Mäuschen gespielt: Hörbuchproduktion

Natürlich weiß ich, wie ein Tonstudio aussieht. Aber neugierig war ich doch, wenn ich schon ein Hörbuch schreibe, wie die Produktion eines solchen aussehen mag. Schließlich muss da ein fremder Mensch meinen Text lesen und sich mit meinem Satzbau herumärgern. Ich durfte dann bei den Aufnahmen zu einem fremden Hörbuch dabei sein. Von der gedruckten Vorlage hatte ich schon viel gehört und hätte sie wahrscheinlich von selbst nie gelesen.

Einmal, weil ich mir den Namen der chinesischen Autorin immer noch nicht merken kann. Selbst jetzt muss ich ihn Buchstabe für Buchstabe abschreiben: Xiaolu Guo. Erst o, dann u, dann u und o. Irgendwann schaffe ich das. "Kleines Wörterbuch für Liebende" heißt der Roman, erschienen im Knaus Verlag. Der Titel, die Aufmachung - ich hielt es zuerst für ein Geschenkbüchlein mit netten Sprüchen. So verdammt kann man sich täuschen! Voller Vorbehalte hörte ich also zu. Und war baff. Wenn ich auch nur geahnt hätte, um was es geht, in welch fulminanter Sprache hier erzählt wird, ich hätte das Buch längst gekauft gehabt.

Es ist die Geschichte eines Kulturschocks. Eine junge Chinesin soll zum Englischlernen nach London, und was sie dort mit Alltäglichkeiten, mit Wortbedeutungen und schließlich auch noch mit Liebe und Sex erlebt, klingt ähnlich erheiternd-abstrus nach fernem Planeten, wie wenn wir nach China fahren würden. Das ist die eine Stärke des Buchs: Wir bekommen auf eine charmant-witzige Art den Spiegel vorgehalten und sehen unsere westliche Zivilisation mit neuen Augen, werden selbst zum Alien. Dem Sog des Buchs kann man sich nur schwer entziehen, tritt man danach in eine normale Fußgängerzone, wird man sofort zu ethnologischen Studien verführt.

Die andere Stärke ist jener sprachliche Sog. Die Übersetzung von Anne Rademacher ist brillant. Kapitel für Kapitel erleben wir die sprachliche Entwicklung der Protagonistin mit, stolpern über Wörter und Konstruktionen, um herauszufinden, dass das scheinbare Unverständnis der Ausländerin unsere Sprache von neuen Blickwinkeln her beleuchtet. In dem Maße, in dem sie Englisch (in der Übersetzung Deutsch) lernt, werden uns Bedeutungen der Muttersprache bewusster, finden wir Gefallen an jenen nur scheinbar sinnlosen Wortverdrehern. Anfangs muss man sich einlesen. Aber bei einem Buch hat man ja das Glück, zurückblättern zu können. Beim Lesen darf man sich verhaspeln. Wie aber sollte man so ein Buch laut vorlesen?

Zuerst habe ich die Hauptakteurin nicht erkannt. Irgendwie kam mir das Gesicht bekannt vor, die Stimme vor allem. Aber so ganz "zivil" im Tonstudio, erkennt man die Leute aus dem Fernsehen nicht gleich. Dabei hatte ich Constanze Weinig erst kurz zuvor in einem Tatort mit Lena Odenthal gesehen. Und dann fiel mir endlich auch ein, woher ich sie kannte: Im Baden-Badener Theater steht sie nämlich als Minna von Barnhelm auf der Bühne (und das ist nicht ihre einzige Rolle derzeit). Ihre Stimme passt perfekt zu dem Roman - man nimmt ihr die humorvolle junge Frau sofort ab, sie klingt wohltuend klar, angenehm und unaufgeregt. Constanze Weinig lässt den Text aus sich heraus sprechen. Da wirkt nichts überinszeniert, dezent und völlig natürlich perlen einem die Sprachspiele in den Ohren, ohne dass man auch nur ahnt, wie schwer solches Sprechen ist.

Der Text war nicht nur eine Herausforderung an die Übersetzerin, sondern auch an die Sprecherin. Diese winzigen Verdreher baut das Gehirn nämlich beim Lesen automatisch um, so viele absichtliche Fehler ergänzen wir im Kopf richtig. Aber hier kam es darauf an, eben jene Sprachunschärfen auszusprechen, weil sie so viel bedeuten im Kontakt mit der neuen Kultur. Mir hat dann das Hörbuch fast besser gefallen als der gedruckte Text. Zwar kann ich hier nicht zurückblättern, aber da lebt die Ausländerin vor mir, da nehme ich nicht mehr die mangelhafte Orthographie war, sondern den Charme eines fremden Akzents, die drolligen Bedeutungen von Sprachverdrehern. Fast macht es ein wenig traurig, dass die Chinesin schließlich die Sprache besser und besser beherrscht.

Und wie war das mit der Hörbuchproduktion selbst? Gibt es da nichts zu erzählen? Nun, es ist bestimmt spannend, einmal in einem fremden Metier Mäuschen zu spielen. Aber die Hörbuchproduktion unterscheidet sich kaum vom Radiomachen oder anderer Malocherei. Alle sind hochkonzentriert, überall hängen Kabel herum und es gibt jede Menge Knöpfe und Tasten. Einen Monitor mit Geschwurbel, das auf mich fremd wie Chinesisch wirkt und den Fachleuten alles sagt. Wasser steht irgendwo, Kaffee wird getrunken, es ist heiß, es ist stickig und das macht noch mehr Durst.

Die Verlegerin ist ganz Konzentration, liest aufmerksamst jedes Wort mit, das sie wahrscheinlich irgendwann schon auswendig kennt. Manchmal wird ein Satz wiederholt, manchmal gefragt, wie man ihn intonieren solle. Die Arbeitstage sind lang, jeder Studiotag kostet Geld. Eine kurze Mittagspause, schon geht es weiter. Die Schauspielerin muss reisen, hat um die Aufnahmetage Engagements. Und für die Verlegerin beginnt danach erst die ganz große Arbeit, wenn das Material gehört und geschnitten werden muss. Zeitlich gesehen ist das alles kein Vergleich zur Herstellung eines Printbuchs. Aber wenn die CDs aus dem Presswerk kommen, seufzen sicher alle Beteiligten erleichtert auf - eine harte Arbeit ist geschafft.

Inzwischen hat die Autorin Xiaolu Guo übrigens in Locarno den Goldenen Leoparden für ihren Spielfilm "She, a Chinese" verliehen bekommen - die höchste Auszeichnung des Festivals.
Und ja, natürlich sind die CDs aus dem Presswerk heraus und zu haben:

Constanze Weinig liest Xiaolu Guo: Kleines Wörterbuch für Liebende, Hörbuchverlag Der Diwan, ISBN & EAN: 978-3-941009-09-7

3 Kommentare:

  1. Wenn dieses Buch auf Deutsch funktioniert, ist die Übersetzerin wirklich ein Genie und vor allem eine Künstlerin, die Sprache fast neu schafft - denn das, was die Protagonistin in London falsch hört und spricht muss man sich für Deutsch ja komplett neu ausdenken. Trotzdem ist mir nicht wohl dabei, denn die Autorin hat ja wohl eigene Erfahrungen verarbeitet, während sich die Übersetzerin rein fiktive Versprecher, Verhörer usw. ausdenken musste. Sicher machen Chinesen im Deutschen ganz andere Fehler als im Englischen.

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  2. Wunderbar! Ich werde mir das Buch besorgen - bin weniger Hörerin, eher Leserin. Zuhören hat was von Vorlesen vorm Zubettgehen. Man soll einschlafen dabei. Ich tu es auch!!!

    Sabine

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  3. @Jaleh
    Da ich selbst auch als Übersetzerin arbeite, kann ich das vielleicht ein wenig erklären: Eine gute Übersetzung ist immer auch eine Form von Nachdichtung (und ja, Anne Rademacher ist brillant!)

    Es geht also nicht so sehr darum, Fehler genau nachzubauen, sondern in der Tat darum, die Inhalte und Empfindungen so zu übertragen, dass man sie in der anderen Sprache "nachfühlt". Eine gute Übersetzung ist also nie eine 1:1-Übertragung des Originals. Selbst die chinesischen Ausdrücke, die im Buch stehen blieben, werden nicht von allen Chinesen verstanden (ich bin jetzt überfragt, ob die Autorin diese in Mandarin oder anderem geschrieben hat).

    Meine persönliche Meinung: Man wird dieses Buch wohl am ehesten in der eigenen Muttersprache verstehen. Um es in einer Fremdsprache zu lesen, sollte man diese sehr gut beherrschen. Warum nicht einfach probieren? Beim Knaus-Verlag (Link im Beitrag) gibt es eine ausführliche Leseprobe.

    @Sabine Kanzler
    Wenn mir Menschen sagen, wann sie am liebsten Hörbücher mögen, werden Situationen wie Autofahren, Bügeln, Putzen und Sofaliegen am meisten genannt. In diesem Fall würde ich also vom Autofahren abraten...

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