Quellen für Reichtümer. Menschen hatten ein unfehlbares Gefühl im kleinen Finger. Detektive ein unfehlbares Gespür, das nicht trog, also wie in der Urbedeutung keinen Betrug beging. Mancher hielt sich für einen unfehlbaren Schützen. Und wenn sich ein Fürst unfehlbar nannte, so bedeutete es lediglich: Es fehlte ihm nicht an Vertrauen seiner Untertanen. Grimms Sagen zeigen, dass die Unfehlbarkeit auch fester Bestandteil des christlichen Aberglaubens alter Zeiten geworden war: Man dachte, wenn man einem Christusbild in die Brust schieße, könne man das Gewehr unfehlbar, also treffsicher machen.

Je stärker das Wort von Hochstehenden und Mächtigen okkupiert wurde, desto häufiger wurde es zum Gegenstand von Spott. Hoffmann von Fallersleben dichtete:

wer je sich für unfehlbar hält,

der ist der gröszte narr der welt.

und Schiller schrieb:

eine vierzigjährige amtsführung hatte in ihm einen unfehlbaren physiognomen aller landstreicher erzogen.


Ein gewisser Guarinonius erkannte, dass Unfehlbarkeit, wenn sie nur Teile betrifft, die Fälschung auch nicht besser macht:

als wahr und unfehlbar ein reines gold mit eim falschen edelgestein ein falsches und nichtiges cleinot ist.

Ja sogar zum Kraftwort ist das unfehlbar irgendwann verkommen. Wir würden heute mit "verdammt (noch mal)" übersetzen: "So hänge ich mich unfehlbar auf!" (Stranitzky) oder "der schwülstigste dichter ist daher unfehlbar auch der pöbelhafteste" (Lessing).

Die Gebrüder Grimm sammelten auch allerlei herrliche Zusammensetzungen des Substantivs:
Da gab es den Unfehlbarkeitsdünkel und die Unfehlbarkeitssimpelei, manche waren einfach nur unfehlbarkeitsselig, andere litten gar an einer Unfehlbarkeitssucht oder einem Unfehlbarkeitswahn.

Wer noch mehr Geschichten und Geschichte um das Wort erfahren will, dem empfehle ich:

Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, de Gruyter
Wortschatz-Lexikon der Uni Leipzig
Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm

Aus letzterem stammen die Zitate und ich empfehle es besonders herzlich, weil man sich unfehlbar darin festlesen kann!

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