Schwarze Kunst

Habe ich schon erzählt, dass ich Schriften-Fetischistin bin? Ich lasse mir gut ausgesuchte Schriften auf der Zunge zergehen wie feinste Pralinen. Auf der anderen Seite empfinde ich fast körperliche Abscheu vor dem Schriftenmischmasch, den manche Leute auf eine einzige Bildschirmseite klatschen.

Und immer dankbar bin ich Verlegern, die im Impressum aufführen, welche Schrift sie benutzt haben - so oft fällt mir eine wunderbare ins Auge - und das ist leider nicht geschult genug, sie immer zu erkennen. Nun also sucht das Nijinsky-Projekt seine Schrift - und die hat nicht einfach nur auszusehen!

Buchschriften müssen zum Lesen einladen und den Weg von der Texterfassung durchs Auge bis zum Verstehen durchs Hirn möglichst erleichtern. Sobald sich eine Schrift durch ihr Design aufdrängt, ist dieser Prozess unterbrochen. Gut lesbar ist, was wir nicht mehr bewusst wahrnehmen. Außerdem gibt es ein paar Regeln für Lesbarkeit, die man z.B. im Fließtext durch Serifenschriften erhöht. Serifen sind diese kleinen Schwänzchen an den Enden eines "s" oder "h". Für Titel und Überschriften kann man dagegen eine serifenlose Schrift kombinieren - das wirkt klarer und ist durch die Größe gut lesbar (Ansicht typischer Buchschriften).

Auch wenn die Schrift nachher nicht vordergründig wahrgenommen werden soll, hat sie doch auch eine psychologische Wirkung. Es kann sich durchaus anbieten, für einen Bildband über Autos eine Schrift zu wählen, die sämtliche Autohersteller in ihrer Werbung benutzen. Auf der anderen Seite wirkt eine Type, die man nur in medizinischer Fachliteratur sieht, nicht unbedingt erwärmend im Vampirroman. Dann gibt es Schriften, die schlicht totgenudelt wurden. Erinnert sich noch jemand an "Comic Sans"? Heute ist es der schlimmste Lapsus, diese Schrift für Geschäftspapiere oder Broschüren zu verwenden. Es ist deshalb nicht übel, sich bei der Herstellung mit der Geschichte einer Schrift zu beschäftigen, wie etwa hier für die ITC Souvenir. Danach kann man die unterschiedlichen Schriftschnitte auf sich wirken lassen.

Wie man unschwer sieht, ist diese Schrift käuflich zu erwerben. Warum soll ich eine Schrift kaufen, wenn das Web voll ist von kostenlosen Downloads und Schriften-CD-ROMs so gut wie nichts kosten? Das ist ganz einfach: Auch Designer haben Urheberrechte. Nichts gegen die kostenlosen legalen Versionen und Billigschriften - für die eigene Website, die Hochzeitszeitung oder Weihnachtsgrüße reicht das völlig aus. Aber ein Buch ist eine kommerzielle Ware - darum müssen auch die Rechte für kommerzielle Benutzung gegebenenfalls erworben werden. Manche Schriften sind auch hierbei frei, manche kosten eben Geld. Viel wichtiger noch ist die Textprüfung: Ist die Billigschrift oder der "free font" denn wirklich komplett?

Wer meint, von der Bezahlschrift dennoch eine kostenfreie Version oder eine billigere zu besitzen, der sollte schleunigst einen Test mit einem sogenannten Typoblindtext machen: Hier den Blindtextgenerator auf Typoblindtext einstellen. Den Text in Word kopieren und daran die Schriften testen. Die Überraschung wird groß sein: Bei vielen Schriften fehlen nämlich Zeichen oder sind einzelne Zeichen deformiert - das ist unbrauchbar für die Buchherstellung. Die zweite Überraschung folgt bei der Umwandlung des Textes in ein pdf. Jetzt werden bei billigen Kopien und Varianten Schwächen sichtbar: vom unscharfen Schriftbild bis hin zu Deformationen in kleinen Buchstabenteilen. Manches erkennt nur ein geschultes Auge, aber wenn etwas nicht stimmt, bekommt auch der Laie beim Lesen Unbehagen. Wir achten selten darauf, wo und wie der Strich im Q angesetzt ist - im Gesamtbild verändert das einen Text spürbar.

Die Wahl der Schrift wirkt sich außerdem erheblich auf die Länge des Buchs aus, kann also die Herstellungskosten beeinflussen. Bei hundert Seiten Text kann der Wechsel zwischen zwei Schrifttypen durchaus 30 Seiten Unterschied ausmachen - bei gleichem Seitenlayout. Schriften laufen unterschiedlich breit.

Als Laie behilft man sich im Ernstfall mit den gängsten Schriften für Bücher und Magazine und achtet darauf, dass serifenlose und Serifenschriften sich bei einer Kombination wirklich gut vertragen. Je weniger man da experimentiert, desto mehr wird es der Leser danken. Vor allem Belletristik sollte leicht und schnell lesbar sein - beim Sachbuch über Kunst kann man dagegen schon mehr wagen.

Und natürlich kann man sich von einer Schrift betören lassen. Im Web gibt es genügend typografische Tipps und Seiten, auf denen man diese Schriften auf sich wirken lassen kann. Wie bei einem guten Parfum kauft man besser nicht spontan, sondern macht erst einmal einen Spaziergang. Und prüft danach unvermittelt, ob der erste Eindruck immer noch wahrnehmbar ist. Eine dieser Schriften, mit denen ich derzeit herumlaufe, ist die Palatino. Nicht, weil sie unbedingt zu den Parfums zählt, die mir zuerst ins Auge springen. Aber sie ist sehr gut lesbar, hält auch schlechtem Druck noch stand und läuft so aus, dass ich auf eine vernünftige Seitenzahl komme. Sie ist klassisch und unauffällig. Auffälliger wäre ein anderer Liebling, weil er der Zeit Nijinskys so nah ist: Souvenir. Sie ist eher gewagt. Aber sie fällt wahrscheinlich einfach deshalb durch, weil sie viel zu eng läuft und das Buch extrem verkürzen würde. Weiterer Nachteil: Sie wurde in den Endsechzigern so extrem oft verwendet, dass sie psychologisch eher mit dieser Zeit verknüpft werden könnte als mit der Zeit der Avantgarde.

Und dann habe ich mich in eine Schrift verliebt. Für diese Schrift bin ich vom E-Book abgefallen. Virginia Woolf's epochales Essay "A Room of One's Own" (das Must für Schriftstellerinnen!) besitze ich seit langem als pdf-Book. Ich muss zu meiner Schande gestehen: Ich habe es trotz der Verfügbarkeit auf meinem Computer immer nur in Ausschnitten angelesen (was mir mit vielen E-Books passiert). Jetzt habe ich das gleiche Buch in der Reihe "Great Ideas" von Penguin Books entdeckt und muss sagen: Great Books!

Es sind kleine, schmale, wohltuend minimalistisch in Büttenimitation gekleidete Taschenbücher. Woolfs Buch hat ein eischalenweißes Cover, einen hellweinroten Rücken und Schrift in Schwarz und Rot. Und diese Schrift ist ein Hochgenuss! Es handelt sich durchweg um die Dante von Monotype. Wer die Schriftgeschichte nachliest und das Buch in Händen hält, erkennt sofort, dass hier Typografieliebhaber am Werk waren. Dante wurde ursprünglich entwickelt, um die Schrift ins Papier zu bringen. Penguin Books druckt sie nicht einfach aufs Cover, sondern prägt sie leicht ein: Diese Schrift kann man fühlen und man wird sofort an den guten alten Bleisatz erinnert, die Schwarze Kunst. Obwohl die Dante beim Kerning, der Unterschneidung, große Schwächen zeigt und im Blocksatz ab und zu wie gezogen wirkt, legt man diesen Text so schnell nicht aus der Hand! Obendrein hat man das Gefühl, Virginia Woolf hätte dieses Buch selbst verlegt... Auch billige Bücher können gut gestaltet sein!

6 Kommentare:

  1. Watt et allens jiwt! Man lernt ja nie aus....!

    Ich leite ja auch immer schön interessante Beiträge weiter

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  2. Ja, und dann gibt's noch eine Empfehlung, die mir die Profis gegeben haben: Wenn dir eine Schrift optimal gefällt, schreibe und betrachte sie drei Wochen lang täglich! - Ich bin fast sicher, die Schwächen der Dante beim Kerning würden mir dann auf den Keks gehen, so sehr auch ich sie schön finde und beinahe lieben möchte: Eine gute Schrift ist ja fast eine halbe Verlobte, und dann kriegt sie die Zähne nicht geschlossen! Also neue Verlobung, wieder drei Wochen, und dann stehen die Ohren ab oder die Unterlängen lottern ... Wer die Wahl hat, kriegt die Qual ganz von selbst, sagt - ratlos ironisch - PJ

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  3. Warte nur Mussjöh,
    nächstens gebe ich dir alle Schriften und du gehst mit jeder drei Wochen schwanger. Wenn du dann Drillinge gebährst, verrate ich dir, dqass das Buch längst fertig ist, ja?
    Frech wie immer,
    PvC
    PS: Grundsätzlich stimmt's ja für langfristige Bindungen.

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  4. Möglicherweise kann die Schrift gar nichts dafür, dass das Kerning so schlecht ist sondern entweder der Schrifthersteller oder der Typographie-Liebhaber, der den Satz an dieser Stelle verbockt hat. Ein weiterer Grund übrigens, warum man sich die Originalschriften zulegen sollte; denn Freebies sind gerade im Typobereich von schlechter Qualität, insbesondere beim »Lauf« der Schrift. Mit gut hergestellten Schriften und den Grundkenntnissen, welche Knöpfchen man wie zu drücken hat im Satzprogramm, kann zwar immer noch manches schiefgehen aber zumindest läuft die Schrift anständig. Office oder auch andere Homeanwendungen versagen leider bei der (wirklich) korrekten Darstellung von Schriften. Aber dafür sind sie ja auch nicht gemacht.

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  5. Ich hätt' so gern noch Drillinge. - Und jetzt geht's ab in Deine Nähe!

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  6. @Jule

    Ich gehe mal ganz frech davon aus, dass "Penguin Books" Profis beschäftigt, die nicht am Home-Programm sitzen. Die zuständige Firma heißt übrigens Rowland Phototypesetting LTD.
    Wenn ich da zwischen V und A einen größeren Abstand sehe als ich ihn vorziehe, mag das meinem Lupenblick geschuldet sein. ;-)
    Verliebt bin ich jedenfalls immer noch in die Dante...

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