Schriftsteller-Eiszeit

Gestern spät habe ich mir eine Wiederholung von Harald Schmidts Show angetan - einfach um mir ein eigenes Bild von Helene Hegemann machen zu können. Dass der Dialog nicht rühmlich war, wusste ich bereits aus den Medien. Ich fand die Sache allerdings nicht peinlicher als Fernsehen sonst (peinlichst und völlig unmöglich dagegen der Umgang mit dem Urautor Airen). Und weil ich mir einrede, ich sei so herrlich abgebrüht den eigenen beiden Branchen gegenüber (Buchwelt und Journalismus), werde ich dann auch mal leicht zynischer als der normale Endverbraucher. Es kam mir spontan der Gedanke, dass selbst Helene Hegemann nebst Buch eine perfekte Inszenierung sein könne - womöglich um eine Taschengeldwette und Bestsellers Lohn.

Aber ich bin ja ach so abgebrüht - also konnte es das nicht gewesen sein, was mich so sehr erschreckte. Nachdem ich vorher "Metropolis" genossen hatte, war mein Blick leicht verschoben. Das ist dieser Film um den Marionettenfäden ziehenden Vater. Und da gab es dieses Zitat, dass zwischen Hirn und Hand ein Herz gehöre. Und plötzlich wusste ich, was mir in all der heißgeredeten Aufregung um Autorin und Buch fehlte. Was waren wir mit Siebzehn noch leidenschaftlich gewesen. Wie haben wir unser erstes Selbstgeschriebenes geliebt!

Helene Hegemann spricht von ihrem Buch, als gehöre es nicht ihr, als habe jemand Fremdes in einem Vorgang automatischen Schreibens einen Fremdkörper hervorgebracht, von dem die Autorin selbst noch nicht weiß, was sie davon zu halten habe. Da sind Erinnerungslücken, Beziehungslosigkeit und eine gewisse Kälte dem eigenen Werk gegenüber. Man vergisst als Autor in der Aufregung vor der Kamera ganz schnell eigene Inhalte, aber seine Leidenschaft für ein Werk, die Idee dahinter, die Beweggründe, dass man unbedingt dieses und kein anderes schreiben musste - die vergisst man nie. Man vergisst nur selten die Kämpfe um den perfekten Text, die Passion, die zum Leiden am Text werden kann - und die glücklichen Momente des Gelingens, die jede Droge ersetzen.

Heute Morgen lese ich die Stellungnahme von Jens Lindner, dessen Buch der Piper Verlag jetzt wegen der Plagiatsvorwürfe vom Markt genommen hat. Irgend etwas hat Lindner falsch gemacht, dass er nicht derart im Rampenlicht steht, womöglich gehen bei ihm zuhause weniger berühmte Feuilletonisten aus und ein, womöglich hat er nur die falsche Haarlänge. Denn seine Methode ist im Prinzip die gleiche. Von seinen Aussagen im Buchmarkt her hätte man ihn gemeinsam mit Helene Hegemann zu Harald Schmidt einladen können. Ich zitiere Lindner aus dem Buchmarkt, Hervorhebungen von mir:
"Mangels eines schlüssigen Plots habe ich mich an der Story von Janet Evanovichs „Einmal ist keinmal“ entlanggeschrieben. [...] Im Stil der witzigen, rasanten Leseprobe weiter zuschreiben wäre kein Problem gewesen, aber einen Plot zu entwickeln, dazu hätte es Wochen oder gar Monate gebraucht, schließlich gehe ich einer Vollzeitbeschäftigung nach..."
 Wenn das wirklich eine neue Generation Schriftsteller sein sollte, wie uns das Feuilleton weismachen will, dann hätte der Markt die Menschen geschaffen, die perfekt seine Mechanismen widerspiegeln. Dann gingen künftig Schriftsteller gebeugt zur Maschine Moloch, drehten an den großen Zeigern für den Profit, den die da oben absahnen - wären nur noch Hand, kaum mehr Hirn, weil abgearbeitet, müde und verzweifelt. Anschließend schlurften solche Schriftsteller müde und teilnahmslos von Interview zu Interview, gefangen in den Mechanismen der sie zerfetzenden Medienwelt. Bücherschreiben als Akkordarbeit, Texte schaffen als unliebsame, entfremdete Arbeit, weil man meint, zu müssen, oder weil man womöglich von der Welt oben träumt, den Ewigen Gärten der reichen Söhne, wo man alles wohlfeil haben kann, einschließlich des nächsten gelangweilten F**ks.

Kein Wunder: Bei so viel Langeweile, Abgeschmacktheit und Unbeteiligtsein, bei so viel Entfremdung von der schriftstellerischen Arbeit, die man womöglich noch nie im Leben wirklich geleistet hat, da wirkt einem der Griff zum Diebstahl nur noch wie Mundraub, und ein wenig Sattwerden in so einem innerlichen Hungerleben muss doch gestattet sein, sagt man sich - Plagiat als Hungerschrei. Plagiat als letztes Mittel zum Auffüllen dieser eiskalten Leere, die sich in einem breitmacht.

Auffällig ist mir, dass man sich dann aber bei denjenigen Schriftstellern bedient, die Gefühle haben und zeigen, die ihr Schriftstellerleben mindestens und das echte womöglich auch mit Leidenschaften im doppelten Wortsinne er-leben. Und das hat wohl seine guten Gründe. Von Anbeginn der Menschheit ist das Geschichtenerzählen kein Job, zu dem einen der Schamane verknackt hat, weil Papa das größte Mammut erlegt hat oder Sohnemann nicht als Erntehelfer zu gebrauchen war. Geschichtenerzählen ist mehr als nur ein Beruf, es ist eine Berufung, die sich zwischen Herzen abspielt, obendrein Hirn und Hände verlangt. Schreiben verschlingt in der Regel den gesamten Menschen. Etwas berührt mich, ich schaffe andere Welten, diese wiederum berühren die Leser. Schriftstellern ist eine Liebeskunst.

Bücher die bleiben, die alle Hypes und Moden überleben, sind in der Regel Bücher mit einer eigenen Seele. Solche Bücher beißen sich einem im Herzen fest. Das ist nicht die Pseudoberührung durch Schockwellen, Empörung oder Promivibrationen, sondern ein dramaturgisch fein komponierter Kosmos, der über die gesamte Palette menschlicher Berührungsformen verfügt. Ein gutes Buch, das überdauert, ist selten nur schrill, sondern leise und laut, voller Crescendi und kunstvollem Leiserwerden. Solche Bücher leben. Sie entwickeln ein Eigenleben. Man kann sie immer und immer wieder lesen, jedes Mal liest man aus ihnen etwas anderes heraus, in jedem Lebensalter vermögen sie, einem etwas zu geben. Das kommt daher, dass ein Schriftsteller in jedes Buch ein wenig Leben hineingibt. Er haucht den bewegungslosen tönernen Figuren seiner Geschichten den eigenen Atem ein.

Seit Hegemann und Linder und wer weiß wie vielen noch, gibt es unter den Schriftstellern neben den Schöpfern nun also auch Demiurgen. Es ist die Handwerkergeneration, die gelernt hat, dass man, sobald der Nachbar mit einem Mercedes protzt, sich den gleichen auf Pump vor die Haustür stellen kann. Auch das Haus lässt sich auf Pump erstellen und mit dem Vermögen, das man selbst nicht besitzt, lässt sich vortrefflich im Rampenlicht gesellschaftlicher Anerkennung zocken. Fürs Nachahmen braucht es kein eigenes Herz, Hauffs Erzählung "Das kalte Herz" lässt heftig grüßen, ein Buch ist eine Ware ist eine Ware ist eine Ware ... etwas zum Zocken.

"Der Mittler zwischen Hirn und Hand muss das Herz sein." So schrieb es Thea von Harbou ins Drehbuch von Metropolis. Kitsch und Quark von gestern?

Lesetipp:
Anatol Stefanowitsch über die Spiegelung eines Plagiats in der Erschaffung von Wörtern

2 Kommentare:

  1. Es gibt sie noch, die Schriftsteller, die ihre Texte selbst verfassen. Mit Gütesiegel inzwischen ;-)
    http://juttawilke.blogspot.com

    Liebe Grüße
    Jutta

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  2. Als Gag ist das ganz schön, Jutta.
    Aber denk mal die Sache mit dem allgemeinen Gütesiegel künstlerisch weiter. Dann haben wir irgendwann den Rechtfertigungszwang der Anständigen und Literaturprüfstellen à la DDR & Co. Wollen wir das?

    Und was hast du davon, wenn du deine Texte selbst verfasst und von Verlagen beklaut wirst? Ist im Sachbuchbereich gang und gäbe, spricht keiner davon. Dann bräuchten wir noch ein Qualitätslabel "Unser Verlag beklaut keine eingesandten Bewerbungen und setzt den Billigsthausautor dran".
    Ach ich werde langsam zynisch...

    Liebe Grüße,
    Petra

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