Blaurausch und Museumsblues
Ich bin vorhin bei meinem Leib- und Magenbuchhändler in den Laden gestürzt und habe gemeint: "Ich brauche jetzt dringend einen Ort der Intelligenz!" Fragt er mich natürlich, woher ich denn käme. Aus dem Museum Frieder Burda - Ausstellung Der blaue Reiter. Nein, der Blaue Reiter ist nicht schuld, ich erzähle mal der Reihe nach...
Aus dunkelgrauen 15 Vogesengrad habe ich mich heute aufgerafft und bin in einem toskanaheißen sonnigen Baden-Baden gelandet, um den Mann zu besuchen, den ich so liebe. Vielmehr das, was von ihm noch übrig ist. Wenn Bilder von Wassilij Kandinsky irgendwo in erreichbarer Nähe ausgestellt werden, bin ich ganz sicher dort zu finden. Sie sind ein ganz besonderes synästhesistisches Vergnügen, sehhörfühlbar für mich. Und nach all den Monaten mit den Ballets Russes war ich natürlich besonders neugierig darauf, vor Bildern zu stehen, die zu genau dieser Zeit noch feucht waren...
Ich hätte heute etwas darum gegeben, hundert Jahre zurückzudrehen und mit Kandinsky im Russenhaus eine zu rauchen, obwohl ich nicht rauche. Denn im Museum bekam ich einen leichten Kulturschock. Den letzten Kandinsky genoss ich noch im Straßburger Musée de l'Art Moderne, in wunderbaren Rauminstallationen, in denen seine Bilder mit denen von anderen Künstlern zu sprechen begannen und kleine Kinder am Computer mit Eigenbasteleien aus Formenkompositionen Musik schufen. (Ich muss gestehen, dass ich mich in französischen Museen immer in den Kinderbereich verirre, weil ich so gern mitmachen würde beim Sinnen-Rauschen-Lassen.)
Das Museum Frieder Burda habe ich bisher nur recht leer erlebt - und dafür scheint der architektonisch sicher reizvolle Bau geschaffen zu sein: Für ein Museum ohne Menschen. Das klingt böse, aber bei einer Ausstellung mit diesem Andrang werden die ellenlangen engen Qualrampen zum Nadelöhr für menschliche Boxautos. Rollstuhlfahrer, an die man dabei besonders dachte, sollten Kuhfänger tragen. Überhaupt sollte man nicht allzu invalide sein. Da ich mit einer verletzten Hand immer noch etwas einarmig bin, griff ich natürlich zum kleinen Stadtrucksack. Mindestens drei Damen stürzten sich sofort auf mich, den müsse ich abgeben oder auf dem Bauch tragen. Aha. Brav gab ich ihn ab und bekam dafür mindestens zehn Guccis und Hermèstaschen in die Seite gerammt, die man nicht wie ein Känguruh tragen muss. Lesebrille ging auch nicht. Die eingezeichneten Abstandslinien liegen außerhalb des Lesebereichs. Für die Normalbrille hätte ich eigentlich hinter den Menschentrauben stehen müssen.
Hier wird das Labyrinthische, das Kleinräumige im Großen zum architektonischen Handicap. Jeder steht jedem im Weg, für manches Großformat reicht der Abstand nicht mehr, die vergrößerten Fotos im Treppenhausbereich sind nur im Rückenkontakt mit anderen zu betrachten. Wenn dann noch jemand die Treppe für das benutzen will, wozu sie da ist, geht nichts mehr. Noch ein Spaß für Brillenträger ist die Beleuchtung. Ich trage ja nun schon superentspiegelte Gläser, damit mich auch Autoscheinwerfer bei nächtlichem Regen nicht stören. Aber es wollte mir bei einigen mit Spiegelglas geschützten Bildern selbst auf Zehenspitzen kaum gelingen, statt der Scheinwerfer und mir das Gemälde im Ganzen zu betrachten. Schade schade schade...
Vielleicht bin ich besonders krittelig, ich weiß es nicht. Ich war auch ziemlich die einzige, die nicht mit diesen kreischenden Bildungskopfhörern herumlief, die knochentrocken ihre Träger anwiesen, was sie sich jetzt wie anzuschauen hätten und wann in welchem Quartal der Pinselstrich gesetzt wurde. Ich war auch nicht bei den Gruppenführungen dabei, wo einer fragte, wie alt denn Kandinsky geworden sei und die Führerin sagte, sie müsse erst mal nachschauen, wann der gelebt habe. Der Rest klang wie das, was man aus alten Burgen, Tropfsteinhöhlen und Heimatmuseen kennt. Aber das Schulmeisterliche, das verstaubt Verkopfte passte zur braven Art, in der man die Gemälde gehängt hat. Fein nach Jahreszahlen geordnet in Etagen, fein nach den Personen des Blauen Reiters sortiert und dann noch mal irgendwie nach Häuschen und Blumen und Abstrakt und so...
In diesem Umfeld fühlt man die Wucht von Schönheit umso mehr. Die Bilder sind umwerfend. Und nach Kandinskys Blau könnte ich süchtig werden, diesem Die-Welt-ist-Tief-Blau, Die-Welt-klingt-Blau. Solche Farbsymphonien und Formenrhythmen kann kein Besserwisserkopfhörer übertönen, zum Glück. Dass ich auch die Ballets Russes Farben tanzen sah, will ich lieber still genießen. Ich werde wieder hingehen, vielleicht nicht nur einmal, trunken werden von Bildschätzen und Farbenklang, der die Schwätzer-Welt ausblendet, das Wesen hinter den Dingen zeigt.
Und sicher werde ich wieder traurig werden, wie man eine solch sinnenfreudige Kunst derart sinnenlos und bildungsgrau und verkopft in Datenlinien und Auswendigkram darbringen kann (und ich habe Kandinsky auch in Deutschland schon wahrhaft anders präsentiert gesehen). Auf Anhieb fallen mir wieder zehn Buchprojekte ein, wie man Menschen Kunst näher bringen könnte - aber die kauft dann wieder kein Verlag, weil Kunst ja nicht gefragt sei. Das Durchschnittsalter in diesem Museum lag heute bei 60 Jahren. Sicher, junge Menschen arbeiten um die Zeit, aber nach Feierabend (18 Uhr) schließt das Museum auch. Und doch - in einem französischen Museum sind an Werktagen Schüler- und Jugendgruppen unterwegs. Wo sind all die jungen Kunstliebhaber?
Dann das Erschreckendste: Die Menschen in diesen Hallen waren so hilflos. Da war so viel Durst nach Zugang, nach fühlbarem Zugang. Angst vor der Kunst war spürbar, Schwellenangst, Angst beim großen Wissensquiz zu versagen, oder nicht die richtigen Flecken im Bild zu loben, nicht die richtige Miene an der richtigen Stelle zu machen. Welch unendliche Welten lagen zwischen diesen Zagenden und den Kindern in Strasbourg, die in respektloser Lust Kandinsky'sche Formen montierten.
Der echte Kulturschock kam aber noch. Natürlich war ich im Museumsshop, sah mich schon mit Stapeln von Kunstpostkarten herauskommen. Von wegen. Schweigen wir das Kapitel besser tot. Ramsch, Tinnef, Andenkenkrempel und immerhin der Ausstellungskatalog (der lohnt sich unbedingt). Vor Gunther Sachsens Riesenfotos im Untergeschoss musste ich dann wegblinzeln, das war Clash of Cultures, der alternde nackte Reiter zum ewig jungen Blauen Reiter. Mir blieb die Flucht zum Buchhändler.
Meine Empfehlung: Die größere Postkartensammlung, die bessere Buchauswahl zum Blauen Reiter (inklusive Katalog) und obendrein antiquarische Bücher zum Thema findet man bei der Buchhandlung Strass in der Altstadt neben dem Löwenbräu - der zehnminütige Umweg lohnt sich. Ein zauberhaftes Mitbringsel für Freunde ist "Der Blaue Reiter" von Prestel im Miniformat. Auch als Kunstinhalator für die Handtasche geeignet! Und dann fiel ich noch über ein antiquarisches Buch aus dem gleichen Verlag, mit dem ich mich belohnt habe: Franz Marc - Else Lasker-Schüler: "Der Blaue Reiter präsentiert Eurer Hoheit sein Blaues Pferd. Karten und Briefe." Diese geschriebene und gezeichnete Austausch zwischen den beiden Künstlern ist ein Genuss für Liebhaber.
Kurzum: Ausstellung unbedingt ansehen (bis zum 8. November verlängert) und nicht zu sehr auf das Umfeld achten. Und natürlich gibt's nicht nur Kandinsky zu sehen, sondern auch Bilder von Münter, Jawlensky, Klee, Marc, Macke und Werefkin.
Aus dunkelgrauen 15 Vogesengrad habe ich mich heute aufgerafft und bin in einem toskanaheißen sonnigen Baden-Baden gelandet, um den Mann zu besuchen, den ich so liebe. Vielmehr das, was von ihm noch übrig ist. Wenn Bilder von Wassilij Kandinsky irgendwo in erreichbarer Nähe ausgestellt werden, bin ich ganz sicher dort zu finden. Sie sind ein ganz besonderes synästhesistisches Vergnügen, sehhörfühlbar für mich. Und nach all den Monaten mit den Ballets Russes war ich natürlich besonders neugierig darauf, vor Bildern zu stehen, die zu genau dieser Zeit noch feucht waren...
Ich hätte heute etwas darum gegeben, hundert Jahre zurückzudrehen und mit Kandinsky im Russenhaus eine zu rauchen, obwohl ich nicht rauche. Denn im Museum bekam ich einen leichten Kulturschock. Den letzten Kandinsky genoss ich noch im Straßburger Musée de l'Art Moderne, in wunderbaren Rauminstallationen, in denen seine Bilder mit denen von anderen Künstlern zu sprechen begannen und kleine Kinder am Computer mit Eigenbasteleien aus Formenkompositionen Musik schufen. (Ich muss gestehen, dass ich mich in französischen Museen immer in den Kinderbereich verirre, weil ich so gern mitmachen würde beim Sinnen-Rauschen-Lassen.)
Das Museum Frieder Burda habe ich bisher nur recht leer erlebt - und dafür scheint der architektonisch sicher reizvolle Bau geschaffen zu sein: Für ein Museum ohne Menschen. Das klingt böse, aber bei einer Ausstellung mit diesem Andrang werden die ellenlangen engen Qualrampen zum Nadelöhr für menschliche Boxautos. Rollstuhlfahrer, an die man dabei besonders dachte, sollten Kuhfänger tragen. Überhaupt sollte man nicht allzu invalide sein. Da ich mit einer verletzten Hand immer noch etwas einarmig bin, griff ich natürlich zum kleinen Stadtrucksack. Mindestens drei Damen stürzten sich sofort auf mich, den müsse ich abgeben oder auf dem Bauch tragen. Aha. Brav gab ich ihn ab und bekam dafür mindestens zehn Guccis und Hermèstaschen in die Seite gerammt, die man nicht wie ein Känguruh tragen muss. Lesebrille ging auch nicht. Die eingezeichneten Abstandslinien liegen außerhalb des Lesebereichs. Für die Normalbrille hätte ich eigentlich hinter den Menschentrauben stehen müssen.
Hier wird das Labyrinthische, das Kleinräumige im Großen zum architektonischen Handicap. Jeder steht jedem im Weg, für manches Großformat reicht der Abstand nicht mehr, die vergrößerten Fotos im Treppenhausbereich sind nur im Rückenkontakt mit anderen zu betrachten. Wenn dann noch jemand die Treppe für das benutzen will, wozu sie da ist, geht nichts mehr. Noch ein Spaß für Brillenträger ist die Beleuchtung. Ich trage ja nun schon superentspiegelte Gläser, damit mich auch Autoscheinwerfer bei nächtlichem Regen nicht stören. Aber es wollte mir bei einigen mit Spiegelglas geschützten Bildern selbst auf Zehenspitzen kaum gelingen, statt der Scheinwerfer und mir das Gemälde im Ganzen zu betrachten. Schade schade schade...
Vielleicht bin ich besonders krittelig, ich weiß es nicht. Ich war auch ziemlich die einzige, die nicht mit diesen kreischenden Bildungskopfhörern herumlief, die knochentrocken ihre Träger anwiesen, was sie sich jetzt wie anzuschauen hätten und wann in welchem Quartal der Pinselstrich gesetzt wurde. Ich war auch nicht bei den Gruppenführungen dabei, wo einer fragte, wie alt denn Kandinsky geworden sei und die Führerin sagte, sie müsse erst mal nachschauen, wann der gelebt habe. Der Rest klang wie das, was man aus alten Burgen, Tropfsteinhöhlen und Heimatmuseen kennt. Aber das Schulmeisterliche, das verstaubt Verkopfte passte zur braven Art, in der man die Gemälde gehängt hat. Fein nach Jahreszahlen geordnet in Etagen, fein nach den Personen des Blauen Reiters sortiert und dann noch mal irgendwie nach Häuschen und Blumen und Abstrakt und so...
In diesem Umfeld fühlt man die Wucht von Schönheit umso mehr. Die Bilder sind umwerfend. Und nach Kandinskys Blau könnte ich süchtig werden, diesem Die-Welt-ist-Tief-Blau, Die-Welt-klingt-Blau. Solche Farbsymphonien und Formenrhythmen kann kein Besserwisserkopfhörer übertönen, zum Glück. Dass ich auch die Ballets Russes Farben tanzen sah, will ich lieber still genießen. Ich werde wieder hingehen, vielleicht nicht nur einmal, trunken werden von Bildschätzen und Farbenklang, der die Schwätzer-Welt ausblendet, das Wesen hinter den Dingen zeigt.
Und sicher werde ich wieder traurig werden, wie man eine solch sinnenfreudige Kunst derart sinnenlos und bildungsgrau und verkopft in Datenlinien und Auswendigkram darbringen kann (und ich habe Kandinsky auch in Deutschland schon wahrhaft anders präsentiert gesehen). Auf Anhieb fallen mir wieder zehn Buchprojekte ein, wie man Menschen Kunst näher bringen könnte - aber die kauft dann wieder kein Verlag, weil Kunst ja nicht gefragt sei. Das Durchschnittsalter in diesem Museum lag heute bei 60 Jahren. Sicher, junge Menschen arbeiten um die Zeit, aber nach Feierabend (18 Uhr) schließt das Museum auch. Und doch - in einem französischen Museum sind an Werktagen Schüler- und Jugendgruppen unterwegs. Wo sind all die jungen Kunstliebhaber?
Dann das Erschreckendste: Die Menschen in diesen Hallen waren so hilflos. Da war so viel Durst nach Zugang, nach fühlbarem Zugang. Angst vor der Kunst war spürbar, Schwellenangst, Angst beim großen Wissensquiz zu versagen, oder nicht die richtigen Flecken im Bild zu loben, nicht die richtige Miene an der richtigen Stelle zu machen. Welch unendliche Welten lagen zwischen diesen Zagenden und den Kindern in Strasbourg, die in respektloser Lust Kandinsky'sche Formen montierten.
Der echte Kulturschock kam aber noch. Natürlich war ich im Museumsshop, sah mich schon mit Stapeln von Kunstpostkarten herauskommen. Von wegen. Schweigen wir das Kapitel besser tot. Ramsch, Tinnef, Andenkenkrempel und immerhin der Ausstellungskatalog (der lohnt sich unbedingt). Vor Gunther Sachsens Riesenfotos im Untergeschoss musste ich dann wegblinzeln, das war Clash of Cultures, der alternde nackte Reiter zum ewig jungen Blauen Reiter. Mir blieb die Flucht zum Buchhändler.
Meine Empfehlung: Die größere Postkartensammlung, die bessere Buchauswahl zum Blauen Reiter (inklusive Katalog) und obendrein antiquarische Bücher zum Thema findet man bei der Buchhandlung Strass in der Altstadt neben dem Löwenbräu - der zehnminütige Umweg lohnt sich. Ein zauberhaftes Mitbringsel für Freunde ist "Der Blaue Reiter" von Prestel im Miniformat. Auch als Kunstinhalator für die Handtasche geeignet! Und dann fiel ich noch über ein antiquarisches Buch aus dem gleichen Verlag, mit dem ich mich belohnt habe: Franz Marc - Else Lasker-Schüler: "Der Blaue Reiter präsentiert Eurer Hoheit sein Blaues Pferd. Karten und Briefe." Diese geschriebene und gezeichnete Austausch zwischen den beiden Künstlern ist ein Genuss für Liebhaber.
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