Seid umschlungen, Millionen

Nachdem die Sendung "Die Ungelesenen" für Erschrecken in den Reihen von Autoren gesorgt hat, ist heute vorübergehend Entwarnung angesagt - und das nicht nur, weil einzelne Initiativen dem sang- und klanglosen Verschwinden ungeliebter Bücher den Kampf angesagt haben. Während unsereins noch darüber jammert, wie ein Buch unter knapp 100 000 Neuerscheinungen jährlich überhaupt gefunden werden kann, frohlocken die Branchennachrichten: Zum Jahresende soll der Kindle die Marke von 800 000 vorrätigen Titeln knacken. Das sind rund acht Mal so viele E-Books wie Print-Neuerscheinungen eines Jahres auf dem deutschen Markt. Und es wird ja bereits gemunkelt, dass der Kindle 2011 auch nach Deutschland kommen soll. Derweil sind andere Riesen wie Google oder Apple auch nicht untätig.

Sie alle versprechen eines: Direktzugang zu den größten globalen Buchmärkten - und das sogar ganz ohne Verlage (und natürlich den herkömmlichen Buchhandel). Ist das nicht verführerisch, wo selbst Buchhandelsketten wie Thalia über Gesundschrumpfen nachdenken (Interview mit Douglas-Chef)? All die Autoren, die mangels Rabattfreudigkeit ihrer Verlage nicht auf Stapeln landen, und die Heerschar derjenigen, die gar nicht erst in den Buchhandelsketten auftauchen, weil ihre Verlage zu klein sind - die müssten doch eigentlich jubeln, oder? Zugang zu einem 800 000-Titel-Markt, international, von der heimischen Telefonleitung aus - Tendenz rasant steigend. Wow. Findbar, lesbar und wenigstens theoretisch unzerstörbar (wenn Amazon nicht, wie schon einmal, in die Kindle-Version eingreift).

Halt! Stopp! Wie war das mit den Ungelesenen? Wie schlimm haben Verlage und Autoren da manchmal malocht und trotzdem nichts verkauft? Und jetzt kann ich mich plötzlich in die Arme von Millionen werfen?

Ich finde, angesichts solcher Riesenzahlen ist es angebracht, einmal innezuhalten und einen Schritt zurück zu treten. Statt mit Duck'schen Dollarzeichen in den Augen herum zu laufen, wäre es aufschlussreicher, den ständig verarmten Donald zu fragen, warum er trotz seiner Menschenfreundlichkeit und unerschütterlichen Arbeit auf keinen grünen Zweig kommt. Dahinter verbirgt sich ausgerechnet das Geheimnis seines Erfolgs: Es gibt auf dieser Welt einfach viel zu viele Enten seiner Art - und für so eine sympathische Jedermann-Ente interessieren sich Zweibeiner eben nur, wenn sie außerdem etwas ganz Besonderes ist. In einem Millionenmarkt ist jedoch auch der schrägste Autor, das außergewöhnlichste Buch nichts Besonderes mehr. Deshalb mein Ratschlag fürs nächste Jahr: Think small! Pfannkuchenbacken mit Donald...

Ja, ich glaube an die gesunde Selbstbegrenzung, die verhindert, dass man sich verzettelt oder Milchmädchenrechnungen anstellt. Vergessen wir den Quatsch mit den Millionen potentiellen Lesern, solange wir noch keine 1000 herbeischaffen können. Jedes Imperium hat mal klein angefangen - ich erinnere an Dagoberts Glückstaler! Und wie macht man das? Ein paar ungeordnete Gedanken dazu:

Nähe zum Buch

Autor Noname hat es schwer, gleich eine Rezension in ZEIT oder FAZ zu bekommen. Der Autorin mit dem hunderttausendsten historischen Roman rennen die Buchhändler die Türen mit Lesetourneen sicher nicht ein. Und wie bekomme ich den Serienmörder an die Frau, wenn in der nächsten Großstadt schon vier andere Serienmörder die Seiten vollbluten? Warum erreicht der Vertreter nichts, der nicht einmal 30 Sekunden für mein Buch hat? Warum versandet die Presseaktion, die doch so schön mit der Gießkanne verschüttet wurde? Alle anderen machen das doch auch so?

Genau das ist das Problem. Alle anderen machen das auch. Denken wir mal kleiner: Wäre in der eigenen Stadt vielleicht eher ein Artikel in der Lokalpresse zu bekommen - womöglich in Zusammenhang mit einem Auftritt oder einer Aktion? Mit dem könnte man in die nächstgrößere Stadt gehen, man hätte etwas in der Hand und schon ein bißchen einen Namen, wenn man am Ball bleibt. Und muss es immer die berühmte Wasserglaslesung sein? Warum nicht dort auftreten, wo das Buch spielt? Warum nicht eine prominente Eigenschaft des Buchs unkonventionell ins Leben bringen? Ich erinnere mich an Lesungen bei Optikern und Floristen, im Kostüm und mit der Musik zur Zeit oder bei einem vergnüglich unblutigen Krimi-Dinner. "Think small" ist eigentlich der falsche Ausdruck. Näher ans Buch, müsste es heißen. Es geht um das Geheimnis, das Unverwechselbare des eigenen Buchs zu finden und daraus etwas zu machen. In Marketingsprech USP genannt: Unique Selling Point. Wohl dem, der vor lauter Markt-Glattbügelei noch einen hat.

Markenname

Natürlich hat ein Buch in einem Millionenmarkt kaum noch einen. Wenn ich ein Buch über das Elsass oder über Rosen schreibe, haben das schon Tausende vor mir getan, Tausende nach mir werden es wieder tun. Es wird immer schwerer, das Besondere eines solchen Buchs nach außen zu vermitteln, wenn man nicht ganz direkt und gezielt an die Interessenten herankommt. Und Hand aufs Herz: Wer schaut etwa bei Stapelware wirklich auf Autorennamen, wenn diese unbekannter sind? Wer Vampire liebt, kauft Vampirbücher - egal von wem. Es sei denn, da hat jemand einen Namen. Dann ist man Fan und will  mehr. Dann geht man nicht so schnell fremd. Es wird also immer wichtiger, dass nicht Bücher, sondern Autoren zur Marke werden. Von letzteren gibt es erstens sehr viel weniger und zweitens sind Persönlichkeiten noch nicht maschinell zu klonen. Und es ist auch praktischer: Man muss nicht bei jedem neuen Thema alles frisch aufbauen. Wer bin ich und wer will ich sein? Was kann ich besonders gut, was kann ich besser als andere? Was ist anders, besonders bei mir? Welche Persönlichkeit soll hinter der zu schaffenden Marke "Autor" stecken? Mit jedem Buch bekommt sie ein Mosaiksteinchen mehr. Daraus folgt:

Nachhaltigkeit und Ausdauer

Man etabliert weder ein Buch noch einen Autor mit Fingerschnippen auf dem Markt - Ausnahme sind Prominenz (Marke!), Skandale oder Sensationen. Otto Normalautor muss lange rödeln, bis jemand Notiz nimmt - und das wird erschwert durch die immer kürzer werdenden Haltbarkeitsdaten bei Büchern. Es reicht nicht, das Herzensbuch des Lebens auf den Markt zu kippen und dann die Hände in den Schoß zu legen. Trendautoren können ein Lied davon singen: Da muss fleißig nachgelegt werden, allerdings auch nicht allzu fleißig, denn dann erschreibt man sich den Ruf der Oberflächlichkeit.

Die idealen Werbemaßnahmen starten eigentlich schon lange vor dem Erscheinen eines Buchs und begleiten es länger als vier Wochen. Wer also keine Schnelldreher oder Trendware schreibt, muss auf Nachhaltigkeit setzen. Longseller sind manchmal Spätzünder, vorausgesetzt, sie werden langfristig begleitet. Wer nicht ständig bei den Spitzentiteln zu finden ist, hat auch nach einigen Jahren Veröffentlichen noch keinen Namen. Wer sich auf einem Millionenmarkt tummelt, kann sich ausrechnen, wie hart und langwierig die Arbeit sein wird, sich wenigstens bei einem begrenzten Publikum einen kleinen Namen zu verschaffen. Einen Vorteil haben die E-Books ja: Sie können nicht verramscht werden (obwohl sich irgendwer auch das noch ausdenken wird). Sie lassen einem die Zeit, nachhaltig für ein Buch zu arbeiten.

Aktionen

"Think small" bedeutet auch, keine Zeit mehr mit Aktionen zu vergeuden, die ins Leere laufen. Es gibt bestimmte Lesungen, die außer einem schönen Honorar weder mehr Bekanntheit noch höhere Buchverkäufe schaffen. Ich habe Lesungen erlebt, bei denen ich fleißigst signieren musste - aber die Leute hatten alle ihr eigenes Buch dazu mitgebracht und auch welche zum Verschenken. Bei der Lesung selbst wurde nichts verkauft. Der Nutzen war ein anderer: Fans kennenzulernen und einen Abend Arbeit bezahlt zu bekommen. Genauso frohlockte ich umsonst über eine Rezension in der FAZ. Immerhin verkaufte ich dadurch ganze 21 Bücher mehr. Bei einem Seminar zum gleichen Thema bekam ich dagegen an die 150 Bücher los. Auch das ist eigentlich ein alter Hut: Feuilleton bringt nur etwas für den berühmten Angeber-Blurb bei der nächsten Bewerbung oder auf dem Buchrücken. Abverkäufe schafft es nur, wenn viele Feuilletonisten etwa zeitgleich einsteigen.

Und die aufwändige Lesetournee? Erinnern sich die Hamburger, Berliner und Kleinzwiebelhausener wirklich nach einem Monat noch an die Autorin aus Hintertupfingen? Ach nein, sorry, letzten Monat, das war doch der Dingens aus Vordertupfingen, was hat der gleich noch mal gelesen, wie hieß der noch? Bei vielen herkömmlichen Wegen der Vermarktung ist die Luft raus - weil es eben jeder so macht und weil es zu viel davon gibt.

Weil ich durch meinen Hund in Sachen Mobilität einigermaßen gehandicapt bin, habe ich irgendwann beschlossen, in einem überschaubaren regionalen Raum aufzutreten, aber dafür einigermaßen regelmäßig. Zunächst hielt ich es für tödlich, nicht mit den anderen mithalten zu können. Und dass ich dabei auch noch jährlich immer beim gleichen Veranstalter zugegen war, ließ andere hämisch grinsen: Irgendwann werden dich die Leute da über haben.

Das Gegenteil ist eingetreten. Jener Veranstalter ist nicht nur einer meiner fleißigsten Verkäufer - ich habe dort auch schon wichtige Kontakte knüpfen können. Und was die Region betrifft, so schleift ein Stammpublikum inzwischen Freunde und Bekannte mit, viele haben schon mehrere meiner Lesungen besucht, manche erkennen mich sogar auf den Plakaten wieder. Die Kulturwelt ist klein und so wird man herumgereicht, lernt wichtige Multiplikatoren kennen, bekommt Angebote woanders. Ich kenne einige Buchhändler persönlich und weiß, dass sie meine Bücher auch auf den "besonderen Tisch" legen, wenn sie schon etwas älter sind. Irgendwann schwappte das sogar über den Rhein. Dass ich womöglich durch eine Empfehlung für einen Salon du Livre eingeladen werde, bringt mich direkt in Verlegenheit: Ich muss schnellstens dafür sorgen, dass es das Elsassbuch wieder gibt!

Natürlich ist das alles nicht zu verallgemeinern, dazu sind Autoren und Bücher zu individuell. Was ich damit sagen will: Lasst euch von angeblichen Riesenmärkten nicht verrückt machen. Spart eure Kräfte noch stärker, setzt sie noch intensiver und gezielter in absoluter Buchnähe ein. Es ist schwer genug, sich ein überschaubares Publikum zu schaffen - noch schwerer, es auch langfristig zu halten. Aber das überschaubare Publikum, zu dem man selbst noch einen Draht hat, ist wertvoller als die gesichtslose Masse von Käufern - denn Bücher leben wie kaum ein anderes Produkt von persönlichen Empfehlungen und Mundpropaganda.

3 Kommentare:

  1. Alors, il y a 3 patissiers, Henri, Heinrich and Henry.

    Henri backt 10 Eclairs, verkauft 8. Er zuckt mit den Schultern, macht eine Flasche Wein auf, schimpft auf die Regierung und nimmts wie es ist.

    Heinrich backt auch 10 Eclairs, verkauft ebenfalls 8 und ist vom Erfolg verhalten angetan. Er macht sich allerdings um die Zukunft Gedanken, um nicht zu sagen, sorgen. Er setzt sich also mit seinem Steuerberater hin, um mit ihm einen Plan zu entwerfen, wie er eine langfristig und automatisierte Produktionssteigerung, kosten -und steueroptimiert erreichen kann.

    Der, oh so very britishe, Henry, backt auch 10 Eclairs, verkauft ebenfalls 8. Er ist voellig aus dem Haeuschen, everything is simply fantastic. Er sieht nur noch £-Zeichen und ueberlegt - sorry, entscheidet pragmatisch, dass er ja eine Verkaufssteigerung von mindestens 500% erziehlen kann, wenn er a) den Pudding (custard) mit Schlagsahne ersetzt (Ist in Engalnd in der Tat so) und b)per Social Media eine awesome viral marketing campaigne vom Zaun brechen kann und "everybody will love Henry's eclairs".

    Mittlerweile, geht die amerikanische Henrietta, gerade auf Inspirationssuche in Frankreich, an Henri's Patisserie vorbei. Er sitzt, nach wie vor vor dort und schlurft seinen Wein. Henrietta fliegt zurueck in die USA und faengt ein Blog ueber "those quaint French habits" an. Unbeachtet, verkauft Henri mittlerweile 100% seiner Produktion.

    Und Heinrich und Henry?
    Tja, Heinrich ist fest im Griff seines Steuerberaters, dem oertlichen Finanzamt und dem Banker seines Vertrauens und kommt vor lauter Papierkram nicht zum Backen. Das macht nun allerdings auch ein Azubi und ein Praktikant, weil die Agentur fuer Arbeit irgendwie einen Steuervorteil verspricht. Und die Republik hat einen Arbeitslosen weniger.

    Henry? Oh dear! Henry facebooked und tweeted wie ein Weltmeister, hat nun zehn tausende von, meist passiv, Followeren, verzettelt sich in irgendwelchen social media Geschichten. Er bezieht seine Eclairs mittlerweile vom industriellen Grossbaecker und wundert sich warum sein in den Miesen ist. Und der Banker will ihm sein Dispo nicht weiter erhoehen.

    C'est la vie, n'est pas?

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  2. DIESES Seminar für interkulturelle Kompetenz buche ich sofort, MEHR!

    Ich steuere noch Henryk aus Polen bei, der von seinen zehn Eclairs ebenfalls acht verkauft. Der Grund für seinen erschütternden Misserfolg liegt auf der Hand: Die Regierung und das Wetter sind schuld, wahrscheinlich sogar beide zusammen, weil man nicht weiß, wie weit die Regierung inzwischen auch im Wetter herumpfuscht.

    Dagegen helfen nur Eigeninitiative und schlauer Handel nebst ein wenig administrativer Trickserei. Henryk lässt von der Oma bis zur Tochter alle Familienmitglieder in einer winzigen Klitsche backen, portionieren und Eclairs auf dem Markt verkaufen. Als er mit seinem Bauchladen an einer Pilgerraststätte auf den Trichter kommt, dass Éclairs (Blitze) vom Himmel kommen, ist sein Werbespruch mit dem Manna gemacht und Henryk ein gemachter Mann. Er verlauft jetzt dreizehneinhalb Eclairs von zehn.

    Seine Oma hat sich zur Ruhe gesetzt und eine Pension für gestresste Heinriche aufgemacht. Mama exportiert Billigschlagsahne für Henry und Henryk hebt mit Henri das Glas, wenn beide auf die Regierung schimpfen.

    Henrietta hab ich vergessen. Die hat natürlich polnische Wurzeln und betreut jetzt Henryks USA-Filialen.

    Hab ich schon mal erzählt, dass ich Henry hätte heißen sollen, wenn ich ein Junge geworden wäre? Henry oder Henryk ... das ist hier die Frage... ;-)

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  3. Ich kraxel dann mal den Ayers Rock hoch und lese aus meinem Buch.

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