Buch-Jahresrückblick
Wie war mein Buchjahr?
Es fing schon entsetzlich an, als im Januar meine wunderbare Literaturagentur dicht machte, und es war ein Omen: Jeder andere Beruf ist wirtschaftlicher, als sich ausschließlich anspruchsvollen Büchern und Literatur zu widmen. Es hat mich so ins Mark getroffen, dass ich immer noch keine neue Agentur haben will, weil ich eigentlich keine Bücher schreiben möchte, wie sie die großen Agenturfabriken zunehmend haben wollen. Freudige Überraschung: Bei Verlagen, die solche Bücher auch nicht haben wollen, kann man wider allem Geraune unter Autoren sehr gut selbst anklopfen. Trotzdem heule ich meinem Agent immer noch nach. Er war einfach mehr als nur ein Agent, er hat mir geholfen, die eigenen Stärken quer zu allen Außenerwartungen zu entwickeln.
Die anderen Katastrophen des Buchbranche gruppierten sich um zwei Todesfälle in der Familie. Gleichzeitig kämpfte ich ums finanzielle Überleben mit einem Übersetzungsauftrag, für den ich mir die letzte Kraft aus den Knochen kratzte. Danke der Verlegerin, die Verständnis zeigte und mir Verlängerung gewährte. Denn ebenfalls gleichzeitig scheiterte mein Herzensprojekt kurz vor der Produktionsphase an den Finanzen (nicht den meinen). Wieder ein wunderbarer Mensch: Mein Anwalt kümmerte sich für mich um den schnellen Rückfall der Rechte. Aber was macht man mit einem Buch, das eigentlich fertig ist und doch nicht das Licht der Welt erblickt? Ich weiß nicht mehr, woher ich die Kraft nahm, mich damit noch woanders zu bewerben, ja sogar das Exposé völlig umzuschreiben.
Rechterückfall ist ein kurioses Ding. Heuer bekam ich nämlich endlich endlich, nach unzähligen Briefen und Kämpfen über die Jahre, von Random-House meine Rechte für das Odilien- und das Madonnenbuch zurück. Die hatten zu guter Letzt nämlich das aufgekauft, was von den über die Jahre ständig verkauften, fusionierten und sonstwie verkneteten Ursprungsverlagen übrig geblieben war - und im Gegensatz zu den Vorgängern funktioniert hier die Rechtsabteilung perfekt. (An den stets unzuständigen Vorgängern hatten sich sogar zwei Agenten die Zähne ausgebissen.) Es ist schon der helle Wahnsinn, was man manchmal tun muss, um endlich wieder über ein eigenes Werk verfügen zu dürfen, das man vor dreizehn Jahren geschrieben hat. Daran, dass das erste Buch ein Bestseller war und dann zu Höchstpreisen gehandelt wurde, darf ich gar nicht denken. Jetzt, wo ich die Rechte wiederhabe, ist es hoffnungslos veraltet.
Weniger schön läuft es leider auch bei Lübbe, die ja jetzt wieder Bastei heißen und pünktlich mit der Namens- und Programmänderung all meine Bücher verramschen. Ärgerlich ist, dass ich davon jetzt nur im Fall eines der Viola-Beer-Büchlein ordnungsgemäß informiert wurde - die anderen Male erfuhr ich oft Monate zu spät und nur durch peinlichste Zufälle über Leser davon und hatte nicht einmal die Gelegenheit, noch Exemplare meines ersten Romans zu erstehen. Auch beim "Lavendelblues" muss erst ich wieder mühsam anfragen und den Rechterückruf veranlassen - ich kann im Moment nur vermuten, dass er verramscht wurde. Die Autorin erfährt das als letzte... Ärgerlich, dass ich, solange ich nicht über die Rechte verfüge, nicht einmal selbst eine Backlist schaffen kann. Die Bücher sind so lange schlicht tot. Auf der anderen Seite bin ich froh, dass dieses Kapitel zu Ende ist und ich sehr viel daraus gelernt habe - mehr, als mir zunächst lieb war.
Dann noch eine Katastrophe: Der Verlag, der mir telefonisch quasi ein Buch über die Ballets Russes zugesagt hatte, machte aus Konkurrenzangst sehr plötzlich einen Rückzieher, weil weltweit so viele Ausstellungskataloge erschienen. An dem Punkt war ich zum Glück schon jenseits von Gut und Böse, ich hatte so viel mit Tod, verpassten Leben, gnadenloser Überarbeitung und einem drohenden Burn-out zu kämpfen, dass mir plötzlich alles herrlich egal wurde. Ich weiß nicht mehr, ob es wirklich so war oder nur fiktionalisierte Realität ist, jedenfalls vermeine ich, mich an einen hysterischen Lachanfall zu erinnern. Ich lachte über mich selbst. Über dieses dumme kleine Tanzmäuschen in seinem Laufrad, das dabei war, weitere wertvolle Jahre seines Lebens damit zu vergeuden, nach der oft irrsinnigen, weil contra-logischen Pfeife anderer zu tanzen und nur das zu machen, was kleine Tanzmäuschen eben angeblich so tun.
2010 war aber auch das Jahr besonderer Begegnungen und seelenrettender, kraftgebender Musik (besonderer Dank an Monsieur Schostakowitsch). Das kleine Tanzmäuschen, das sich gerade aus dem Käfig freigebissen hatte, voll Trotz und Wut im Bauch, begegnete Petersburg in Wissembourg und einigen Menschen, die es gehörig aufhetzten. Seither ist nichts mehr, wie es vorher war. Sollte ein Projekt, an das so viele nicht ganz dumme Menschen fest glaubten, an dem ich zwei Jahre hart gearbeitet hatte, für das ich im Winter jämmerlich gefroren und ein Jahr in Armut gelebt hatte, einfach so mit Fingerschnipp sterben? Nie werde ich diese beiden amerikanischen Musikmäzene vergessen, die mir den Kopf gewaschen haben: Wenn man Kunst macht und an ein Projekt glaubt, dann hört man nicht auf die Verhinderer und Zauderer, dann stellt man alles Mögliche und Unmögliche auf die Beine, damit das Werk auch eins wird. Und wenn der eine Weg nicht funktioniert, sucht man einen anderen. Ziemlich entsetzt schauten sie mich an, als ich meinte, ich bräuchte halt einen Verlag. "But why?", fragten sie. Und das fragte ich mich natürlich fortan auch.
Das war damals wie ein "point of no return". Türen waren zugeschlagen, andere öffneten sich. Hinter den anderen fand ich eine Welt, die mir sehr viel mehr entspricht, in der es sich endlich wirklich kreativ sein lässt - sogar innerhalb der Buchbranche. Faszinierend, welche Querdenker und Mitdenker ich plötzlich kennenlernte - wo ich die Jahre zuvor noch relativ allein vor mich hingewerkelt hatte. Allein die Menschen, die in mein zweimal "verunfalltes" Buch hinein fanden, waren alle Mühe wert. 2010 war das Jahr, alles anders zu machen - auf das Herkömmliche, vermeintlich so Sichere, zu pfeifen.
Ach ja - das gehört auch zu diesem Jahr: Ich lerne unwahrscheinlich viel. Dazu zählt auch die Auffrischung meiner Kenntnisse von Satz und Layout und das harte Brot der Buchherstellung. Ich knüpfe wieder an alten, bisher brachliegenden Berufskenntnissen an. Das Übersetzen lehrt mich unwahrscheinlich viel über die eigene Muttersprache und beeinflusst so mein Schreiben. Die Katastrophen haben mich absolut gelassen gemacht: Ich will mir eines Tages nicht selbst vorwerfen müssen, ich hätte Lebenszeit vergeudet. Bücher, die an Verlagspleiten oder Firmenänderungen scheitern; Bücher, die einem Programmstrategiewechsel zum Opfer fallen - wo es weder um Inhalte noch Arbeit geht, sondern nur um Strategie oder Profit? Aber Hauptsache, sie waren "ordentlich" verlegt?
Das ist mein Wunsch fürs nächste Jahr: Ich will Bücher machen, die das Publikum nicht für blöde verkaufen, sondern ihm etwas geben und gern auch fordern. Ich will Bücher schreiben, die von denen, die sie machen, wertgeschätzt werden und gepflegt. Ich möchte mir die Freiheit nehmen, in einem glattgebügelten Markt Risiko zu wagen und Anderssein. Ich glaube nämlich daran, dass viele Leserinnen und Leser die Nase voll haben von Eintöpfen. Ich will ARTE statt RTL. Und ich will das nicht nur wollen, ich mach das auch ... Dass ich eine immense Kraft dazu habe, habe ich ebenfalls gelernt. Aber auch, diese Kraft nicht mehr an den falschen Stellen zu vergeuden. Inzwischen kann ich zuversichtlich an Stellen Nein sagen, an denen ich früher froh gewesen wäre, Ja sagen zu dürfen.
Spannend wird das Jahr 2011 werden, das wie pure Science Fiction klingt. Und das erinnert mich an einen Brief, den ich als Teenie an die Frau geschrieben hatte, die ich im "Science-Fiction-Jahr" 2000 sein würde: "Vergiss nie die Träume, die ich habe. Lass sie dir von keinem wegnehmen. Mach sie wahr!"
PS: Typisch, dass ich ausgerechnet das vergesse, worüber andere am meisten jubeln würden: Ein Verlag hat mir ganz von sich aus einen Vertrag angeboten. Aber erstens glaube ich das nur nach den Unterschriften und zweitens weiß ich noch nichts. Mit beginnendem Frühjahr werde ich mehr wissen ... und bis dahin produziere ich ein Buch.
Ich hasse Jahresrückblicke. Ich schau sie nicht an und lese sie nicht, weil ich dann nur noch einmal geballt mit dem bombardiert werde, was mich unterm Jahr schon in den Medien genervt hat.
AntwortenLöschenSie bringen mich auf eine Idee:
Ich lasse das ganze Jahr über das weg, was mich in den Medien nervt - und schaue nur kurz den gezippten Rückblick, um auch über redundante Ereignisse informiert zu sein. Dann hätte ich heute etwas über unseren neuen Bundespräsidenten erfahren - früh genug!
Gruß Heinrich