Social Media uffem Dorf
Wer mein Buch mit diesem Zander gelesen hat, der sich von einer Mahlzeit zur anderen am liebsten im Riesling ersäuft, fragt mich manchmal: "Ist es da wirklich so, wie Sie es beschreiben?" Ja, es ist, selbst nach der zweiten Auflage hat sich nichts verändert. Wer die Welten begreifen will, in denen die Autorin lebt, der verfrachtet am besten Miss Marple nach Frankreich. Winzige Dörfer - das meine hat 800 Einwohner - winzige Schtetl, idyllische Gärten, ein wenig Mord und Totschlag und tratschende alte Damen. Die letzten drei Dinge nennt man Sozialleben.
Das "soziale Netz" in Frankreich kann man weder aus der Telefonleitung beziehen noch abspeichern. Wer über keines verfügt, weil er vielleicht keine Familie hat, keine Freunde oder sich nicht integriert, wird nicht als Ausdrucker bezeichnet, sondern als Rumdrucker. Wie alle Naturvölker haben auch die Stämme hüben und drüben vom Rhein ihre über Jahrhunderte gewachsenen Rituale, um den Sozialverbund zu bekräftigen und aufrecht zu erhalten. Der kundige Ethnologe erkennt zunächst die Gemeinsamkeiten: Wer nicht dazu gehört, wir bei Elsässern wie Badnern gleichermaßen geschnitten, nur anders. Wer miteinander feiern kann, ist drin.
Schwieriger zu erkennen sind die Feinheiten der unterschiedlichen Peergroups, die heute nicht mehr zwingend vom Dorfarzt, Pfarrer, Apotheker und Bestatter angeführt werden müssen. Wer in Frankreich bei fremden Leuten nach dem Apéritif nicht geht, stinkt in etwa so wie dreitägiger Besuch bei einem Badner. Rastatter z.B. galten früher als faul, weil sie abends auf ihren Vortreppen saßen und Kautabak in die Gegend spuckten. Im Elsass macht man sich bereits verdächtig, wenn man eine von Steuergeldern finanzierte Parkbank benutzt. Dafür half man sich früher gegenseitig, tratschte beim Bäcker und erzählte Nachbarskindern Geschichten. Früher.
Jetzt erleben wir eine Sozialisierung, die selbst dem geübtesten Ethnologen die Sprache verschlägt. Sie kommt aus der Steckdose und ist über den Rhein hinweg kompatibel. Social Media verändern die Sümpfe der Auwälder, die Dauercampingplätze, Gemeinderatssitzungen und Gottesdienste - ach einfach alles. Denn Social Media, das prophezeien uns ihre Missionare, sind bald überall, wer jetzt nicht mitmacht, ist von vorgestern. Sozialverhalten misst sich künftig nicht mehr an Liebesdiensten in der Nachbarschaft, sondern an der Zahl der ... Media eben.
Heute morgen musste ich mich erst einmal zur Bäckerin durchkämpfen. Eine Traube von Hausfrauen blockierte den Eingang, um per sms Baguette und Croissants zu verlangen.
Als ich endlich an der Reihe bin, schaut mich die sonst so tratschfreudige Bäckerin mit stechendem Blick an und bellt: "Facebook oder Twitter?"
Ich stammle: "Zwei Éclairs, mit Vanille bitte."
Brüllt sie: "Machense endlich ihr Handy an, wie soll man sich denn mit Ihnen unterhalten! Wissense nicht, dass Éclairs mit Vanille out sind?"
Ich verstehe immer noch nicht, zeige auf die Auslage und bedeute ihr, dass da noch zehn Stück liegen.
"Ja LIEGEN, Madame. Aber der neueste Bäckerradar, der acht internationale Social Media Dienste abfragt, sagt, dass ein Mensch, der auf sich hält und heute noch wahrgenommen werden möchte, Éclairs mit Schoko isst. Und jetzt geh'n Sie endlich auf Twitter, verdammt noch mal, wie soll man denn sonst ungestört reden!"
Auf meinem Handy-Display erscheint eine 140-Zeichen-Tirade gegen den Bürgermeister. Gefolgt von 140 Zeichen Flüstermodus, ob ich schon gehört hätte, was Frau Dingens... Und dann: "Ich glaube, das bloggen wir lieber, hammwer mehr Platz und Kommentarfunktion für die da draußen". Als ich ihr real life antworten will, dass mich ihr Gezwitscher nicht interessiert, weil ich Tratsch nicht so mag, legt sie den Zeigefinger an die Lippen und zischt: "Loggense mal anonymisiert ein, man weiß ja nie, wer mithört."
Eine freundliche alte Dame betritt den Laden, mit der ich mich immer wieder gern unterhalte. Sie weiß viel über Kräuter und kennt wunderbare Kochrezepte. Die Bäckerin keift hinter vorgehaltener Hand: "Hartnäckige Offlinerin. Druckt nicht mal aus. Die ist bald völlig isoliert. Keine Fans, keine Follower." Sie würdigt die Frau keines Blicks, obwohl sie früher stundenlang mit ihr redete. Stattdessen empfange ich wieder eine Tweet-Flut: "Und die da vor der Tür, die Dicke, die geht jetzt 140 Zeichen verschlankt auf den Stri... na Sie wissen schon, nur männliche Follower! Wird jetzt noch dicker, weil sie sich nicht mehr bewegen muss."
Anscheinend wird ihr die Tipperei zu mühsam, denn sie beugt sich verschwörerisch über die Theke und flüstert: "Wenn Sie mir fünf Follower bringen, bekommen Sie drei Éclairs zum Preis von zweien. Aber nur Schoko."
Ich will wissen, was ich für Vanille tun muss.
"Da müssense schon mein Gewinnspiel ins Netz bringen, einen Sponsor herbeischaffen und mich fünfmal faven. Finden Sie das mal nicht zu teuer, die Bäckerei im Nachbardorf verlangt fünf Retweets obendrein!"
Ich verabschiede mich per sms und gehe nach Hause, um selbst etwas zu backen. Im Briefkasten liegt eine Verlagsabsage. Mein Manuskript sei zwar fantastisch, aber mir würden bei Facebook 300 Fans fehlen, um dem Ranking des Verlags auch nur annähernd zu entsprechen. Ja, wenn ich bereit wäre für ein Homevideo auf youtube, könne man noch einmal über diese wirklich fantastische Idee sprechen. Ich gebe online mein Manuskript an die Dicke im Dorf weiter.
Das "soziale Netz" in Frankreich kann man weder aus der Telefonleitung beziehen noch abspeichern. Wer über keines verfügt, weil er vielleicht keine Familie hat, keine Freunde oder sich nicht integriert, wird nicht als Ausdrucker bezeichnet, sondern als Rumdrucker. Wie alle Naturvölker haben auch die Stämme hüben und drüben vom Rhein ihre über Jahrhunderte gewachsenen Rituale, um den Sozialverbund zu bekräftigen und aufrecht zu erhalten. Der kundige Ethnologe erkennt zunächst die Gemeinsamkeiten: Wer nicht dazu gehört, wir bei Elsässern wie Badnern gleichermaßen geschnitten, nur anders. Wer miteinander feiern kann, ist drin.
Schwieriger zu erkennen sind die Feinheiten der unterschiedlichen Peergroups, die heute nicht mehr zwingend vom Dorfarzt, Pfarrer, Apotheker und Bestatter angeführt werden müssen. Wer in Frankreich bei fremden Leuten nach dem Apéritif nicht geht, stinkt in etwa so wie dreitägiger Besuch bei einem Badner. Rastatter z.B. galten früher als faul, weil sie abends auf ihren Vortreppen saßen und Kautabak in die Gegend spuckten. Im Elsass macht man sich bereits verdächtig, wenn man eine von Steuergeldern finanzierte Parkbank benutzt. Dafür half man sich früher gegenseitig, tratschte beim Bäcker und erzählte Nachbarskindern Geschichten. Früher.
Jetzt erleben wir eine Sozialisierung, die selbst dem geübtesten Ethnologen die Sprache verschlägt. Sie kommt aus der Steckdose und ist über den Rhein hinweg kompatibel. Social Media verändern die Sümpfe der Auwälder, die Dauercampingplätze, Gemeinderatssitzungen und Gottesdienste - ach einfach alles. Denn Social Media, das prophezeien uns ihre Missionare, sind bald überall, wer jetzt nicht mitmacht, ist von vorgestern. Sozialverhalten misst sich künftig nicht mehr an Liebesdiensten in der Nachbarschaft, sondern an der Zahl der ... Media eben.
Heute morgen musste ich mich erst einmal zur Bäckerin durchkämpfen. Eine Traube von Hausfrauen blockierte den Eingang, um per sms Baguette und Croissants zu verlangen.
Als ich endlich an der Reihe bin, schaut mich die sonst so tratschfreudige Bäckerin mit stechendem Blick an und bellt: "Facebook oder Twitter?"
Ich stammle: "Zwei Éclairs, mit Vanille bitte."
Brüllt sie: "Machense endlich ihr Handy an, wie soll man sich denn mit Ihnen unterhalten! Wissense nicht, dass Éclairs mit Vanille out sind?"
Ich verstehe immer noch nicht, zeige auf die Auslage und bedeute ihr, dass da noch zehn Stück liegen.
"Ja LIEGEN, Madame. Aber der neueste Bäckerradar, der acht internationale Social Media Dienste abfragt, sagt, dass ein Mensch, der auf sich hält und heute noch wahrgenommen werden möchte, Éclairs mit Schoko isst. Und jetzt geh'n Sie endlich auf Twitter, verdammt noch mal, wie soll man denn sonst ungestört reden!"
Auf meinem Handy-Display erscheint eine 140-Zeichen-Tirade gegen den Bürgermeister. Gefolgt von 140 Zeichen Flüstermodus, ob ich schon gehört hätte, was Frau Dingens... Und dann: "Ich glaube, das bloggen wir lieber, hammwer mehr Platz und Kommentarfunktion für die da draußen". Als ich ihr real life antworten will, dass mich ihr Gezwitscher nicht interessiert, weil ich Tratsch nicht so mag, legt sie den Zeigefinger an die Lippen und zischt: "Loggense mal anonymisiert ein, man weiß ja nie, wer mithört."
Eine freundliche alte Dame betritt den Laden, mit der ich mich immer wieder gern unterhalte. Sie weiß viel über Kräuter und kennt wunderbare Kochrezepte. Die Bäckerin keift hinter vorgehaltener Hand: "Hartnäckige Offlinerin. Druckt nicht mal aus. Die ist bald völlig isoliert. Keine Fans, keine Follower." Sie würdigt die Frau keines Blicks, obwohl sie früher stundenlang mit ihr redete. Stattdessen empfange ich wieder eine Tweet-Flut: "Und die da vor der Tür, die Dicke, die geht jetzt 140 Zeichen verschlankt auf den Stri... na Sie wissen schon, nur männliche Follower! Wird jetzt noch dicker, weil sie sich nicht mehr bewegen muss."
Anscheinend wird ihr die Tipperei zu mühsam, denn sie beugt sich verschwörerisch über die Theke und flüstert: "Wenn Sie mir fünf Follower bringen, bekommen Sie drei Éclairs zum Preis von zweien. Aber nur Schoko."
Ich will wissen, was ich für Vanille tun muss.
"Da müssense schon mein Gewinnspiel ins Netz bringen, einen Sponsor herbeischaffen und mich fünfmal faven. Finden Sie das mal nicht zu teuer, die Bäckerei im Nachbardorf verlangt fünf Retweets obendrein!"
Ich verabschiede mich per sms und gehe nach Hause, um selbst etwas zu backen. Im Briefkasten liegt eine Verlagsabsage. Mein Manuskript sei zwar fantastisch, aber mir würden bei Facebook 300 Fans fehlen, um dem Ranking des Verlags auch nur annähernd zu entsprechen. Ja, wenn ich bereit wäre für ein Homevideo auf youtube, könne man noch einmal über diese wirklich fantastische Idee sprechen. Ich gebe online mein Manuskript an die Dicke im Dorf weiter.
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