Die Sache mit der Flimmerkiste

Ich habe etwas Grausames getan. Ich habe mir heute einen dieser spottbilligen, schrecklichen, chinesischen kleinen Fernseher gekauft (damit bin ich jetzt wahrscheinlich sowohl bei hartgesottenen Intellektuellen wie bei Globalisierungsgegnern unten durch). Wer dieses Blog länger verfolgt, wird mitbekommen haben, dass ich schon ewig lang einen Fernseher mit mehr Ton als Bild hatte und dann ziemlich lang vor Weihnachten beschloss: "Ich werfe das Ding weg. Ich lebe ab sofort völlig fernsehfrei. Ich werde mir keinen Fernseher mehr kaufen."

Diesen Entschluss hätte ich auch gefasst, wenn er nicht kaputt gegangen wäre. Denn das Programm war zu einer einzigen Verblödungsmaschinerie verkommen, selbst meine einst vielgeliebten Krimis waren zum Einheitsbrei für Plotdeppen geworden. Was fehlte mir also? Und was würde ich gewinnen? Oder wäre ich schon süchtig - als eine, die in Fernsehzeiten aufwuchs? Wie würde sich das Danach anfühlen? Vor allem hatte ich eine Befürchtung: Würde ich noch mitbekommen, was auf der Welt passierte?

Das völlig fernsehfreie Leben war wunderbar. Seltsamerweise hatte ich keinerlei Umgewöhnungsprobleme. Aber ich hatte eh nur unregelmäßig zur Entspannung Fernsehen geschaut. Es entstand also beim gewonnenen Raum eine gemütliche Sitz- und Leseecke (noch eine). Und da war unendlich viel Zeit. Ich musste nicht auf die Uhr schauen, weil ein Film kam. Ich hörte plötzlich sehr viel mehr Radio. Aus dem und aus dem Internet bezog ich nun auch meine Nachrichten und Hintergründe. Und siehe da, plötzlich wusste ich sehr viel mehr. Eine Kombination von zwei, drei Zeitungen, international, und richtige Nachrichten in die Tiefe (SWR 2) - dazu Radiofeatures.

Natürlich las ich stattdessen. Und wenn die Augen zu müde waren, hörte ich Musik und wieder Radio. Ich lernte dabei fremde Welten besser kennen und beschäftigte mich mit Dingen, die mir sonst nicht freiwillig unterkamen. Etwa mit kommentierten Opernaufnahmen oder moderner Tonkunst. Und ab und zu schob ich mir als besondere Filmbelohnung - denn ich liebe Filme - eine DVD in den Laptop. Das war nicht unbedingt bequem und ganz billig sind DVDs ja auch nicht.

Der Fernseher hat mir die ganze Zeit nie gefehlt (seitdem strickte ich aber auch nicht mehr an meinem Schal). Aber irgendwann merkte ich, nach langen Arbeitstagen am Bildschirm, dass ein Laptop zum Filmanschauen für die Gesundheit doch nicht das Wahre ist. Irgendwann merkte ich auch, dass Bücher für mich als Buchautorin nicht immer die Entspannung bedeuten, die sie für andere sein können. Entweder konnte ich die Kritikerin in mir nicht abtöten - oder ich las viel zu viel Recherchematerial. Diese Neugier kann ich leider nicht abstellen.

Dann zwackte es mich doch ein wenig, als mir jemand erzählte, welch wunderbaren Film er letztens bei 3sat gesehen hatte. Ich liebte diesen Film, ich hätte ihn mir zum vierten Mal angeschaut. Den hatte ich nicht auf DVD. Dann brachte ARTE etwas über Ballett, das ich hätte anschauen müssen. Stattdessen durfte ich mir von Freunden anhören, wie toll es war, wie wichtig es für mich gewesen sein könnte. Aber ich wollte ja Verzicht leben. Ich hatte es nicht gesehen und lebte noch. Was soll's also?

Tja, gestern wurde ich dann weich. Sprich, vielmehr meine Birne war weich. Nach der hochkonzentrierten und anstrengenden Arbeit in den letzten Tagen war ich abends einfach nur erholungsbedürftiges Gemüse. Ich konnte weder lesen, noch wollte ich einem kritischen Radiofeature über global gemarterte Hühner zuhören. Am Telefon verabschiedete sich jemand: "Jetzt nur noch die Füße hoch und irgendein dämlicher Film und dann schlafen." Das wäre es gewesen. Einfach nur ein schöner bunter Film, bei dem man innerlich abschalten konnte.

Kann ich ja auch am Laptop. Aber was reinschieben? Ich kannte die meisten meiner DVDs zu gut. Da war nur noch eine Kassette mit Filmen von Tarkowskij, einen hatte ich mir unlängst schon angeschaut. Aber so sehr ich Tarkowskij liebe - für Übermüdete ist er nicht so das Wahre. Nachher habe ich ärgerlich drei Bücher in die Ecke gepfeffert, weil sie auch nicht das Gelbe vom Ei waren.

Heute habe ich es dann getan. Meinem Nacken und meinen Augen zuliebe, denn meinen Laptop will ich wenigstens abends im Büro lassen können. Jetzt kann ich Tarkowskij deutlicher sehen. Aber eigentlich, komisch, habe ich den Fernseher nur für ARTE gekauft (für diese Schleichwerbung sollte ich jetzt einen Orden bekommen) ... unser Grenzlandfernsehen. Für ab und zu mal einen schönen Film oder eine tolle Doku. Für besondere ausländische Filme mit Untertiteln - zum Sprachenüben.

Als ich das Ding dann programmierte, stellte ich fest, dass ich ansonsten beruhigt weiter beim Radio bleibe. Die öffentlich Rechtlichen sind ja mittlerweile für ein Publikum zugeschnitten, dass doch derart grenzdebil gar nicht existieren kann. Aber schön, dass das Ding so klein und flach ist. Man kann es ja fast mit einem Halstuch zum Verschwinden bringen. Lieber gute Bücher lesen. Oder ganz andere Dinge tun.
Aber ich kann auch mal Gemüse spielen. Und ich weiß noch, dass ich mit dem Häufigerwerden von russischen Filmen langsam anfing, wieder ein Gefühl für diese Sprache zu bekommen. Vielleicht gibt es wieder welche...

Nächste Woche fahre ich endlich, endlich wieder in die Bibliothek, kiloweise Nachschub holen. Diese inneren Bilder möchte ich nicht missen. Aber wenn man selbst ständig innere Bilder für andere schafft, fehlen einem doch ab und zu konkrete Bilder... Wie man für so ein Gerät allerdings hunderte von Euros hinblättern kann, um sich eine ganze Wand zu verschandeln - das verstehe ich dann wieder nicht. Wenn ich die übrig hätte, würde ich sie ins Konzerthaus tragen. Man will ja nicht ständig als Gemüse durch die Welt wandeln.

PS: Zwei Tage Gemüse noch und dann endlich wieder Leben. Deshalb hier Sendepause.

9 Kommentare:

  1. Bitter, dass ein solch wirkungs- und machtvolles Medium unserer Zeit so versagt. Wenn ich Fernsehen nicht beruflich nutzen müsste ... privat hätte ich definitv KEIN TV-Gerät!
    Wertvoller Artikel!

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  2. Arte, 3sat und Phoenix. Diese 3 Sender in der Reihenfolge bringen ab und an schon mal einen guten Film oder interessante Reportagen.

    Die anderen 497 Sender bräuchte ich auch nicht und wenn auf den 3 Favoriten nix kommt, laufen im Radio jeden Tag immer noch schöne Hörspiele. ;-)

    Gruß Uwe

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  3. Ich lebe seit ca. 10 Jahren ohne Flimmerkiste und das sehr gut. Wann immer ich mitkriege, wieviel Mist im TV läuft, bestätigt mich das wieder in meinem Entschluss.
    Mir fehlt da nichts.

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  4. Gut so, Petra! Man muss zu seinen Unzulänglichkeiten stehen. Und ich finde ja, es gibt schlimmere Laster, als ab und an mal vor der Glotze abzuhängen....

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  5. Ab und zu kommen tolle Filme. Die auf den Werbekanälen nehmen mein Mann und ich auf und gucken sie dann ohne Werbung. Ich LIEBE gute Filme.

    Ab und zu laufen hervorragende Dokumentationen.

    Man muss sich sein Programm halt zusammenstellen. Dann ist TV gar nicht so übel.

    Als muskalischen Soundtrack zu diesem Blogeintrag empfehle ich Bruce Springsteen's "55 channels and nothing on." (Ist nicht der neuste Song, denn "channels" gibt es mittlerweile viel mehr).

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  6. Danke für so viele Kommentare! Ich bin immer wieder überrascht zu hören, wie viele Menschen mit diesem Medium so sehr unzufrieden sind - warum das wohl nicht in den Sendeanstalten ankommt? Oder sind wir extreme Minderheiten hier, weil doch die Sender ständig für "ihr Publikum" einen auf noch dümmer machen?

    Ich liebe ja auch Filme - und habe das Problem, in erreichbarer Nähe kein taugliches Kino zu haben, auch keinen DSL-Anschluss, um mir welche herunterzuladen. Fernsehen ist da schon ein "Volksmedium": billig.

    Und als ich gestern erfuhr, dass ARTE am 12.Februar zeitgleich mit der Weltpremiere die neue restaurierte Fassung von Metropolis mit dem kürzlich gefundenen Material zeigt - da halten mich dann keine zehn Pferde... Diesen Film werde ich mir sogar noch als DVD kaufen - aber nicht alle Highlights bekommt man so einfach außerhalb des Fernsehens.

    Meine Auswahl ähnelt der von Uwe aufs Haar. Und ich bin auch überrascht, wie viele Hörspiele es wieder gibt, wie viele fantastisch gemachte Radiofeatures. Und ich beneide Verbannung. Aber mir geht es wie Susan Ville: In meinem Beruf funktioniert Medienabstinenz nur bedingt. Wenn ich Themen für Menschen von heute entwickeln will, muss ich ein Gespür dafür haben, was Menschen umtreibt, wie sie ticken, warum sie über gewisse Dinge schimpfen oder davon schwärmen.

    Auch wenn Medientrends einerseits gemacht sind, spiegeln sie andererseits gewisse Empfindlichkeiten, Ängste oder Lüste einer Gesellschaft wieder. Und leider gibt es kein besseres Medium, um die Auswüchse zu studieren, als das Fernsehen. Man kann da so eine Art inneren Latexschutz anziehen und sich das einmal anschauen wie man in den Zoo geht. ;-)

    Tja, ich werde das Ding die meiste Zeit ausgeschaltet lassen. Aber ich frage mich, ob fernsehlose Menschen wirklich so fernsehlos sind - das Gerät selbst spielt ja heute keine Rolle mehr. Wer bei youtube vorbeisurft - das ist doch voll von raubkopiertem Fernsehmaterial. Videos per Internetanschluss, Nachrichten auf den Webseiten von Sendern - das ist auch Fernsehen.

    Ich kenne einen, der stolz herumerzählt, keinen Fernseher zu besitzen. Dafür hat er eine riesige Sammlung von Fernsehmaterial, das ihm Freunde auf DVD geben. Müsste "ohne Fernseher" nicht auch "ohne Computer" heißen?

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  7. "Ohne Fernsehen" - das sehe ich genau wie Sie - gibt es eigentlich gar nicht. Für das Medium TV produzierte Beiträge konsumiert fast jeder. Was mich lange Zeit an mir - und nicht am Medium! - am meisten gestört hat, war das fast automatische Drücken des Einschaltknopfes, ohne sich vorher Gedanken zu machen, was ich eigentlich sehen möchte. Schaltet man nämlich vorher das Gehirn ein, bleibt das Gerät meistens aus. Wenn wir Mitte März nach unserer alljährlichen zweimonatigen Abstinenz wieder in Deutschland sind, werden wir uns einen Festplattenrekorder leisten. Damit zeichnen wir die Filme und Berichte auf, die wir sehen möchten und schauen sie, wann wir möchten. Ansonsten bleibt die Kiste aus. Hoffentlich!
    Viele Grüße von Bali!

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  8. Dahin tendiert ja auch das digitale Fernsehen. Ich weiß nicht, wann das in D. der Fall sein wird, aber in anderen Ländern gibt es sowas wie Bestellfernsehen (da wird dann auch eines Tages Pay-TV verstärkt kommen). Sprich - ich stelle mir aus unterschiedlichen hochspezialisierten Spartensendern mein Programm zusammen und rufe das nach Gusto zu meiner Lieblingszeit ab.

    Deshalb glaube ich auch an die völlige Austauschbarkeit von Computer und Fernsehapparat - das Gerät ist irgendwann egal...

    Sonnenneidische Grüße aus dem elsässischen Winter (schneereich)!

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  9. Hallo Petra,

    viele Fernsehsender bieten inzwischen Teile ihres TV-Programms auch im Internet an, darunter auch Arte.
    Unter ^Arte + 7 kann man in ordentlicher Auflösung bis sieben Tage nach Ausstrahlung viele Sendungen kostenlos anschauen. Und bei youtube gibt es den Arte Kanal, leider nur auf französisch, wo auch viele Sendungen eingestellt werden, wenn auch nicht alle.
    Bei der ARD kann man z.B. in der Mediathek Druckfrisch und andere Sendungen später ohne Zeitbegrenzung ansehen.

    Das empfinde ich als kleinen Lichtblick in der neuen Fernsehwelt.

    Gruss

    Thomas

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