Der Körper schreibt mit...

Ich kann bei meinem Manuskript über Vaslav Nijinsky jetzt schon das Ende absehen. Es lief heute wider Erwarten gut, für den Weg hin zum Wahnsinn hatte ich wieder die nötige Distanz der Chronistin, konnte erzählen, ohne allzu viel zu bewerten. Ich war so im Fluss, dass ich bemerkte, wie sich meine Sprache veränderte. Vom melodiösen Tanzen zu unregelmäßigeren Rhythmen, zu Innehalten und Pausen. Der so viele Monate gefürchtete Moment gestaltete sich jedoch anders als vermutet.

Der Moment, in dem Nijinsky in die andere Welt kippt. Ich versuche einen Innensicht, so weit das möglich ist. Weg von den Außenwertungen, den Pathologisierungen. Suche. Schreibe Stakkato. Begleite den Mann, für den Tanz alles ist. Einen Mann der Bewegung, der mit dem Körper erfühlt, wofür er keine Worte hat. Treibe auf jenen unvermeidlichen Punkt zu. Eingesperrt ist er in seiner Alpenvilla. Beengt. Bricht in die einzige Bewegung aus, die ihm bleibt. Nijinsky malt. Nijinsky malt, zeichnet und plant ein Ballett, in dem er endlich alles heraustanzen will, was ihn "tiefinnerlich" bewegt. Er hofft auf die Empathie der Welt. Er sehnt sich danach, dass die Menschen ihn fühlen, seine Liebe fühlen, die er von jeder Bühne verströmen möchte. Und gleichzeitig hat er Angst, dass sie ihm das Fühlen nehmen. Einmal noch wird er sich völlig verströmen.

Es wird sein letztes Ballett sein, über das ich morgen unter anderem schreiben werde, obwohl der Text tippbereit schon im Kopf sitzt. Aber ich brauche tatsächlich eine Zwangspause. Ich zittere wie Espenlaub. Dachte an ein Kreislaufproblem, aber es ist dieser Moment, nur dieser eine Moment. Die ach so coole Autorin trifft die Tasten kaum noch. Nijinskys Hinüberwechseln ist so nah am Leben. Nur ein winziger kleiner Schritt - und er wird ihn noch oft von einer auf die andere Seite gehen und zurück, bis es eines Tages kein Zurück mehr gibt. Bis der Mann der Bewegung in der Stille verharrt.

Textlich gesehen lief das Schreiben so gut wie schon lange nicht mehr. Körperlich und seelisch war es so anstrengend wie selten zuvor.
Es gibt Bücher, die sind wie der Fluss bei Heraklit: Man steigt hinein und steigt als ein anderer wieder heraus. Solche Bücher möchte ich schreiben.

2 Kommentare:

  1. Sabine Kanzler13/8/09 08:07

    Ob mit oder ohne Körper heute, Petra, ich wünsch Dir auf alle Fälle eine flüssige Feder respektive eine nicht klemmende Tastatur für den Endspurt!

    Sabine

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  2. Danke, kann ich brauchen. Ich hechele und keuche...(und freu mich so aufs Ausschlafen nächste Woche!)
    Petra

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