Einen Schritt zurück

Wer sich viel im Internet bewegt, verfällt schon einmal dem Glauben, ein Offliner sei nicht nur Minderheit, sondern Relikt einer überkommenen Zeit. Alles müsse hektisch multimedial kommuniziert, irgendwie in elektronische Form gebracht werden. Manche Internet-Freaks schauen schon mitleidig bis gehässig auf die "Generation der Ausdrucker" herunter (als ob es da Altersgrenzen gäbe). Man beschwört den Tod des Buches, der Briefe und manchmal trennen sich zwei per Twitter oder sms.

Keine Frage, unsere Welt ist im Umbruch. Die neue Zweiklassengesellschaft teilt sich in die Menschen mit Internetzugang und die ohne. Bildung, Wissen und Information bedeuten Macht, das war schon immer so und wird so bleiben. Und spätestens wenn in den Nachrichten eines von allen Gebührenzahlern unterhaltenen öffentlich-rechtlichen Senders darauf verwiesen wird, dass es ernsthafte Hintergründe nur auf der Webseite gebe, wird klar, wer in Zukunft der Dumme sein wird. Und wollen wir nicht alle die Weisheit mit Löffeln fressen?

Interessant ist die Gegenbewegung. Einige Intellektuelle, die sich ausgiebig in und mit dem Internet und seinen Möglichkeiten beschäftigen, sehen zunehmend kritisch hinter die Kulissen. Denn genau dort, wo Wissen und Information wohlfeil lagern, lauert die gleiche Verblödungsmaschinerie wie im echten Leben, eine Zeitfressermaschine obendrein. Die ist in den meisten Fällen noch nicht einmal bösartig gewollt, der Mensch ist eben einfach nur ein Mensch, manchmal mit weiterem Horizont, manchmal mit sehr engem. Die Masse macht's, die mangelnde "Medienkompetenz" - wir sind auf ein Medium losgelassen worden, aber wir haben nicht gelernt, es zu durchschauen.

Mit den wachsenden technischen und virtuellen Möglichkeiten wächst jedoch der Hunger nach Haptik, nach Sinnengenuss, nach direktem, echten Erleben. Es wächst auch der Wissensdurst dort, wo die elektronischen Medien nicht hingelangen. Es wächst der Hunger nach Kommunikation mit Dingen, die uns nichts mehr sagen, weil wir die wichtigen Prägungsjahre vielleicht lieber am Computer saßen, weil wir vielleicht eher Wikipedia befragen als die eigenen Großmutter. Im großen Hypegeschrei ums Online-Leben geht unter, dass wir Grenzgängerei brauchen - die Fähigkeit, sich in beiden Welten sicher bewegen zu können. Es geht nicht darum, in die virtuelle Welt zu flüchten und die reale im Hauruckverfahren an dort geschaffene Situationen anzupassen. Unsere Zukunft wird darin liegen, unsere über Jahrhunderte geschaffenen sogenannten zivilisatorischen und ethischen Errungenschaften immer wieder zu überdenken, über die Folgen von Verlusten nachzudenken, über neue Visionen - immer mit Blick auf die ganz realen Auswirkungen.

Ich werde morgen mit einer sicher anstrengenden, aber wunderschönen Arbeit beginnen (nicht als Buchautorin), die in einem Team von Menschen geschieht, das Grenzgängerei lebt und an ihrer Verbreitung arbeitet. Nicht nur zwischen Online und Offline, sondern auch zwischen Sprachen, Kulturen, Traditionen. Solche Grenzgänger haben gelernt, dass die eine Welt nur genauso mit Wasser kocht wie die andere, dass jede von der anderen profitieren kann - wenn man sie so stehen lässt, wie sie ist. Wir müssen uns einlassen und aufeinander hören. Gerade in Zeiten der Verherrlichung des Internets wird diese Arbeit wieder wichtiger, denn das ach so globale Internet setzt künstliche Grenzen, Sprachgrenzen. Nationen, die Nachbarn sind, wissen im echten Leben zunehmend weniger voneinander, nähren Klischees, Vorurteile und Wunschbilder. Irgendwo chattet man vielleicht auf Englisch über einen Film, aber was wissen wir wirklich voneinander? Wo im Alltag berühren wir uns?

Im Rahmen eines Europaprojekts werden wir zweisprachig, französisch und deutsch, im Grenzgebiet etwas schaffen, das den Menschen völlig offline kommunizieren lässt, mit der Natur, mit der Geschichte, mit zwei Kulturen, mit Menschen. Menschen, bei denen das Alter und die Herkunft keine Rolle spielt, bei denen keiner herablassend nachschaut, wie sie sich im Internet bewegen. Wenn man so will, basteln wir an einem neuen Anschluss ans Leben.

Für mich ist diese Arbeit im Brotjob so faszinierend, weil ich den Schritt zurück zu machen gezwungen bin. Statt aufgeregter Überkommunikation und Pseudodialogen im Internet muss ich erst einmal völlig still werden. Darauf hören, was mir eine Landschaft erzählt, welche Stimmen ich aus der Vergangenheit aufnehme. Nach dem Hören kommt das Einfühlen. Was für Menschen werden das sein, für die wir all das erarbeiten? Wie sprechen wir die Kinder an, wie die Erwachsenen? Welche Erwartungen und Bedürfnisse sind da, wie können wir zum Erleben verführen? Wie können wir Sinne wecken, die im Alltag untergehen, wie die Neugier? Welche Unterschiede wird es zwischen Franzosen und Deutschen geben? Was zeigen wir den Franzosen auf deutschem Boden, was den Deutschen in Frankreich?

Es ist auch eine Erholung vom Büchermachen, weil absolute Teamarbeit, die nicht nur am Computer stattfinden kann. Für Stille-Kämmerlein-Schreiber sicher ungewohnt, denn jetzt werden Ideen im gemeinsamen Gespräch entwickelt, gemeinsam erfunden, verworfen; bikulturell, zweisprachig. Rückwärts befruchtet es die Bucharbeit. Die Grenzgängerei ist wohl eins meiner Lebensthemen. Kommt davon, wenn man schon an der Grenze geboren wurde. Ich fahre nachher hinaus in die Landschaft, nur mit einem Fotoapparat, zum Lauschen und Sehen, um ein Gespür zu bekommen, wofür ich arbeiten werde. Mir genügen Webseiten und Onlinewissen nicht - man muss das erleben, erspüren. Nur so kann ich in anderen auch ein Gefühl dafür wecken.

Und vielleicht fällt mir in der Ruhe da draußen, ohne Handy, ohne Computer ein, welches Buch ich als nächstes schreiben möchte, wenn das Lektorat am Nijinsky abgeschlossen sein wird. Egal, für welches ich mich entscheiden werde (es liegen da zwei Projekte in Konkurrenz), mit irgendeiner Grenzgängerei wird es wahrscheinlich wieder zu tun haben...

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