Scheitern mit Pauken und Trompeten

Den großen Roman seines Lebens schreiben und einen wunderbaren Verlag dafür finden! Welche Schreibende träumen davon nicht? Und wenn der wunderbare Verlag das wunderbare Werk nicht zu schätzen weiß, dann bringt man den potentiellen Bestseller eben mal ganz schnell selbst heraus. Das praktizieren immer mehr Menschen, grenzenlos überzeugt von sich selbst.

Bei mir verschwinden nicht angenommene Werke zunächst einmal in der dunkelsten Schublade. Dank E-Reader habe ich eine neue technische Möglichkeit: Ich kann solche Manuskripte mit ein paar Mausklicks in eine kompatible Datei umwandeln und diese wie ein E-Book einlesen. Wenn ich unverschämt wäre, könnte ich sie mit ein paar zusätzlichen Mausklicks sofort in die Öffentlichkeit schütten. Als käufliches E-Book. Das mit dem Lesen habe ich eben probiert. Es gibt ein Schubladenschattenmanuskript, das etwa im Jahr 2004 ein Roman werden wollte und zunächst daran scheiterte, dass ein Konzernverlag Frauenromane von mir wünschte. Aber jenes Manuskript wollte nicht. Unter dem Arbeitstitel "Fluchten" fristet es seit nunmehr sieben Jahren ein aufregendes Schubladenleben: Es hat nie den Titel verändert, wohl aber die Form, den Inhalt und sogar die Personen. Alle sieben Jahre soll sich ein Mensch auf zellulärer Ebene runderneuert haben. Nach sieben Jahren habe ich sämtliche Versionen meines Möchtegernromans aneinandergereiht und als E-Book in limitierter Einerauflage auf meinen Reader geladen.

Der Text ist nicht wirklich schlecht. Ich war eingebildet genug, um mich mit einem dieser Entwürfe um ein Stipendium beim Deutschen Literaturfonds zu bewerben. Die Formbriefabsage habe ich damals noch zerknirscht weggesteckt. Zu gern hätte ich erfahren, woran es hakte! Mein erster Agent hatte das Machwerk lange vorher einer Programmchefin eines Literaturverlags zur privaten Vorabbegutachtung überreicht. Deren Antwort überzeugte mich, dass gute Verlage nicht unbedingt gute Texte erkennen. Da käme eine Kunstfälscherin drin vor, nein, das könne sie so nicht annehmen, denn sie habe erst unlängst einen historischen Roman über eine Malerin redigiert und nun schon wieder so ein Ambiente - ob man die Figur nicht ändern könne, ihr einen anderen Beruf verpassen? Kaum ein Wort über die Qualität meines Textes. Der wollte gar kein historischer Roman werden. Und dass die Frau Ikonen fälscht, war Programm.

Ich hätte überheblich werden können, trotzig. Ich hätte meinem Publikum den Text zum Fraß vorwerfen können. Doch welchen von den vielen Entwürfen?

Es war unbedingt heilsam, all die Stationen dieses Machwerks - über sieben Jahre heimlich abgepresst und gesammelt - auf einen Schlag per Reader zu lesen. Wie schlimm! Wie vermessen! So viele Schwächen, Fehler, falsche Ansätze, Verirrungen. Nichts, aber auch gar nichts hält meiner eigenen Kritik mehr Stand. Das ist kein Roman. Das ist ein schmerzvolles Ringen um einen eigenen Ausdruck, der Kampf um irgendeine Befreiung (wovon?). Das sind Fingerübungen und klitzekleine Preziosen in einem Meer von überflüssigem oder anfängerhaftem Text. Ich bin gescheitert - mit Pauken und Trompeten. Und ich bin froh, dass ich nicht mit anhören musste, wie sich die Jury des Deutschen Literaturfonds womöglich krank gelacht hat. Vielleicht haben sie aber auch nur gegähnt. Oder gar nicht reagiert.

Weil ich meinen gescheiterten Texten trotzdem liebevoll zuhöre, habe ich heute viel gelernt. Ich habe gelernt, was ich absolut nicht kann und wo ich nur Zeit verschwenden würde, wollte ich es zu lernen versuchen. Ich habe in dieser unvollkommenenen, oft lächerlichen Textwüste aber auch Passagen gefunden, die mir unbedingt meine Stärken zeigen und verblüffend erhellen, warum ich den Weg gegangen bin, den ich gehe. Ich ahne endlich, was ich wirklich sehr gut kann.

Zu dumm nur, dass das nicht immer das ist, was ich von mir glaubte, zu wollen. Der Stoff, aus dem die Konzernverlagsträume sind, ist es auch nicht. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich den Mut aufbringen werde, mich dem eigenen Können in wirklich letzter Konsequenz zu stellen. Es würde nämlich bedeuten, dass ich wieder bei Null anfange, beim Lernen. Wäre das Bücherschreiben ein Garten, so hätte ich eben gelernt, mit einem Spaten umzugehen. Ob ich es schaffe, den Garten umzugraben und neu zu bepflanzen?

Ein wenig grolle ich sogar. Als ich meinen Erstling veröffentlichte - in den späten 1990ern - musste man solche Textversuche nur einem Verleger geben und der überflog das Ganze mit wissendem Blick, um einem zu sagen: "Mädchen, das ist ganz große Sch... , das weißt du. Aber du kannst was. Wenn du dich nun auf das und das konzentrieren würdest ... und versuch doch einfach mal, damit zu experimentieren und spiel ein wenig mit dem und dem - und wenn du dann fertig bist, gibt mir den Text noch einmal."
Solche Verleger habe ich seither nie wieder erlebt. Echte Autorenentwicklung kann sich heutzutage fast niemand mehr leisten. Im Zeitalter des Überangebots müssen Manuskripte so druckfein wie möglich sein. Die einstige Verlegerkritik muss man sich mühsam woanders suchen - und man bekommt sie weder bei Freunden noch bei Testlesern noch bei allen Kollegen.

Einen einzigen Kollegen habe ich, der mir wirklich sagt, was ich nicht kann, der mir zeigt, wo ich einen Text an die Wand fahre. Der Mann ist ein Goldschatz und mindestens seit meinem Buch über die Kulturgeschichte der Rose daran "schuld", wie ich mich entwickle. Bevor sein Daumen nicht nach oben zeigt, sieht keine Lektorin mehr einen Text von mir. Und doch ist er mir manchmal noch zu wohlwollend. Bei "Fluchten" hat er zu viel gelächelt.

Die schlimmste Kritikerin, die es in meinem Leben gibt, hat nun mit dem Daumen nach unten gezeigt und sich passageneweise gelangweilt bis kaputt gelacht. Diese Kritikerin bin ich selbst. Im Abstand der Jahre ist es heilsam, seine Schubladen zu untersuchen. Was, wenn ich auch nur einen dieser Textversuche veröffentlicht hätte, verführt durch die einfache Handhabung bei der Herstellung von E-Books! Ich säße jetzt da, errötend bis zu den Haarwurzeln, und würde vor Scham im Erdboden versinken wollen.

Ich habe eine Menge gelernt über mich. Dass man sich Zeit lassen sollte und nicht drei Bücher in einem unterbringen muss. Dass ich mich über Dinge, die mich aktuell beschäftigen, im Blog freischreiben kann und dazu keinen Roman missbrauchen muss. Dass ich typisch deutschen hochliterarischen Ton perfekt imitieren kann, aber darüber die Seele des Textes verliere. Dass ich niemals leichte Unterhaltungsromane beherrschen werde. Dass ich in meiner Hektik, alles gleich unterbringen zu müssen, das Wort "Infodumping" auf ein großes Warnschild malen sollte. Und dass ich das beherrsche, was ich am wenigsten von mir glaube.

Ob daraus nach sieben Jahren Selbstversuch am lebendigen Leib jemals mehr als ein Schatten in der Schublade werden wird, vermag ich nicht zu sagen. Den Versuch und die Arbeit war die Selbsterkenntnis wert. Gern hätte ich all die Jahre abgekürzt - mit einem richtigen Ratgeber an der Seite, einem Ratgeber vom Fach. Gern hätte ich in einer Zeit gelebt, in der Verlage solche Funktionen noch wahrnehmen. Aber Jammern hilft nichts. Wozu soll sich jemand mit derart unreifem Schrott abgeben, wenn er Druckfertiges woanders einkaufen kann!

Ich jedenfalls weiß jetzt, wo ich stehe: am Anfang. Und jedem Anfang wohnt Hoffnung inne. Bevor ich nun von Neuem beginne, schwenke ich komplett um. Eine Buchübersetzung rauscht gerade ins Haus, Speedübersetzen noch dazu. Ein schönes Gefühl: Das wenigstens kann ich. Und beim Übersetzen fremder Bücher lerne ich, woran es bei mir noch hakt. Ein schönes Gefühl: Es tut gut, nicht alles veröffentlichen zu müssen, von dem man im Schreibwahn zunächst selbst derart überzeugt ist. Manuskripte in der Schublade reifen zu lassen, wird heutzutage zum unerhörten Luxus. Den man sich immer öfter gönnen sollte.

3 Kommentare:

  1. Eine gute und meiner Meinung nach auch gesunde Einstellung. Zudem ein echt interessanter und lesenswerter Blogeintrag!

    Das Schreiben wird von vielen "Autoren" (und dieses Wort habe ich absichtlich in die Anführungszeichen gesetzt!) zu etwas gemacht, das der Allgemeinheit zugesprochen wird. "Schreiben, ja das können wir doch alle!", höre ich immer wieder, wenn ich mit Autoren zusammenarbeite. In meinem Kopf kommen dann Gedanken hervor wie: "Ja, sicherlich können wir alle schreiben, wir haben die Schule besucht, sind des Alphabets mächtig und sollten zumindest eine Sprache so weit beherrschen, dass wir miteinander kommunizieren können, auf Sprech- und Schreibweg. Aber "Schreiben" ist das nicht. Oder?
    Es ist ein Dilemma, ein ganz großes sogar. Ich würde an dieser Stelle sogar so weit gehen, dass die Tatsache, dass "Autoren" immer öfter von ihrer Schreibe überzeugt sind, als allgemeines "Literaturdilemma" zu bezeichnen. Sicherlich begeben wir uns mit dieser Ansprache auf die Frage nach der Ästhetik und Beschaffenheit der Literatur und da kann man meiner Meinung nach auch geteilter Meinung sein. Aber: Wir diskutieren nicht nur auf ästhetisch-wissenschaftlicher Ebene, sondern vor allem auch auf Branchenebene. Und was erzählen und große Unternehmen, die Selfpublishing eines jeden "Autors" ermöglichen, bei einer direkten Nachfrage bezüglich einer Qualitätssicherung der eingereichten Texte? Sie sagen etwas von "Kommentare zeigen Qualität". Nein, noch besser "Rezensionen zeigen Qualität". Für mich ist diese Auffassung eine radikale Abwertung von dem, was wir vor zwanzig Jahren noch als Literatur verstanden haben. Sicherlich, "Autoren" gab es immer, wird es auch immer geben, aber in Zeiten des Internets, der Digitalisierung und der Möglichkeit des Sharings und Vernetzens haben "Autoren" die Möglichkeit, sich besser zu verbreiten als vorher. Ich möchte damit nicht behaupten, dass alle Indie-Autoren als "Autoren" zu bezeichnen sind. Um Himmels Willen, nein! Viele Werke von Indie-Autoren habe ich bereits gelesen und ich würde sagen: Sie werten den Begriff der Literatur eher wieder auf. Aber wer hinsieht, verfolgt und wer dann schaut, wer jeweils Autor eines Textes ist, wird sehen, dass es sich ganz schnell in die andere Richtung entwickeln kann. Und hier ist dann gleich die Frage nach der fehlenden, qualitätssichernden Instanz eines Verlags/ eines guten Dienstleisters!

    Aber zurück zum eigentlichen Thema: Das Problem ist, denke ich, das viele Autoren zu wenig über ihr eigenes Schreiben reflektieren. In meiner Arbeit mit Autoren bemerke ich immer wieder, wie Autoren in Krisen stecken, die sie nur schwer selbst überwinden können, weil die Erkenntnis der Krise nicht vorhanden ist. Hierbei ist eine Arbeit und eine Besserung des Zustands nur sehr schwer. Schreiben ist kein statischer Prozess. Mit jedem geschriebenen Wort festigen sich im Prinzip neue Ideen, die mit großer Wahrscheinlichkeit anspruchsvoller sind, als die vorherigen. Doch um die neuen Ideen zu realisieren braucht der Autor mehr Erfahrung, mehr Können. Mehr Dynamik.
    Schreiben ist ein Schaffensprozess ohne Ende. Und nicht jedes Wort, das wir schreiben, ist es auch wert, verlegt zu werden. Selbst die großen Dichter und Denker haben ihre Dynamik ausleben müssen. Und als Autorin empfinde ich diesen Gedanken als sehr beruhigend!

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  2. Was für ein toller, prallvoller Kommentar, Hilke - am liebsten würde ich den bei einem Gläschen mit dir beklönen, da steckt so viel drin!

    Ich vergleiche ja immer gern die Künste (wobei es auch ein Schreiben gibt, das keine Kunst ist). Bei der Malerei kann ich mir noch am ehesten vorstellen, dass jemand sagt "Malen, das können wir doch alle!" Aber würden wir das sagen, wenn es ums Klavierspielen oder Opernsingen geht?
    Natürlich lernt jedes kleine Kind Singen. Aber wie viele davon werden eine Verdiarie bewältigen? Und wie viele von denen schaffen es dann auf die Bühnen der Welt? Und dann gibt es diejenigen, die einfach im Gesangverein Freude daran haben, und wenn sie noch so falsche Töne produzieren.

    Ich weiß nicht, woraus das "Literaturdilemma" so stark erwächst. Vielleicht, weil auch jeder einen Stift und eine Tastatur haben kann, leichter als einen Flügel oder eine Geige? Oder ist es die Tatsache, dass wir immer noch dem genialischen Gedanken anhängen, Schreiben würde einen befallen wie eine vom Himmel gesandte Krankheit, weil man ja nichts lernen muss, weil es keine Ausbildung gibt und keine Meisterkurse?

    Wenn ich auf der anderen Seite z.B. in die anderen Künste schaue: Wie viele selbsternannte Genies gibt es dort? Nehmen wir die Schauspielerei, die Popmusik, den Tanz - das gehört doch fast schon zu unserer "Casting-Gesellschaft", dass jeder entdeckt werden möchte, ohne viel leisten zu müssen? Aber ist es wirklich von Bedeutung, was irgendein Schmierenkomödiant in der Provinz macht? Der mag seinen Spaß haben und sein Publikum auch - den Hamlet sehen wir woanders. Beides hat seinen Platz in der Welt und muss sich nicht gegenseitig stören, im Gegenteil.

    Ich würde deshalb den Graben zwischen Selbermachern und Verlegten (dämlich plakativ und eigentlich nicht korrekt, ich weiß) gar nicht so tief ziehen wollen. Das Sich-Ausprobieren haben wir früher auch gehabt, nur anders, weniger öffentlich. Und ab und zu ist daraus ein interessantes Pflänzchen gewachsen. Es braucht doch eigentlich nicht zu stören. Im Gegenteil. Self Publishing könnte die Flut unverlangt eingesandter Manuskripte bei den Verlagen eindämmen. Wieder Platz schaffen für die eigentliche Arbeit.

    Schwierig wird es da, wo außerhalb des Kunstbetriebs Kunst entsteht, in diesem ganzen Experimentiergewusel. Aber das ist doch auch eigentlich nichts Neues, oder? Ich frage mich, ob es im Endeffekt nicht immer darauf hinausläuft, dass man entdeckt und gefördert (wie gefordert) werden muss?

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  3. Noch ein Wort zum "Lernen" aus Rezensionen, aus Community-Feedback oder durch möglichst viele "ungelernte" Testleser: Ich halte das für sehr gefährlich, weil Literatur mehr können muss, als möglichst glatt einen Massengeschmack zu befriedigen und sich alle Kanten abschleifen zu lassen.

    In der Regel kommt das Feedback auf solchen Plattformen auch nicht von denen, die wirklich beraten könnten - nämlich Lektoren, Verleger, Berufskritiker etc. Autoren, die sich zu früh solch einer Community beugen, können sich selbst verlieren. Und Autoren, die hergehen und sagen, die können mich mal, haben das ja nicht gelernt, könnten verlernen, auf die richtigen Ratgeber zu hören. Die doch manchmal auch im Publikum sitzen.

    Ich selbst habe in jahrelanger Arbeit die Erfahrung gemacht, dass es für beide Seiten nicht hilfreich ist, dem Publikum nach dem Maul zu schreiben. Viel wichtiger ist es, sich das Publikum heranzuziehen, das man mit der eigenen Schreibe herausfordern kann. Das klappt nicht nach Marketinggesichtspunkten. Dazu muss ich mir selbst treu bleiben. Und wie mache ich das, wenn alle auf mich einschreien und ihren Senf abgeben müssen?

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