Kaffee für Cocteau
Erwachsene sind doof. Wie die Bekloppten kaufen sie Harry Potter und All-Ager-Fantasy, aber kindliche Fantasie geht ihnen völlig ab. Schlimmer noch. Anstatt sich über die erweiterten Fähigkeiten ihrer Kinder zu freuen und von ihnen zu lernen, schleppen sie sie zum Arzt. "Herr Doktor, mein Kind ist kaputt, es sieht etwas, was ich nicht sehe, können Sie es reparieren?" Im besten Fall gibt der Doktor dann Trost: "Das wächst sich aus, das ist nur eine Phase, das vergeht wieder, Ihr Kind wird eines Tages vernünftig werden." Manchmal wird es das aber nicht.
Mir so geschehen als Kind und sicher Millionen anderen auch. Meine Mutter schleppte mich ziemlich oft zum Kinderarzt, weil sie befürchtete, mit mir könne irgend etwas nicht ganz richtig sein. Beim ersten Mal war ich noch so klein, dass ich nicht schreiben konnte. Also musste ich reden. Und das tat ich denn auch ausgiebig und vorzugsweise, wenn ich auf ein gewisses Örtchen ging. Dort saß nämlich der lustige Seppl auf dem Badewannenrand und wir waren ungestört von den Erwachsenen. Ich muss wohl nicht verraten, dass ich auch ins Bad ging, ohne das zu müssen. Ich konnte Seppele ja nicht warten lassen.
Seppl war besser als jeder Teddybär - er antwortete einem nämlich und hatte jede Menge zu erzählen. Man konnte herrlich mit ihm tratschen, vor allem, wenn die Freunde gerade keine Zeit hatten. Nur einen Nachteil hatte Seppl - man konnte ihn nicht anfassen, dann verschwamm er mit dem Badewannenweiß und löste sich auf in seine eigene Dimension. Also wartete ich, bis er sich gemütlich auf seinem Sitzplatz eingerichtet hatte und sich langsam bunt färbte. Hach, was zogen wir herrlich über die Erwachsenen her, was erzählten wir uns für Geschichten!
Klar, Erwachsene konnten Seppl nicht sehen. Aber Maxi. Maxi war ein junger Star, den wir mit der Hand aufgezogen hatten, weil er aus dem Nest gefallen war. Als er flügge wurde und in die Freiheit kam, folgte er mir überallhin im Garten. So fand Seppl aus seinem Bad hinaus. Ich machte die beiden miteinander bekannt. Und als ich den Erwachsenen noch ein Jahr später erzählte, dass Maxi komme, wenn ich ihn rufe, und wir mit Seppl einen riesigen Spaß hätten - da brachten sie mich zum Kinderarzt. Obwohl sogar ein Erwachsener, so ein Franzl oder so ähnlich, auch mit Vögeln und Tieren hat reden können.
Ich hatte verdammt viel Glück mit meinem Kinderarzt. Der erklärte nämlich den Erwachsenen, dass sie das als Kinder auch noch konnten und nur verlernt hätten. Die meisten Kinder hätten mindestens einen "imaginären Freund". Und der sei irgendwie gesund für die Entwicklung. Und dann verliere der sich wieder. Denkste, jetzt, wo ich das schreibe, kann ich Seppele wieder sehen. Er sitzt auf dem Druckertisch und feixt.
Ich musste später, so ungefähr mit fünf Jahren, noch einmal zum Arzt. Weil ich partout nicht wie andere Kinder funktionieren wollte. Gab man mir nämlich Papier und Buntstifte in die Hand, fing ich nicht an zu malen, sondern schrieb Geschichten. Und weil ich ja noch nicht lesen und schreiben konnte, erfand ich eine eigene Geheimschrift, ein schriftähnliches Krikelkrakel. Seite um Seite schrieb ich voll mit all dem, was mir Schmetterlinge und kleine Elfen erzählten. "Um Himmels Willen, mein Kind arbeitet nach Elfendiktat!", müssen meine Eltern geklagt haben. Und wie standen sie vor anderen Leuten da, wenn die reihum die bunten Bilder ihrer Sprösslinge herumzeigten und damit angaben? Zwar malte auch ich, aber Schreiben war mir wichtiger. In bunter Krikelkrakelschrift.
Wieder hatte ich Glück, nicht auf Gedeih und Verderb meinen Eltern ausgeliefert zu sein. Mein Arzt verschrieb mir Tapetenrollen. Das sei billiger und halte länger vor. Weiser Mann. Künftig musste ich nur etwas häufiger meine Wachsmalkreiden und Buntstifte anspitzen. Denn auf der Rückseite einer Tapetenrolle bekommt man jede Menge Geschichten unter. Wenn man so will, war mein erstes Buch eine Schriftrolle in Sechziger-Jahre-Design. Leider lesbar nur von mir, Seppele und Maxi. Ein Grund für mich, ein Jahr später fleißig in der Schule Schreiben und Lesen zu lernen. Ein Vogel und ein Luftikus aus einer anderen Dimension waren eindeutig zu wenig Publikum.
Tja, und jetzt, wo ich selbst fast Großmutter sein könnte, kommen die Wissenschaftler endlich auf etwas, nach dem sie längst Kinder hätten fragen können. Seppele hätte ihnen das auch erzählen können: Imaginäre Freunde im Kindesalter fördern Erzähl- und Lesefertigkeiten.
Ich grinse mir eins. Von wegen Kindesalter. Als Schriftsteller bekommt man das nie los. Man lernt im Gegenteil, Eier zu legen, aus denen immer wieder frische imaginäre Freunde schlüpfen. Die nennt man dann Romanfiguren. Kaum einer ahnt, dass sich sogar Sachbuchfiguren frech zum Frühstück einladen können. Da kaut man nichtsahnend an einem Honigbrötchen und einem Problem im dritten Kapitel, plötzlich setzt sich Cocteau an den Tisch, grapscht sich meinen Milchkaffee und sticht mit spitzem Finger aufs Manuskript. "Ma chère, so will ich nicht enden! Denk nach, der Aga Khan war da, das Essen war vorzüglich, traust du mir da solch eine Gemeinheit zu?" Ich denke nach...
Und nein, natürlich erzähle ich jetzt nicht von Schriftsteller-Eingemachtem im Beisein angeblich imaginärer Buchfiguren. Ich verrate auch nicht, dass die nie sterben, sondern immer mehr werden, von Buch zu Buch. Sonst kommt womöglich jemand und schleppt mich ein drittes Mal zum Arzt. Und dann muss ich wieder 40 Jahre warten, bis ein Wissenschaftler herausfindet, welche Vorteile es bringt, wenn man Cocteau einen Milchkaffee kocht.
Link zum Fachartikel via @Sprachwelt
Mir so geschehen als Kind und sicher Millionen anderen auch. Meine Mutter schleppte mich ziemlich oft zum Kinderarzt, weil sie befürchtete, mit mir könne irgend etwas nicht ganz richtig sein. Beim ersten Mal war ich noch so klein, dass ich nicht schreiben konnte. Also musste ich reden. Und das tat ich denn auch ausgiebig und vorzugsweise, wenn ich auf ein gewisses Örtchen ging. Dort saß nämlich der lustige Seppl auf dem Badewannenrand und wir waren ungestört von den Erwachsenen. Ich muss wohl nicht verraten, dass ich auch ins Bad ging, ohne das zu müssen. Ich konnte Seppele ja nicht warten lassen.
Seppl war besser als jeder Teddybär - er antwortete einem nämlich und hatte jede Menge zu erzählen. Man konnte herrlich mit ihm tratschen, vor allem, wenn die Freunde gerade keine Zeit hatten. Nur einen Nachteil hatte Seppl - man konnte ihn nicht anfassen, dann verschwamm er mit dem Badewannenweiß und löste sich auf in seine eigene Dimension. Also wartete ich, bis er sich gemütlich auf seinem Sitzplatz eingerichtet hatte und sich langsam bunt färbte. Hach, was zogen wir herrlich über die Erwachsenen her, was erzählten wir uns für Geschichten!
Klar, Erwachsene konnten Seppl nicht sehen. Aber Maxi. Maxi war ein junger Star, den wir mit der Hand aufgezogen hatten, weil er aus dem Nest gefallen war. Als er flügge wurde und in die Freiheit kam, folgte er mir überallhin im Garten. So fand Seppl aus seinem Bad hinaus. Ich machte die beiden miteinander bekannt. Und als ich den Erwachsenen noch ein Jahr später erzählte, dass Maxi komme, wenn ich ihn rufe, und wir mit Seppl einen riesigen Spaß hätten - da brachten sie mich zum Kinderarzt. Obwohl sogar ein Erwachsener, so ein Franzl oder so ähnlich, auch mit Vögeln und Tieren hat reden können.
Ich hatte verdammt viel Glück mit meinem Kinderarzt. Der erklärte nämlich den Erwachsenen, dass sie das als Kinder auch noch konnten und nur verlernt hätten. Die meisten Kinder hätten mindestens einen "imaginären Freund". Und der sei irgendwie gesund für die Entwicklung. Und dann verliere der sich wieder. Denkste, jetzt, wo ich das schreibe, kann ich Seppele wieder sehen. Er sitzt auf dem Druckertisch und feixt.
Ich musste später, so ungefähr mit fünf Jahren, noch einmal zum Arzt. Weil ich partout nicht wie andere Kinder funktionieren wollte. Gab man mir nämlich Papier und Buntstifte in die Hand, fing ich nicht an zu malen, sondern schrieb Geschichten. Und weil ich ja noch nicht lesen und schreiben konnte, erfand ich eine eigene Geheimschrift, ein schriftähnliches Krikelkrakel. Seite um Seite schrieb ich voll mit all dem, was mir Schmetterlinge und kleine Elfen erzählten. "Um Himmels Willen, mein Kind arbeitet nach Elfendiktat!", müssen meine Eltern geklagt haben. Und wie standen sie vor anderen Leuten da, wenn die reihum die bunten Bilder ihrer Sprösslinge herumzeigten und damit angaben? Zwar malte auch ich, aber Schreiben war mir wichtiger. In bunter Krikelkrakelschrift.
Wieder hatte ich Glück, nicht auf Gedeih und Verderb meinen Eltern ausgeliefert zu sein. Mein Arzt verschrieb mir Tapetenrollen. Das sei billiger und halte länger vor. Weiser Mann. Künftig musste ich nur etwas häufiger meine Wachsmalkreiden und Buntstifte anspitzen. Denn auf der Rückseite einer Tapetenrolle bekommt man jede Menge Geschichten unter. Wenn man so will, war mein erstes Buch eine Schriftrolle in Sechziger-Jahre-Design. Leider lesbar nur von mir, Seppele und Maxi. Ein Grund für mich, ein Jahr später fleißig in der Schule Schreiben und Lesen zu lernen. Ein Vogel und ein Luftikus aus einer anderen Dimension waren eindeutig zu wenig Publikum.
Tja, und jetzt, wo ich selbst fast Großmutter sein könnte, kommen die Wissenschaftler endlich auf etwas, nach dem sie längst Kinder hätten fragen können. Seppele hätte ihnen das auch erzählen können: Imaginäre Freunde im Kindesalter fördern Erzähl- und Lesefertigkeiten.
Ich grinse mir eins. Von wegen Kindesalter. Als Schriftsteller bekommt man das nie los. Man lernt im Gegenteil, Eier zu legen, aus denen immer wieder frische imaginäre Freunde schlüpfen. Die nennt man dann Romanfiguren. Kaum einer ahnt, dass sich sogar Sachbuchfiguren frech zum Frühstück einladen können. Da kaut man nichtsahnend an einem Honigbrötchen und einem Problem im dritten Kapitel, plötzlich setzt sich Cocteau an den Tisch, grapscht sich meinen Milchkaffee und sticht mit spitzem Finger aufs Manuskript. "Ma chère, so will ich nicht enden! Denk nach, der Aga Khan war da, das Essen war vorzüglich, traust du mir da solch eine Gemeinheit zu?" Ich denke nach...
Und nein, natürlich erzähle ich jetzt nicht von Schriftsteller-Eingemachtem im Beisein angeblich imaginärer Buchfiguren. Ich verrate auch nicht, dass die nie sterben, sondern immer mehr werden, von Buch zu Buch. Sonst kommt womöglich jemand und schleppt mich ein drittes Mal zum Arzt. Und dann muss ich wieder 40 Jahre warten, bis ein Wissenschaftler herausfindet, welche Vorteile es bringt, wenn man Cocteau einen Milchkaffee kocht.
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