Haare schneiden, bitte!

Fürs heutige Off-Topic habe ich zwei gute Ausreden. In meiner Zeit in Polen habe ich unter anderem Fachartikel für Friseure und Kosmetikerinnen geschrieben; also Texte, bei denen z.B. herauskam, dass ältere Frauen nicht grundsätzlich von Natur aus Haarausfall bekommen, sondern womöglich vom Lieblingsfriseur, der ihnen geballt und über Jahre Kolorationen und Dauerwellen verkaufte. Und Frisuren haben bei mir durchaus mit Büchern zu tun: Nach größeren Projekten, also Lebensabschnitten, wechsle ich gern radikal die Haarlänge. Also recherchierte ich heute morgen im Internet "Kurzhaarschnitte" und "Trendfrisuren". Ich hatte das Gefühl, ich hätte diesbezüglich ein Informationsdefizit. Beim Zahnarzt lese ich historische Zeitschriften, im Ärztewartezimmer den National Geographic und beim Friseur muss ich nie warten. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal eine Frauenzeitschrift in der Hand hatte.

Ich fand mich in einen völlig fremden Internetkosmos geworfen. Wie ein Alien ertastete ich die neue Welt. Kurzhaarschnitte seien zwar wieder modern geworden, seit berühmte Schauspielerinnen ihre Haare abgeraspelt haben (ich kannte keine von ihnen), hieß es da. Aber ich solle doch bitte daran denken, wenn ich Männern gefallen wolle - also nur 8% aller befragten Männer fänden Frauen mit kurzen Haaren sexy. Ob ich nicht doch lieber einen Mann mit zum Friseur nehmen wolle? Wie irre ist das denn! Vor meinem inneren Auge sah ich einen Planeten vor mir, auf dem sich alle kurzbehaarten Frauen verschleiern mussten. Und plötzlich bekam es einen Sinn, worüber vor allem ländliche Friseure so oft klagen: Die meisten Frauen müssen auch im Jahr 2011 bei Frisurenänderungen ihren Partner um Erlaubnis fragen - und sie machen das freiwillig mit. Schließlich sind es Frauen, die ihnen diesen Blödsinn in Frauenzeitschriften einreden. Kleine Anmerkung am Rande: So abgedroschen der Witz vom schwulen Friseur, so strikt und reaktionär heterosexuell funktioniert das Marketing derselben.

Gut. Ich lernte also, dass ich einen eigenen Kopf und viel viel Selbstbewusstsein brauchen würde. Der erste Frisurenvorschlag (blond natürlich, die meisten Models sind blond) ließ mich vermuten, dass Frau vor einem derartigen Schnitt genügend Drogen intus haben sollte. Der Blick in den Spiegel könnte ein grausames Erwachen bergen. Als nächstes hatte ich mich zu entscheiden, ob ich eine "Frau" oder eine "Dame" sei. Hier kam ich endgültig ins Schwimmen. Ersteres ja, klar. Aber was mag mit letzterem gemeint sein? Betraf das Frisuren für den Golfclub oder fürs Rotlichtmilieu? Trug Frau als Dame nicht eher Hut? Schlimmer...

Damen tragen in diesen Modewelten Lockenwickler und Trockenhauben! Als Dame achten Sie auf gesunde Kost, regelmäßige Arztbesuche und Fitness durch Knoblauchpillen. Denken Sie daran: Ab 40 ist ihr Bauch nicht mehr so straff, Falten (Fältchen hat man nur zwischen 30 und 32), Augensäcke, Zellulitis und Hängebusen wollen behandelt werden, damit sich ihr Mann nicht nach zwanzig Jahre Jüngeren umschaut. (Da ist er wieder, der Drohmann!) Bekämpfen Sie das Sterben in sich mit unserer umfassenden Beauty-Industrie und treten Sie mit 50 etwas kürzer. Auch für diese älteren Damen haben wir noch freche Haarschnitte, die ihrem Alter schmeicheln...

Es wurde immer besser. Der Knaller war eine Seite in Google-Deutsch (lesen!!!), die verriet:
"Kurze Frisuren nicht haben, um eine Frau aussehen wie ein Wildfang, aber geschaffen, um zu produzieren sehr sexy aussieht als gut. Eines der besten Beispiele dafür ist Alyssa Milano, der sieht nicht nur mit einem kurzen sexy Ernte groß, aber scheint sich wirklich auf sie gedeihen."
So etwas möchte ich natürlich auch haben. Ich sage morgen zu meiner Friseurin: "Bitte pflanzen sie mir das Zeug, das auf Alyssa Milano so schnell wächst. Stellen Sie sich einfach vor, ich sei auch "eine Persönlichkeit und Funktion aus Wirtschaft, Arbeit, Sommer"! Und sie wird mir antworten: "Es gibt Unmengen von Kurzhaarfrisuren mit abgehackt endet, wispy knallt, spitze Spitzen..."

Ich glaube, es knallt. Die Weightwatchers quengeln sich bei Google dazwischen und fragen, ob ich auch kein zu rundes Gesicht hätte, das könne man perfekt kaschieren. Eine amerikanische Website empfiehlt Emigranten, zu hohe Wangenknochen mit Haaren zu kaschieren. Eine zu hohe Stirn, Zeichen für Intelligenz, komme bei Männern so gut auch nicht an, aber selbst die könne man kaschieren. Achten Sie darauf, ihre Ohren zu kaschieren, die Nase und das dumme Mädchenkinn, spritzen Sie stattdessen die Lippen auf, denn Männer wollen Mund, viel Mund, und machen Sie ja keinen auf intellektuell, sondern auf Kindfrau, es sei denn, sie sind Dame, dann schauen Sie unsere vor Gesundheit strotzenden Models mit siebzig an, wir liefern unsere Perücken für die Generation 50 + auch in jedes Altenheim kostenlos.

Kaschieren, kaschieren, kaschieren. Nobody's perfect, aber Frauen sind es schon gar nicht! Und wenn sie es sind, reden wir es ihnen ganz schnell wieder aus. Wozu gibt's schließlich die Beautybranche, die über die Schönheitsklinik direkt ins Wellness-Pflegeheim führt! Mit einer winzigen Koloration fängt es an. Mit einer winzigen Fettabsaugung hört es noch nicht auf. Sie sind eine Frau? Kaschieren Sie sich! Kreuzen Sie unsere Checkliste an und wir zeigen Ihnen ein Model, dem auch Sie morgen vollkommen ähneln können. Wählen Sie aus unseren fünf Standardtypen und werden Sie eine richtige Frau.

Ich hätte nie gedacht, dass es so gruslig werden könnte, zum Friseur zu gehen. Ich werde das morgen absolut tough durchziehen, ganz die undamenhafte Frau. Ohne Knoblauchpillen. Mit Wangenknochen. Und ganz bestimmt nicht für die Typen mit Hängewampe und Socken in Sandalen. Wenn ich dann fertig bin, beschleunige ich den Weg ins Beauty-Pflegeheim ein wenig - denn nach all diesen Artikeln und Warnungen ist mir nach etwas mit viel viel Sahne. Ich könnte mal wieder ein Stück Schwarzwälder Torte essen. Das tun Damen in meinem Alter. Und dann hemmungslos mit dem fetten Cappuccino einer lieben Freundin zuprosten, falls du mitliest, jaja, du bist schuld daran! ;-)

5 Kommentare:

  1. Gerade fiel mir dazu ein, was ich unlängst beim Passfotografen erlebte. Nachdem wir uns am Ende der schwierigen Prozedur nämlich auf eine der Aufnahmen geeinigt hatten, ging er ohne weitere Nachfrage vor meinen Augen ans Retuschieren, d.h. er entfernte auf meinem Passbild alle Falten am Hals. Ich war zunächst baff und fragte dann, ob das heute immer gemacht werde. Er daraufhin: "Aber sicher doch, seit es so einfach ist macht das jeder. Als Bewerber wollen Sie sich doch im bestenmöglichen Licht darstellen, oder nicht?"

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  2. Da könnte ich jetzt zynisch sagen: Der Mann hat recht. In vielen Berufen ist nämlich der Ofen aus, sobald sich die ersten Falten zeigen. Gefragt ist die blutjunge, willige billige Generation Praktikum - und das bitteschön bis demnächst fast siebzig.
    Aber wir schminken ja auch unsere Toten. ;-)

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  3. Der Mann hat bedingt recht! Auf jeden Fall ist es albern, ein Bewerbungsfoto groß zu retuschieren. Man stelle sich vor, man bekommt eine Einladung zum Vorstellungsgespräch und wird kaum wiedererkannt. Und wenn, dann mit dem Spruch "Die sieht aber älter aus...."

    Und das mit der Generation Praktikum stimmt auch nicht unbedingt. Aber es liest sich so schön skandalös...

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  4. Man soll ja nie nie sagen. Aber mit der bei Zukunftsaussagen dieser Art gebotenen Vorsicht sage ich es mal so: Einen Job, für den die Faltenlage an meinem Hals (oder an anderen Körperteilen) ein bei der Einstellung zu berücksichtigendes Kriterium darstellt, werde ich wohl kaum jemals interessant genug finden, um mich darauf zu bewerben.

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  5. Liebe Sabine, ich glaube natürlich der Fachfrau - nicht umsonst habe ich das nur zynisch gesagt. Ich finde das Retuschieren auch affig, wenn man sich dann sowieso zeigen muss.

    Trotzdem habe ich das alles auch hinter mir, als ich mit über 40 (!) mal mit einer Anstellung liebäugelte. Da hat man mir offen ins Gesicht gesagt, ich sei zu alt, das Maximum läge so bei 33. Selbst bei der Zeitarbeit guckte mich die Chefin groß an und meinte: "Sie wollen noch arbeiten, in ihrem Alter? Gründen Sie doch ein Unternehmen!" Kein Witz.
    Was die natürlich nicht dazusagen: zu alt = erfahren = zu teuer = womöglich zu kritisch.

    Das ist natürlich von Beruf zu Beruf und von Branche zu Branche unterschiedlich. In meinen herrscht der Jugendwahn. Nur als Übersetzerin darf ich alt und grau werden - auf eigenes Risiko, versteht sich. Ich kannte mal eine Jugendbuchautorin, die ihr Foto im Buch fälschen musste, auf Geheiß des Verlags, weil sie mit 50 nicht akzeptiert werden würde...

    Hut ab vor jedem Arbeit- und Auftraggeber, der solche Spielchen nicht mitmacht!

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