Jammerlappen, elendiger
Ich frage mich, was mir die ganze Zeit fehlt. Und damit meine ich nicht den beim Schneeschippen verhobenen Muskel. Irgendetwas anderes in mir tief drinnen zieht, oder wie ich kürzlich den Maler Chaim Soutine übersetzt habe: "Etwas zieht in meinem Herzen." Ich fühle mich unvollständig und weiß, wenn es länger ziehen sollte, werde ich reizbar. Zufällig fand ich eben einen Beitrag bei Jutta Wilke mit dem lapidaren Titel "Textarbeit". Dahinter verbirgt sich die lebendige Schilderung eines Gefühls, das mir so sehr bekannt vorkommt. Es ist das Gefühl, das jenes Ziehen in mir vertreiben könnte...
Dabei könnte ich höchst zufrieden sein (und bin es auch). Ich habe genug Brotarbeit, ich texte und übersetze in vollen Zügen und oft bis zum Umfallen. Noch in diesem Jahr wird das mir liebste all meiner Bücher wohl erscheinen. Es wird außerdem eine schöne touristische Broschüre geben, an der ich mitgearbeitet habe. Und jetzt, wo ich plötzlich eine Deadline für eine Vertreterkonferenz habe und Seiten für die Druckerei berechnen muss, fällt mir außerdem auf, dass noch in diesem Jahr wieder ein Buch erscheinen wird. Jedoch nicht meines - ich bin "nur" die Übersetzerin. Ich hätte also keinen Grund zum Jammern - ich arbeite ja immer noch fleißig im Buchgeschäft!
Aber immer häufiger passieren mir diese seltsamen Aussetzer. Kürzlich im angeregten Gespräch nach einer Konferenz, im Gefühl der Zufriedenheit, im Gefühl, etwas Wichtiges zu schaffen, war wieder dieses Ziehen da. Als würde ich mich ausklinken, war mir plötzlich klar, dass diese Art des Denkens, dieses Funktionieren, dem diametral entgegen steht, was mir fehlt: kreativer Freiraum fürs "eigene" Schreiben. Ich fürchte, solche Überlegungen verstehen fast nur Kollegen aus eigener Anschauung. Ich bin doch jeden Tag kreativ. Ich bin vielleicht sogar schneller und intensiver (?) kreativ als beim Bücherschreiben, weil ich auf Zuruf und unter Termindruck Einfälle produzieren muss. Aber ich bin es eben auf Zuruf, Abruf, nach Wunschzettel, für andere, bestellt. Und das ist eine völlig andere Welt als die freie Welt des Schöpfens - des Aus-sich-selbst-heraus-Schöpfens, ohne Wenn und Aber und Bedingungen.
Diese Welt des Schöpfens ist die Welt des "eigenen" Schreibens für einen Autor. Ich bin dann in einem anderen Zustand, als wenn ich "texte": Die Welt und ich weiten sich, man wird hochsensibel, knetet einen amorphen Ideenton zu einem neuen kleinen Kosmos. Früher dachte ich, dieses Schreiben sei eine Sucht, von der man nicht loskomme. Heute weiß ich, das ist Quatsch, das behaupten vielleicht Leute, die Fluchten benötigen. Ich kann ganz gut ohne Schriftstellern leben und texte trotzdem jede Menge. Aber etwas zieht in mir. Ich bin nicht komplett, bin nicht ganz Ich. Manchmal habe ich das Gefühl, ich schaue dieser Texterin nach, beobachte sie bei ihrer Arbeit und beginne, sie zu bemitleiden, weil ihr die Weite abhanden kommen könnte. Es ist schön, nicht hungern zu müssen, weil man Arbeit hat. Aber mit wachsender Beschäftigung kommt der Hunger nach diesem Mehr, dieser anderen Welt.
Warum setzt sich das Weib nicht einfach hin statt zu jammern, lässt das Bloggen sein und schreibt einen Roman runter? Tja, hätte ich so etwas Einfaches wie früher, wäre das in Miniportionen womöglich machbar. Aber ich Trottel muss ja ausgerechnet Bücher schreiben, für die intensivste Recherche vonnöten ist - für die man Freiräume braucht. An manchen Tagen habe ich Angst, innerlich nicht mehr frei genug zu sein, um eine Geschichte zu entwickeln. Ich fühle fast das Brett vor dem Kopf. Und dann tue ich es doch, während des Essens, beim Staubsaugen - plötzlich renne ich an mein "Denkheft" und muss neue Ideen notieren. Dass ich mit denen noch unzufrieden bin, ist meine eigenen Schuld.
Ich weiß, dass es demnächst wieder losgeht - und sei es auch nur für eine Stunde am Tag. Noch muss ich mein Thema überprüfen, muss ein paar Bücher dazu besorgen und lesen. Was da wirklich zieht, ist die Angst, das zarte Pflänzchen könnte in diesem Zustand ganz schnell verdorren. Weil man plötzlich entdeckt, dass irgendein Superkönner längst ein gigantisches Buch darüber geschrieben hat. Weil das Thema angesichts des Recherchematerials zu einem lachhaften Nichts schrumpeln könnte. Weil man der eigenen Idee vielleicht nicht gewachsen ist. Weil man sich verrannt hat...
Es gibt nichts Schlimmeres für mich als den Zustand zwischen zwei Büchern. Und das wird mit jedem, das ich schreibe, schlimmer statt besser. Manchmal malt man sich Alpträume aus, wie es wäre, wenn auf das abgeschlossene Buch kein weiteres folgen würde. Wenn man einfach aus irgendwelchen Gründen plötzlich nicht mehr fähig wäre. Wenn man, statt sich zu verbessern, den eigenen Ansprüchen nicht mehr folgen könnte. Ach, es gibt so viele Alpträume, die man sich ausmalen kann. Und nein, es hilft auch nichts, einfach anzufangen. Zuerst muss entwickelt werden. Und so ein neues Buch meldet sich von selbst, wenn es reif ist und diktiert einem den Anfang in die Tasten.
Und wenn ich dann bei Kollegen Beiträge lese wie den von Jutta Wilke, dann weiß ich wieder, die Phase geht vorbei. Sie geht immer vorbei und sie ist wohl so nötig wie das Lampenfieber vor einem Bühnenauftritt. In gar nicht so weiter Ferne werde ich wieder jede freie Minute stehlen, um glücklich und zufrieden am eigenen Buch zu schreiben. Werde wieder lachen über mein idiotisches Ziehen und Lampenfieber. Lampenfieber macht hellwach und lässt einen das Beste geben - es hat also durchaus seine Berechtigung.
Diese Aussetzer sind ein gutes Zeichen. Bald werden die Alpträume leiser und man träumt, wie es wäre, heimlich während der Konferenz ein Kapitel Buch zu entwerfen. Man ertappt sich bei einer klitzekleinen Unaufmerksamkeit beim Übersetzen: Jetzt die ersten Sätze des neuen Buchs einfach hinschreiben! Und ließe sich eine Gesprächspause nicht wunderbar zum Notieren einiger Dialogfetzen nutzen?
Dann sagt man plötzlich spontan ein Treffen mit Freunden ab, auf das man sich eigentlich gefreut hat. Und setzt sich stattdessen wie getrieben vor die Tastatur. Dann ist das Ziehen weg, die Edorphine überschwemmen einen. Es ist der Moment, in dem ein neues Buch in die Welt treten will ... und ich endlich wieder glauben kann: Ich kann es noch. Man verlernt es nicht.
Dabei könnte ich höchst zufrieden sein (und bin es auch). Ich habe genug Brotarbeit, ich texte und übersetze in vollen Zügen und oft bis zum Umfallen. Noch in diesem Jahr wird das mir liebste all meiner Bücher wohl erscheinen. Es wird außerdem eine schöne touristische Broschüre geben, an der ich mitgearbeitet habe. Und jetzt, wo ich plötzlich eine Deadline für eine Vertreterkonferenz habe und Seiten für die Druckerei berechnen muss, fällt mir außerdem auf, dass noch in diesem Jahr wieder ein Buch erscheinen wird. Jedoch nicht meines - ich bin "nur" die Übersetzerin. Ich hätte also keinen Grund zum Jammern - ich arbeite ja immer noch fleißig im Buchgeschäft!
Aber immer häufiger passieren mir diese seltsamen Aussetzer. Kürzlich im angeregten Gespräch nach einer Konferenz, im Gefühl der Zufriedenheit, im Gefühl, etwas Wichtiges zu schaffen, war wieder dieses Ziehen da. Als würde ich mich ausklinken, war mir plötzlich klar, dass diese Art des Denkens, dieses Funktionieren, dem diametral entgegen steht, was mir fehlt: kreativer Freiraum fürs "eigene" Schreiben. Ich fürchte, solche Überlegungen verstehen fast nur Kollegen aus eigener Anschauung. Ich bin doch jeden Tag kreativ. Ich bin vielleicht sogar schneller und intensiver (?) kreativ als beim Bücherschreiben, weil ich auf Zuruf und unter Termindruck Einfälle produzieren muss. Aber ich bin es eben auf Zuruf, Abruf, nach Wunschzettel, für andere, bestellt. Und das ist eine völlig andere Welt als die freie Welt des Schöpfens - des Aus-sich-selbst-heraus-Schöpfens, ohne Wenn und Aber und Bedingungen.
Diese Welt des Schöpfens ist die Welt des "eigenen" Schreibens für einen Autor. Ich bin dann in einem anderen Zustand, als wenn ich "texte": Die Welt und ich weiten sich, man wird hochsensibel, knetet einen amorphen Ideenton zu einem neuen kleinen Kosmos. Früher dachte ich, dieses Schreiben sei eine Sucht, von der man nicht loskomme. Heute weiß ich, das ist Quatsch, das behaupten vielleicht Leute, die Fluchten benötigen. Ich kann ganz gut ohne Schriftstellern leben und texte trotzdem jede Menge. Aber etwas zieht in mir. Ich bin nicht komplett, bin nicht ganz Ich. Manchmal habe ich das Gefühl, ich schaue dieser Texterin nach, beobachte sie bei ihrer Arbeit und beginne, sie zu bemitleiden, weil ihr die Weite abhanden kommen könnte. Es ist schön, nicht hungern zu müssen, weil man Arbeit hat. Aber mit wachsender Beschäftigung kommt der Hunger nach diesem Mehr, dieser anderen Welt.
Warum setzt sich das Weib nicht einfach hin statt zu jammern, lässt das Bloggen sein und schreibt einen Roman runter? Tja, hätte ich so etwas Einfaches wie früher, wäre das in Miniportionen womöglich machbar. Aber ich Trottel muss ja ausgerechnet Bücher schreiben, für die intensivste Recherche vonnöten ist - für die man Freiräume braucht. An manchen Tagen habe ich Angst, innerlich nicht mehr frei genug zu sein, um eine Geschichte zu entwickeln. Ich fühle fast das Brett vor dem Kopf. Und dann tue ich es doch, während des Essens, beim Staubsaugen - plötzlich renne ich an mein "Denkheft" und muss neue Ideen notieren. Dass ich mit denen noch unzufrieden bin, ist meine eigenen Schuld.
Ich weiß, dass es demnächst wieder losgeht - und sei es auch nur für eine Stunde am Tag. Noch muss ich mein Thema überprüfen, muss ein paar Bücher dazu besorgen und lesen. Was da wirklich zieht, ist die Angst, das zarte Pflänzchen könnte in diesem Zustand ganz schnell verdorren. Weil man plötzlich entdeckt, dass irgendein Superkönner längst ein gigantisches Buch darüber geschrieben hat. Weil das Thema angesichts des Recherchematerials zu einem lachhaften Nichts schrumpeln könnte. Weil man der eigenen Idee vielleicht nicht gewachsen ist. Weil man sich verrannt hat...
Es gibt nichts Schlimmeres für mich als den Zustand zwischen zwei Büchern. Und das wird mit jedem, das ich schreibe, schlimmer statt besser. Manchmal malt man sich Alpträume aus, wie es wäre, wenn auf das abgeschlossene Buch kein weiteres folgen würde. Wenn man einfach aus irgendwelchen Gründen plötzlich nicht mehr fähig wäre. Wenn man, statt sich zu verbessern, den eigenen Ansprüchen nicht mehr folgen könnte. Ach, es gibt so viele Alpträume, die man sich ausmalen kann. Und nein, es hilft auch nichts, einfach anzufangen. Zuerst muss entwickelt werden. Und so ein neues Buch meldet sich von selbst, wenn es reif ist und diktiert einem den Anfang in die Tasten.
Und wenn ich dann bei Kollegen Beiträge lese wie den von Jutta Wilke, dann weiß ich wieder, die Phase geht vorbei. Sie geht immer vorbei und sie ist wohl so nötig wie das Lampenfieber vor einem Bühnenauftritt. In gar nicht so weiter Ferne werde ich wieder jede freie Minute stehlen, um glücklich und zufrieden am eigenen Buch zu schreiben. Werde wieder lachen über mein idiotisches Ziehen und Lampenfieber. Lampenfieber macht hellwach und lässt einen das Beste geben - es hat also durchaus seine Berechtigung.
Diese Aussetzer sind ein gutes Zeichen. Bald werden die Alpträume leiser und man träumt, wie es wäre, heimlich während der Konferenz ein Kapitel Buch zu entwerfen. Man ertappt sich bei einer klitzekleinen Unaufmerksamkeit beim Übersetzen: Jetzt die ersten Sätze des neuen Buchs einfach hinschreiben! Und ließe sich eine Gesprächspause nicht wunderbar zum Notieren einiger Dialogfetzen nutzen?
Dann sagt man plötzlich spontan ein Treffen mit Freunden ab, auf das man sich eigentlich gefreut hat. Und setzt sich stattdessen wie getrieben vor die Tastatur. Dann ist das Ziehen weg, die Edorphine überschwemmen einen. Es ist der Moment, in dem ein neues Buch in die Welt treten will ... und ich endlich wieder glauben kann: Ich kann es noch. Man verlernt es nicht.
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