Weihnachten: jetzt!

Ich hasse Shopping. Ich feiere kein Weihnachten. Aber jedes Mal, wenn ich ein größeres Projekt zu Ende gebracht habe, mache ich mir für die Arbeit ein ganz besonderes Geschenk. Oft hat das dann zufällig mit einem meiner Bücher zu tun, weil ich zu der verrückten Sorte Autoren gehöre, die sich mit ihren Kopfwelten auch greifbar umgeben müssen.

Nun ist es kein Geheimnis, dass ich nicht nur für die Ballets Russes schwärme, sondern auch deren Hinterlassenschaften in Mode, Parfumerie oder Design bewundere und liebe. An manchen Tagen rieche ich sogar nach einem Duft von 1919, der aus dem Dunstkreis der Ballets Russes stammt. Und über meine ganz besondere Vorliebe für ein bestimmtes Blau habe ich bereits mehrfach geschrieben: Als "Benois-Blau" wurde es sogar dem berühmten Künstler, Kostümmacher und Bühnenausstatter der Ballets Russes, Alexandre Benois, zugeschrieben. Nun ist dieses Blau natürlich nicht von Benois geschaffen worden, auch wenn die Russen ganz besonders viele Wörter für die Farbe Blau haben und diese offensichtlich anders unterscheiden können. Doch ist kaum eine andere Farbe so stark mit den Bühnenbildern und Kostümen der Ballets Russes verbunden wie dieses. Selbst Kandinsky schwelgt darin und beschrieb einmal, dass er es als tiefe Orgeltöne wahrnahm.

Nun liebe ich auch Stoffe - wahrscheinlich weil die Schubladen und Knopfschachteln meiner Mutter, die Schneiderin war, zu den ersten Schatzkisten meines Lebens zählten. Und in der Zeit meiner Rosenrecherche sind mir die typischen russischen Kopftücher mit ihren opulenten Rosen wieder eingefallen. Solche Folkloremuster haben die Ballets Russes mit Vorliebe künstlerisch aufgenommen. Also müssten doch auch noch heutzutage ähnliche Stoffe zu haben sein?

Das Internet ist zwar ein hervorragendes Rechercheinstrument, aber auch hochgefährlich. Ich stolperte nämlich über einen Traum von Tuch (mit 1,50 m eher eine Stola), der direkt aus einer Ballettdekoration hätte stammen können. Es wäre ideal für eine der Buden in Strawinskys "Petruschka"!

Tuch aus Pavlovo-Possad (zum Vergrößern anklicken)

Das Original (feiner Wollstoff) hat ein sehr viel tieferes, dunkleres, kobaltartiges Blau, als es die farbverfälschende Kamera zeigt. Und plötzlich war die Erinnerung an eines meiner frühesten Lieblingskleider wieder da, bei dem ich nur verwünschte, dass es ein "Sonntagskleid" war wie damals üblich. Ich durfte das Prachtstück nämlich nicht jeden Tag anziehen, einfach schrecklich! Meine Mutter hatte mir aus einem Wollstoff in eben diesem Blau ein "Russenkleid" geschneidert, mit Stehkragen und assymetrisch seitlichem Schlitz, wie eine Bauernbluse geschnitten. Kragen, Schlitz, Bündchen und die Ärmel waren von Hand mit Hexenstich bestickt, in Sonnengelb und Zinnoberrot. Ich wusste damals noch lange nicht, was Russen sind, aber weil meine Mutter "Russenkleid" dazu sagte, wurden das fortan für mich "Russenfarben". Es ist schon erstaunlich, wie tief einen Erinnerungen an Farben oder Gerüche prägen! Und kommt dann auch noch ein so sinnliches Thema wie die Ballets Russes hinzu, setzt der Verstand aus: der Schal wurde heute geliefert.


Die Prachtstücke stammen aus der berühmten Manufaktur Pavlovo Possad bei Moskau, die 2012 zweihundert Jahre alt wird und jedes Jahr 200 Modelle herausbringt. Kaum zu glauben ist die Geschichte dieser weltweit begehrten Sammlerstücke. Was sich heute auch Amerikanerinnen oder Französinnen um die Schulter legen, war einst genau das, was in vielen Ländern der westlichen Welt verboten werden soll oder wurde: die religiös vorgeschriebene Kopfbedeckung von Frauen. Später wurde die Stola zum wärmenden Accessoire und Prestigeobjekt. Heutzutage möbelt man damit auch einmal ein langweiliges Abendkleid auf. Nach den orientalischen Mustern entwickelten sich in Russland sehr bunte florale Vorlagen - symbolisch sind sie mit dem Garten Eden und ewiger Glückseligkeit verbunden - und heute eines der Symbole für russische Volkskunst überhaupt.

Übrigens sind die Preise für die Schals in Deutschland schlicht unverschämt, so dass ich guten Gewissens keinen Händler empfehlen kann. Aber es gibt ja das Internet, wo man auch im Ausland bestellen kann...
Ich widme mich jetzt einem anderen Päckchen, das unterm Firmenzettel von Pavlovo-Possad hervorlugt: einem Buch über Nijinsky. Noch einem von insgesamt acht, die in diesen Tagen eintreffen werden. Und nein, das macht es natürlich nicht unmöglich, dass ich die Welt mit einem zusätzlichen beglücke, denn all diese Bücher sind längst nicht mehr auf dem Markt und in allen möglichen Sprachen erschienen - nur nie auf Deutsch.

4 Kommentare:

  1. Liebe Petra,

    als ich deinen Beitrag gestern Abend las, musste ich sofort an den Russenkittel denken, den wir uns in der Schule-ich glaub im Alter von 12-genäht haben. Ich hab ihn lange getragen ...Der hatte so ein Stehbündchen mit "Russenmuster".
    Viel Freude mit deinem Schal und deinen Büchern wünscht dir
    Christa

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  2. Liebe Christa,
    darf ich fragen, ob du im Osten oder Westen in der Schule warst? Oder war das eine Mode? Wir kamen im Westen nämlich durch die James-Bond-Filme (!) auf die glorreiche Idee, einen unserer Lehrer zu Russischunterricht zu zwingen.
    Was das Tuch betrifft, so fand ich den Firmentipp grandios, man solle es, falls es im Schnee nass wird, auf keinen Fall auf dem Ofen rösten.
    Herzlichst,
    Petra

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  3. Im Westen, auf der Auguste-Viktoria-Schule in Flensburg. Das war so eine Mode, glaube ich. Er war schwarz mit bunten Borden an den Ärmeln und kleinem Stehkragen. Da fällt mir noch eine Anekdote ein. Im Abiturzeugnis stand bei mir: Russisch: Sehr gut! dabei hatte ich nie ein Wort Russisch gelernt, obwohl es gelehrt wurde, als Wunschfach, glaube ich, denn es war ein naturwissenschaftlich-neusprachliches Gymnasium. Eigentlich hätte es heißen müssen: "Rudern"-sehr gut. Ich sehe uns noch im Achter durch den Flensburger Hafen schießen!*g*Ich hätte ja damit hochstapeln können, aber es wäre schnell aufgeflogen. Und noch eins: ich hatte ein uraltes Buch "Die schönsten Märchen der Welt", da kamen sehr viele russische Märchen.

    Christa

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  4. Liebe Christa,
    ich wünschte, bei mir hätten sie so einen Fehler mit Mathematik gemacht ;-)
    Für schöne osteuropäische Märchen habe ich eben einen Geheimtipp bekommen, einen deutschsprachigen Verlag in Prag: Vitalis (in meiner Verlagsliste recht).
    Und die Sache mit der Mode hat mich nicht mehr losgelassen, ich habe ein wenig recherchiert und Überraschendes herausgefunden. Womöglich wurden wir Opfer der Ballets Russes! Mehr darüber im Nijinsky-Blog.
    Herzlichst,
    Petra

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