Süße Siebzehn...

Jaja, jetzt lachst du über den Literaturbetrieb, spricht meine innere Stimme in schneidendem Ton, aber geh in dich, was hast du mit süßen Siebzehn getrieben? So mal rein literarisch gesehen!
Mir fallen spontan Dürrenmatts alte Dame ein und die Theatergruppe in der Schule, in der ich ein nachträglich hineingeschriebenes Dorfweib mit losem Maul spielen sollte, obwohl ich vor Schüchternheit verging.
Was noch?
Da war dieses gereimte Epos aus Hexametern, etwa drei Schreimaschinenseiten lang, das ich ernsthaft bei der Zeitung einschickte, um veröffentlicht zu werden. Es war ein tragisches Epos um einen Schüler, der bei der jährlichen Preisverleihung im Schleim der Heuchler erstickt. Ich bekam jedes Jahr diesen Preis, eine Veröffentlichung bekam ich nicht. Der leitende Redakteur bewies dagegen zweifach Humor. Das erste Mal, als er freundlich ablehnte, weil die Zeitung leider ihren Redaktionsrichtlinien gemäß nichts Gereimtes annehmen könne. Das zweite Mal, als er Jahre später zufällig mein Ausbilder wurde und in herzliches Lachen ausbrach, weil er die Autorin des Epos wiedererkannte.

Da ist noch etwas, sagt die Stimme, etwas Verdrängtes! Stell dich endlich deiner kriminellen Vergangenheit!
Owei. Tatsächlich. Mit süßen Siebzehn brauchte ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Rechtsanwalt. Außerdem sollte ich von einer ziemlich erlesenen Schule fliegen, fristlos und schön rechtzeitig vor dem Abitur. Und ich sollte verklagt werden. Damals lernte ich eine Menge juristischer Fachbegriffe und was Texte anrichten können.

Ich hatte getan, was andere wahrscheinlich schon mit 15 tun. Weil ich zu dieser Zeit an einer Art Schreibmanie litt (siehe Epos), schrieb und zeichnete ich für eine Schülerzeitung. Und wahrscheinlich, weil ich süße Siebzehn war, konnte ich nie ganz ernst bleiben. Ich schrieb also eine in meinen Augen fulminante Satire auf unseren Lateinlehrer, der sie einerseits deftig verdient hatte und andererseits war sie fast zu schade für so einen. Und weil ich damals ein sehr braves und wohlerzogenes und vorsichtiges Kind war, vermied ich natürlich, seinen Namen zu nennen und strich sogar noch schnell ein paar Sätze, die Rückschlüsse auf seine Person erlaubt hätten. So viel weiß man mit süßen Siebzehn.

Dann bekam ich die teuerste Grippe meines Lebens. Als ich nämlich wieder gesund war, wurde ich zum Schuldirektor zitiert. Ich verstand nicht gleich, was passiert war. In meiner Abwesenheit hatten sich die wohlerzogenen Jungs und Macher des Blatts auf Werbewirksamkeit in den Medien besonnen. Die Schülerzeitung war neu, wir brauchten Abnehmer. Also gingen die Jungs her, druckten meine Satire mit vollem Lehrernamen inklusive der gestrichenen Passagen. Und schwärzten dann - sehr nachlässig und lesbar - eben jene Passagen in feiner Handarbeit. Die Zeitung bekam ein riesiges "ZENSIERT" aufs Cover und wurde wegen der angeblichen Zensur nicht auf dem Schulgelände, sondern dem Schlosshof verkauft. Das Ganze hatte in der Tat etwas Jakobinisches, die Auflage war in Nullkommanichts verkauft.

Meine Eltern liefen Spießruten in der Stadt. Wildfremde Menschen auf dem Markt gratulierten ihnen zu ihrer missratenen Tochter. Endlich sei mal raus, was das für einer sei, dieser Lehrer. Und wenn es auch nur eine Siebzehnjährige gesagt habe. Hoffentlich koste ihn das den Kopf bei der Wahl.

Das hatte die kleine Satirikerin nämlich nicht bedacht. Der Mann war für irgendeine Wahl aufgestellt. Der war nicht einfach nur Lehrer. Wer jetzt lachte, lachte nämlich politisch. Und es lachten alle außer mir, weil der Lehrer seine Schülerin verklagen wollte. Die Schulexkommunikation hatte er bereits eingereicht. Mein einziges Glück waren meine Grippe, meine Unwissenheit und gute Absicht - und dass die Verantwortlichen aus gutem Hause waren. Aber an mir sollte das Exempel statuiert werden.

Was dann abging, war nervlich gesehen brutal, zumal die heiße Phase der Prüfungen begonnen hatte, die bereits fürs Abitur zählten. Ich hatte schon Bauchweh, wenn ich nur das Haus verlassen sollte, die Geschichte ging durch die ganze Stadt. Plötzlich lud mich der erste Lehrer feixend zum Kaffee ein, falls ich Hilfe bräuchte und so... Der beste Anwalt der Stadt legte sich für mich ins Zeug, meine Eltern hätten ihn nie bezahlen können - diesen Fall übernähme er nur zu gern, mit größter Freude und honorarfrei. Noch mehr Lehrer luden mich feixend zum Kaffee ein: Dem haben Sie's aber gegeben... Und dann kam einer vom Konkurrenzgymnasium. Er sei sozusagen eine offizielle Abordnung. Also, wenn da jemand von dieser Schule fliegen sollte, dann sei der Platz bei ihnen bereits reserviert. Solche Schüler nähmen sie mit Kusshand. Begabung sei ihnen wichtiger als Duckmäusertum.

Ich kam noch einmal glimpflich davon. Besagter Lehrer erreichte eine Gegendarstellung, in der wir wortwörtlich zu wiederholen und zu wiederlegen hatten, was ursprünglich geschwärzt worden war. Spätestens jetzt lachten alle. Meine Eltern mussten 300 Mark Schmerzensgeld an ihn zahlen - für ihre Verhältnisse damals eine große Summe. Über Schulausschluss sprach keiner mehr, der Direktor verkniff sich ein Grinsen und erklärte, dass das Hausrecht nicht greife, weil die Zeitung gar nicht in der Schule verkauft worden war. Bei der Ehefrau des besagten Lehrers bekam ich bessere Noten- und ihr Gatte schuf die Kritikpunkte langsam etwas bei sich ab. Ich glaube, der Mann hat noch viele viele Jahre das Vergnügen mit dieser Schule gehabt. An den dreihundert Mark hoffentlich auch. In der Politik habe ich ihn später nicht getroffen, denn sonst hätte er womöglich von mir interviewt werden können, als ich echte Journalistin geworden war. Eine, die gelernt hatte, wie weit man gehen darf. Die aber auch Bescheid wusste über Verhältnismäßigkeiten.

Ich war süße siebzehn und ich hatte einen Anwalt. Und ich habe absolut nichts für mein Leben gelernt, wie man sieht. Ich schreibe immer noch Satiren. Nur die Hexameter habe ich nach einem fruchtlosen Versuch aufgegeben.

2 Kommentare:

  1. Wenn das kein Plot ist für ein Fernsehspiel und nen schönen Fernsehabend......kann auch ne Serie draus werden!

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  2. So egoman und castingirre bin ich zum Glück noch nicht, dass ich mir mein eigenes Leben noch mal anschauen wollte. Ich würde dann schon noch eher zum Psychotherapeuten gehen als zum Fernsehen ;-)
    Und deshalb wird aus mir nie was.

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