Occupy your art!
Ein anderer Kollege verhungerte über Jahre am langen Arm einer großen renommierten Literaturagentur. Immer wieder hat man versucht, ihn zu bearbeiten, doch "gängigere", einfachere Texte zu schreiben, nicht so viel Anspruch in seine Bücher zu legen. Seinen kleinen feinen Verlag hat er nun selbst gefunden - einen Verlag, der sich Genre ohne 0815-Schema noch leisten mag. Damit geht es ihm wie einem Schriftsteller, dessen Erstling im Konzernverlag abging wie eine Rakete und trotzdem wegen Programmänderungen eingestampft wurde - auch er ist mittlerweile bei einem kleinen Verlag gelandet. Mit Zwangspause. Jahre voller Selbstzweifel und Schreibblockaden liegen hinter ihm. Denn wie so viele Autoren bezog auch er jeden Misserfolg auf die eigene Person, auf das eigene Schaffen.
Und da ist dann noch das Heer der anderen, zu denen auch ich zähle. Man hat sich nie einen großen Namen machen können, aber irgendwie alle Katastrophen und Widrigkeiten schlecht und recht überlebt. Der kräftezehrende Spagat zwischen dem Zwang, Lebensunterhalt verdienen zu müssen und sich trotzdem Freiräume für das Schreiben schaffen zu können, ganz ohne Stipendien und Preise, stutzt die Kreativität zwischenzeitlich auf ein ungesundes Maß zurück. Aber man erobert sich das Schreiben immer wieder zurück. Manche Kolleginnen und Kollegen beweisen hier eine erstaunliche Konsequenz: Sie hören auf. Sie wechseln einfach den Beruf und schreiben keine Bücher mehr. Nicht mehr für andere, nicht mehr für sich selbst. Keinen Erfolg im Außen zu haben, ist für sie ein Zeichen dafür, dass sie sich womöglich selbst mit allzu großen Illusionen betrogen haben. Manchmal haben sie recht. Manchmal gehen so Talente unter.
Was aber ist Erfolg in der Kunst? Haben wir Autoren erst dann Erfolg, wenn uns eine Agentur unter die Fittiche nimmt (und womöglich nicht vermittelt), wenn wir im Publikumsverlag veröffentlicht werden (und womöglich gleich darauf verramscht) oder uns die Fans laut zujubeln?
Wer so fragt, glaubt auch an die Bestsellerformel. Der ist ständig auf der Suche danach, was "der Markt wünscht", immer darauf bedacht, sich gegenüber einem Hirngespinst von "Zielpublikum" selbst zu optimieren. Das ist wie mit Botox: Der Körper wird süchtig nach den Eingriffen und hinterher sehen alle gleich glatt aus. Wer verwechselbar wird, wird leichter austauschbar. Der Markt verschlingt auch seine Künstler.
Gert Scobel hat in der Sendung "Geld oder Leben" in 3sat (Videos s. Link) zusammen mit Beteiligten über Erfolg in der Bildenden Kunst nachgedacht. Was dabei herauskam, lässt sich auf den Bereich der Literatur bestens übertragen. Vor allem das Interview mit dem Maler Jonas Burgert war für mich sehr aufschlussreich. Obwohl es in der Sendung auch um sehr viel Geld ging, ließe sich die Essenz auf einen kurzen Nenner bringen:
"Wer primär nach finanziellem Erfolg und hohem Konsumwert seiner Kunst schielt, geht in der Regel baden."Ein ziemlicher Knaller, wo doch die Sendung gleichzeitig herausarbeitete, dass der Kunstmarkt inzwischen genauso durchgeknallt wie die Börse reagiert und Geld gegen Kunst verschiebt, dass einem schwindlig werden kann.
Das ist auch eine brisante Aussage angesichts der Haltung in der Buchbranche, gute Autoren messe man an ihrer Verkäuflichkeit, dem Profit, den sie bringen, dem Nutzwert für ein Zielpublikum. Doch wie viele Autoren haben genau diese konsumistische Haltung derart verinnerlicht, dass sie an sich zu zweifeln beginnen, wenn sie in diesem Marktwahnsinn nicht gleich nach ganz oben kommen! Ist es Zeit für "occupy yourself" und "occupy your art"?
Poster by cgwalnut at http://www.occupytogether.org |
Das war schon einmal die halbe Miete (abgesehen vom Talent und handwerklichen Können). Und natürlich kam noch eine Menge hinzu - Faktoren, die man nicht willentlich beeinflussen kann. Diese Künstler ruhten derart in ihrer ganz eigenen Art von Kunst, dass sie sich auch intuitiv auf die richtigen Kontakte konzentriert haben. Sie haben sich nicht im Atelier eingeschlossen und gejammert, sondern sind nach außen gegangen. Wollte der Kunstmarkt nicht mitziehen, waren keine Galerien bereit, dann suchten sie eben ihr Publikum selbst, ohne Vermittler. Auf vielen direkten Kanälen vom Internet bis zum Flohmarkt.
Dort sind sie aufgefallen, weil sie anders waren. Weil Persönlichkeiten hinter den Werken steckten. Oder weil sie verstörten, aufschreckten, überraschten, forderten. Das vom allgemeinen Brei übersättigte Publikum ist mehr als bereit für fordernde Künstler. Diese Leute hatten anderen Leuten mit ihrer Kunst etwas zu sagen - auch wenn sie von breiten Massen vielleicht verlacht wurden. Und es kam etwas hinzu, was einem in der Kunst immer in die Höhen helfen muss: Glück, Zufall. Das richtige Werk hing zur richtigen Zeit am richtigen Ort; der richtige Betrachter kam vorbei, entdeckte es, machte es bekannt, förderte den Künstler. Erfolg in der Kunst, so wie ihn viele erträumen, ist ohne Entdecktwerden und ohne Förderung von begeisterten Menschen nicht möglich.
Etwas aber war bei den Künstlern und Galeristen im Film anders als früher. Es reicht in unserer Zeit offensichtlich nicht mehr aus, nur auf das eigene Talent zu setzen und auf den Zufall zu warten. Dem Glück will nachgeholfen werden. Und so haben sie alle etwas gemeinsam, was in Zeiten der Romantisierung von Bohème noch verachtet wurde: Sie haben ein Talent, sich öffentlich darzustellen und sich zu verkaufen. Ich möchte es darum Talent nennen, weil es nie um schnödes Anpreisen einer Ware ging, um dieses wohlfeile Anbaggern von "Zielpublikum".
Die geschäftstüchtigsten unter diesen Künstlern haben ihrem Publikum etwas zu geben, das mit Geld nicht zu messen ist: Emotionen, Lebensgefühl, Kommunikation, Freude, Glück und Stoff zum Nachdenken. Mit steigender Berühmtheit schenken sie ihrem Publikum sogar Status und ein Gefühl, dazu zu gehören - womit wir wieder bei den Gefühlen wären.
Ist das bei uns Buchautoren so anders? Sind nicht auch Bücher sehr viel mehr als nur eine Ware, die sich im Preis bemessen lässt? Schenken nicht auch wir satte Emotionen bis hin zur Kommunikation mit dem Autor? Sind nicht auch bei uns der einmal berührte Leser, die einmal glücklich gemachte Leserin, viel treuer als mit Werbung und Stapeln und schrillen Klappentexten zugeschüttete "potentielle Käuferschichten"?
Noch etwas hat mich hellhörig gemacht in diesen Interviews. Da hieß es immer wieder, dass Künstler, so sie denn eines Tages Erfolg haben möchten, zunächst einmal reichlich Kunst schaffen müssten. Und reichlich von dieser Kunst nicht so sehr an die Vermittler bringen, sondern direkt ans Publikum. Die Bildenden Künstler nutzten dafür Mittel vom Internet bis zum Flohmarkt. Die Galeristen kamen allesamt erst in der Spätphase. Was wäre aus diesen Berühmtheiten geworden, wenn sie Jahr um Jahr nur auf die eine ideale Galerie gewartet hätten, die womöglich nicht einmal zu ihnen gepasst hätte?
Occupy your art! Schaffe wie der Berserker an dir und deiner Kunst. Entwickle dich. Aber warte nicht auf die 1%, die dich über Nacht berühmt machen könnten, nur weil sie sich genügend Profit ausrechnen können. Zeig dich den 99%, die einmal deine Kunst kaufen werden. Wege, um aus dem eigenen Atelier hinauszugehen, gibt es viele. Manchmal muss man sich dafür das eigene Rückgrat zurück erobern, manchmal reicht es, naiv und neugierig zu sein. Das Publikum ist da - es wartet nur manchmal ganz woanders, als da, wo wir es erwarten.
Hallo,
AntwortenLöschenich freue mich in den Zeiten von Occupy auch einen Beitrag zu finden, der sich mit der speziellen Situation der Künstler und Literaten beschäftigt.
Allerdings kann ich die Schlußfolgerung (aus eigener Erfahrung) nicht nachvollziehen:
Occupy your art! Schaffe wie der Berserker an dir und deiner Kunst. Entwickle dich. Aber warte nicht auf die 1%, die dich über Nacht berühmt machen könnten, nur weil sie sich genügend Profit ausrechnen können. Zeig dich den 99%, die einmal deine Kunst kaufen werden. Wege, um aus dem eigenen Atelier hinauszugehen, gibt es viele. Manchmal muss man sich dafür das eigene Rückgrat zurück erobern, manchmal reicht es, naiv und neugierig zu sein. Das Publikum ist da - es wartet nur manchmal ganz woanders, als da, wo wir es erwarten.
Als langjähriger Betreiber einer Internetplattform (Thing Frankfurt), sowie eines Kunstraums (multi.trudi), die sich mit alternativen Kunsformen (ohne Werk und Publikum) und deren Vermittlung beschäftigen kann ich nur sagen, die 99% (Publikum) interessiert das nicht die Bohne. Die wollen auch in sog. Offspaces nur die Kunst wiederfinden, die sie auch aus den Museen kennen.
Genausowenig die lieben KollegInnen. Die nutzen jetzt gerne das Internet. Aber nur, um das zu vertreiben, was sie sowie so schon als Produkte vorfabriziert haben. Statt die Bedingungen des Internets künstlerisch zu bearbeiten.
Ich bin dagegen der Ansicht, daß es nötig wäre die Strukturen zu verändern, statt sich neue Vertriebswege auszudenken, wie der Artikel hier nahelegt. Deshalb: Occupy Schirn!
Grüße
Stefan
Genialer Artikel!
AntwortenLöschenSeit Jahren kämpfe ich um meine Selbstständigkeit, das zu tun, was ich gerne tu. Nach drei selbst verlegten Büchern bin ich zu der Überzeugung gekommen. Schreib was du denkst, schreib was du fühlst, schreib wie es dir Spass macht. Sollte ein Verlag kommen, erde ich darüber nachdenken, gut nachdenken, denn wenn man sich in die geldbringenden Arme eines Verlages begibt, muss man auch bedenken, dass man selbst wieder Angestellter ist und mit Druck umgehen muss.
Und unter Druck kreativ zu sein, das, schaffen nur die Wenigsten.
Lg
@Stefan:
AntwortenLöschenDanke für den anregenden Beitrag. Darüber will ich mal in Ruhe nachdenken. Ich finde es nämlich absolut spannend, interdisziplinär (sagt man da so?) zwischen den Künsten Ideen zu entwickeln!
@Alfred Stadlmann
Ich glaube auch, dass die Freude an der eigenen Arbeit überwiegen sollte und man viel Zeit braucht, um sich selbst überhaupt erst "freizuschaffen". Aber zwei desillusionierende Anmerkungen hätte ich da noch (leider):
1. Verlage kommen nicht von selbst. Einen Verlag zu finden, ist aktive, professionelle und elend harte Bewerbungsarbeit. Vergleichbar vielleicht mit dem, was ein junger Opernsänger auf sich nehmen muss, der Solo-Engagements sucht. Und nein, zum Angestellten wird man dadurch nicht ;-).
2. Wer Kunst professionell macht, muss grundsätzlich Druck aushalten. Egal, ob er Auftraggeber hat oder ob Werke bestellt werden, egal, ob er ohne jede Verpflichtung lustig drauflos schaffen könnte - der Druck kommt von überall her. Sei es, dass ich mir eiserne Selbstdisziplin aneignen muss, sei es der Blick aufs Konto oder das Jammern vernachlässigter Freunde, das Leiden unter den eigenen Schwächen, das Aufstehen nach Scheitern ... Ich denke sogar, genau da trennt es sich zwischen Hobby und Profession.
Kleiner Hinweis noch, weil mein polemischer Titel auch an anderen Plätzen zu Missverständnissen führt: Ich schreibe nicht "occupy art", sondern "occupy YOUR art". Ein kleiner, gemeiner Unterschied ;-)
AntwortenLöschenMeine erste vollkommene unausgegorene Bauchmeinung: könnte es nicht auch einfach nur sein, das sich Papierbücher jenseits des VampirettenSerienkillerChicklits-Bereiches, trotz aller Beteuerung der Bibliophilen, einfach eben nicht mehr wirklich flächendeckend verkaufen? Entweder ist ein Verlag so groß (stelle ich Laie mir immer vor), auf Schlag eine ganze Nation mit Papierbuchstapeln zu bedienen, dann muß es aber Massenware sein damit die Lager nicht nachher auf Jahre voller vergammeltem totem Holz sind, oder es sind kleine Verlage, an die der normalsterbliche Einkaufsbummler kaum vorbei kommt. Und die so auch wieder kämpfen.
AntwortenLöschenSelbstverlegen und vielleicht endlich doch mal langsam loslösen von Papier und das Netz nutzen könnte doch ein Weg sein. So wie sich die Musik auch von den Plastikscheiben gelöst hat.
Damit lehne ich mich jetzt aber sehr weit aus dem Fenster, ken ich mich in der Branche kaum aus. Hätte aber Dein letztes(?) Buch immer noch gerne als eBook (asserhalb von Amazon) gekauft. *zwinkert*
Autoren wollen vielleicht ein Produkt anbieten, das so eben doch kaum noch jemand haben möchte.
Liebe Petra,
AntwortenLöschenmanchmal schreibst du Beiträge, bei denen ich so mitgerissen werde, dass ich denke, du hättest sie (unter anderem auch) für mich geschrieben! Besonders in den Momenten, in denen ich irgendwie müde werde unter dem Erwartungsdruck von Verlagen, Agenten und auch Lesern. Das heißt jetzt nicht, dass ich eines Tages alles hinschmeißen werde. Aber ich muss immer wieder den Spagat schaffen zwischen "Occupy your Art", wie du schreibst und den Möglichkeiten, das an die Menschen heranzubringen. Der Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen und wird vielleicht niemals abgeschlossen sein.
Danke für den Beitrag, ich werde ihn verlinken
Christa
Chräcker hat doch tatsächlich seinen scharfen Verstand im Bauch! ;-) Und das trifft's genau, wo mich Stefan eines Denkfehlers überführt hat!
AntwortenLöschenIch hab zu selbstverliebt in meine Schlagzeile geschaut, ohne zu bemerken, dass die Occupy-Metapher an allen Ecken und Enden hinkt. Vor allem bei den 99%. (Vor solch gravierenden Fehlern bewahren einen Lektoren...)
Natürlich interessieren sich nicht 99% für Kunst. Kunst war schon immer ein Minderheitending (1%?) und wird das wohl auch bleiben. Wie du sagst, Chräcker, die Lagerhaltung, die Ladenmieten, der Profit - Minderheit lohnt sich - oberflächlich besehen - überhaupt nicht.
Aber jeder Mainstream, jeder Bestseller war einmal Minderheit. Harry Potter, die Biss-Bücher, das Phänomen Jonathan Frantzen oder die Dame mit den Feuchtgebieten im Schoß - die alle wurden (mal abgesehen davon, was davon Kunst ist und was nicht) nicht groß, weil sie irgendeinem Trend hinterherrannten oder den Lektoren lieferten, was die sich für ihr Zielpublikum vom Controler haben ausrechnen lassen. Und - diese Nische wurde Mainstream, als ihr auch genug "Schaufläche" geboten wurde, sprich Regalplatz, sprich Feuilletonseiten, Internet etc. pp. (Abgesehen davon, dass die meisten gewagten Erfolge aus dem englischsprachigen Raum kommen, die in ihrem Buchmarkt viel stärker experimentieren können und dann als bequeme Erfolgslizenz eingekauft werden).
Und das sagte ja auch der 3sat-Beitrag: diese hochgefeierten, schweinsteuer verhökerten Künstler waren irgendwann mal unbekannt und haben es irgendwann in diese Massenaufmerksamkeit geschafft.
Der Laie mag meinen: Ist ja alles in Butter. Dann macht mal und lasst euch entdecken! Dumm nur, dass gewisse Buchläden nicht mal alle Verlage ins Programm nehmen. Wer die brutalen Rabatte nicht stemmen kann oder will, bleibt draußen. Wer zu oft draußen bleibt, wird vom Feuilleton vergessen. Wer nirgends sichtbar ist, kommt nicht an Kundschaft. Auf die Spitze getrieben: Muss ein Autor darum nur noch auf rabattfreudige Großverlage schielen? Das kann der Weg nicht sein...
Ich behaupte seit längerem frech und dreist, dass uns das Internet und neue Kommunikationsmethoden ein wunderbares Werkzeug an die Hand geben, sich diese Nische zu krallen (die in Kettenbuchläden kaum noch geht) und diese 1% so effektiv anzuquatschen, dass man auf 99% seiner Leserschaft trifft. Was mehr sein könnte, als die Masse von 99% gnadenlos zu langweilen. Hier sieht man: Ich war in Mathe noch nie gut. :-)
Und da greift, was du vorschlägst, Chräcker: Neue Wege suchen. Unkonventionelles machen. Self Publishing mag ein Weg sein (aber dann ist man selbst der "Verlag", der sich totmalocht). Ich könnte mir aber auch in Partnerschaft mit Verlagen so etwas vorstellen, mit noch mehr Schlagkraft. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass Indieverlage stärker miteinander Aktionen planen. Dass Verlage mit weniger Finanzen Vertriebskooperativen bilden. Ich kann mir vorstellen, wie Buchhändler sich zu einem Grossisten für kleinere Verlage zusammenschließen, wie sich unabhängige Buchhändler verbünden und ein alternatives Feuilleton entsteht.
Stopp. Ich träume schon wieder. ;-) Einiges davon gibt es aber im Ausland und es funktioniert, erhält die Vielfalt. Ganz so doof können die 99% LeserInnen also doch nicht sein...
Hab ich schon gesagt, dass ich zwar viel und laut denke, aber auch keine Lösung habe? ;-)
@Stefan
AntwortenLöschenBei Bildender Kunst kann ich nicht so mitreden, da kenne ich mich zu wenig aus. Was aber ein "occupy Schirn" soll, erschließt sich mir auch nach Lesen deiner Website nicht (wo ich spontan an die sauren Trauben denken muss). Es sind doch nicht die Kunsthallen die Übeltäter - die sind mittlerweile genauso ausgeliefert. Kam in dem Film auch vor, dass sie kaum noch das Geld haben, bei Auktionen mitzubieten und so immer abhängiger von Sammlern werden. "occupy Kulturdezernat" wäre in diesem Fall vielleicht zielführender? ;-) (Und wenn wir Einrichtungen wie die wunderbare Schirn nicht hätten, wer würde sich dann überhaupt noch für Kunst interessieren?)
Ich kann nur von den Autoren sprechen. Gewiss sind auch die ängstlich und könnten weit mehr experimentieren. Wie ich das beobachte, kommt es. Es braucht Zeit. Man muss eine Menge lernen (ich verfluche Konvertierungsprogramme an dieser Stelle). Und es hakt, wie du sagst, an gewissen Strukturen. In unserem Fall ist das der Vertrieb.
Ich glaube, "occupy" Aktionen (Büchertische von Kleinverlagen vor Thalia? Vertreter okkupieren Buchladen?) sind zwar witzig, schaffen kurz Aufmerksamkeit - aber sie beseitigen nicht das Problem. Eine Lösung für den Vertrieb und die Distribution habe ich nicht. Viele Autoren rennen jetzt mit E-Books zu Amazon, aber sie bedenken nicht, dass sie damit noch mehr die kleineren Strukturen zerstören. Wenn aber die kleinen Strukturen nichts mehr für sie tun? Ein Teufelskreis?
@Christa
Danke für das Kompliment. Wenn ich bei vielen den Eindruck erwecke, ich würde nur für diese Leserin, diesen Leser schreiben, dann mache ich wenigstens etwas richtig :-)
@Chräcker
Das E-Book kommt und andere folgen. Aber im Moment fehlt mir der Butler, der's herstellt. Der Lebensunterhaltszwang schreit...
Ein sehr tröstlicher Artikel. Ich persönlich ringe gerade selbst mit mir, ob ich meine Literatur und Sprache, die ich jahrlang entwickelt und gefeilt habe, verwerfe und mich dem Markt anpasse. Immer wieder komme ich aber zu dem Schluss: "Nein!" Damit ginge der Kern der Literatur, die ich schreibe, verloren. "Und Ja!" Ich habe mich vom Markt so einlullen lassen, dass ich dachte, ich bin erst ein Künstler, wenn ich ein Buch verkaufe. Ich schreibe über Themen, bei denen jeder Lektor vom Stuhl kippen würde. Ich schreibe in einer Sprache, die meine Zuschauer (ich gebe derzeit nur Lesungen) entweder jubeln oder weinen lässt. Ich bin nicht leicht zu verdauen und habe derzeit das Gefühl, in kein Verlags-Programm zu passen. Wozu habe ich mich also entschieden? Ich liebe die Literatur zu sehr und ich will mich in dem, was ich produziere wiederfinden können. Das ist MEIN künstlerischer Ausdruck. Das ist authentisch und das ist Kunst.
AntwortenLöschenDie Welt ist für eine sensible Künstlerseele sehr trostlos, aber war es früher nicht auch so?
Liebe Jessica,
AntwortenLöschenich kann dein Dilemma sehr gut nachvollziehen. Zumal man bei all den Fragen, die ich mir auch oft stelle, meist sich zuerst fragt: Und was ist, wenn ich mich in meiner Überzeugung nun doch täusche? Wenn ich mir etwas vormache mit meiner Kunst?
Selbstzweifel und Sich-in-Frage-Stellen sind notwendig - aber ab wann wird der Selbstzweifel schädlich?
Das Problem ist ja - selbst wenn man "Nische" produziert, wird die Kunst erst eine, wenn auch Publikum darauf reagiert. Also muss ich irgendwie an die Öffentlichkeit. Damit stelle ich mich in unserem System automatisch einem Markt. Ob ein Markt Millionen umfasst oder drei Leute - es ist einer.
Ich habe über die Jahre - oft schmerzhaft - zwei Dinge gelernt: Wenn ich mich allzu sehr auf "Markt" schielend verbiege, bin ich nicht so gut, wie ich sein könnte. Absolut heilsam war der Versuch, das Gegenteil zu erreichen - ich bewarb mich bei einer Agentur für Yellow Press. Die Agentin schrieb mir, ich solle ihr versprechen, literarisch an mir zu arbeiten, für Yellow Press sei ich grottenschlecht.
- Und ich muss SEHR aufpassen, auf wessen Anregungen und Kritik ich wirklich höre: Sind das Menschen vom Fach, die mich tatsächlich fördern und vor allem fordern? Oder sind das Menschen, denen die Abrechnung vor dem Inhalt kommt? Ich wurde die ersten Jahre falsch beraten, hatte kein Rückgrat, und verlor wertvolle Zeit...
Wenn du es tatsächlich schaffst, ein Publikum so zu berühren (und nicht nur aufgrund von schauspielerischen Leistungen), dann ist das das Höchste, was man erreichen kann! Hast du mal überlegt, wie du diese Art Publikum in größerem Stil erreichen könntest? Was lesen sie für Bücher, aus welchen Verlagen, die vergleichbar wären? Ist dieses Publikum nur lokal begrenzt oder wäre es landesweit zu finden? Würde das Publikum deine Bücher kaufen - und warum die nicht auch selbst machen?
Manchmal findet man durch diese Art des Fragens den einen kleinen feinen Verlag, den man noch nicht kannte. Oder auch ungewöhnliche Arten des Schreibens, die mit dem Verlagswesen überhaupt nichts zu tun haben.
Trostlos ist es oft. Aber dann auch wieder so befriedigend und wunderschön! Meine schönsten Momente habe ich durch Leserinnen und Leser. Vor allem dann, wenn sie sich so öffnen, dass ich von ihnen etwas über mein Schreiben lernen kann. Sie sind sich dessen oft gar nicht bewusst. Inzwischen höre ich auch auf manche Leser. So fragte mich eine, die ich persönlich kenne, wenn ich doch fürs Hörmedium geschrieben hätte und solche Geschichten wie über Nijinsky so schreiben könne, ob ich nicht ein Thema für die Bühne bearbeiten könnte. Ja, warum eigentlich nicht? Das wird nie ein Buch, nie etwas für einen Verlag, aber muss man denn immer nur Bücher schreiben?
In diesem Sinne wünsche ich dir ein fantastisches Publikum!