Vom Osten im Westen
Irgendwo habe ich kürzlich etwas von Russland und Abendland und Europa gemurmelt und jemand war erstaunt, dass ich das zusammenbringe. Wie viel Morgenland ist denn im Abendland Russland? Ist Russland kulturell kein Europa mehr? (Und damit ist das Kernland gemeint, das diesen Namen einbrachte, nicht die gesamte Russische Föderation!)
Dann gab es einen Plausch mit jemandem aus der Buchbranche. Ich erzählte von meinem Befremden, dass das hundertjährige Bestehen der Ballets Russes weltweit ganzjährig mit großem Aufwand und Medienecho gefeiert würde. Aber gäbe es John Neumeier mit seiner Nijinsky-Ausstellung in Hamburg nicht, die Öffentlichkeit in Deutschland hätte das Jubiläum womöglich vergessen. Ja, die Ballets Russes seien ja auch überall aufgetreten, in Paris, London, den USA, Monaco. - Und der deutschsprachige Raum? Die Ballets Russes haben in Berlin und Dresden Erfolge gefeiert, regelmäßig. Marie Rambert, die mit Nijinsky die schwierige Choreografie von Le Sacre du printemps einstudierte, war aus Hellerau bei Dresden engagiert worden. Dort gab es eine international bekannte Tanzschule eines Franzosen. Deutsche sammelten Zigarettenbildchen mit den Stars der Ballets Russes, u.a. Nijinsky! Die Ballets Russes gastierten auch in Wien und Nijinsky lebte lange in der Schweiz.
Und was hat das nun alles miteinander zu tun? Die Reaktionen von heute zeigen mir deutlich, welch tiefen Graben der Erste Weltkrieg durch die europäischen Kulturen gerissen hat. Als die Ballets Russes 1909 zum ersten Mal in Paris auftraten und ihre Tänzer damals noch zwischen Sankt Petersburg und Paris wechselten, gab es ein immens großes Europa der Kunst und Kultur ohne Grenzen im Kopf. Die Berühmtheiten des Westens ließen sich in Petersburg und Moskau inspirieren, in Paris und anderswo gab es wichtige russische Emigrantenzirkel, in denen Künstler und Intellektuelle aus und eingingen. Jemand nannte Sankt Petersburg sogar einmal "Laboratorium Europas".
Schließlich ging die Balletttruppe sogar so weit, den "Westlern" Morgenländisches ans Herz zu legen. Ihre sogenannten orientalischen Ballette wie Sheherazade oder Cleopatra wurden weltberühmt, die Frauen im Publikum kleideten sich plötzlich mit Turban und Glitzerstoffen. Auch in Deutschland spendete man diesem Orient rauschenden Applaus. Funktioniert hat er, weil er nicht echt war, sondern exotisch. Der Orientalismus jener Zeit war ein zutiefst europäisches Konglomerat aus russischer Folklore, russischen Farbgebungen und den Märchen aus 1001 Nacht. Künstler wie Matisse oder Cartier, Sonia Delaunay-Terk oder Wassilij Kandinsky nahmen Farben und Formen auf. Die Frage Ost oder West stellte sich damals nicht, man inspirierte sich gegenseitig, besuchte sich gegenseitig, arbeitete miteinander.
Der Erste Weltkrieg zerstörte dieses polyglotte vielgestaltige Europa. Und irgendwie herrschen immer noch die alten Grenzen im Kopf. Was wissen wir heute wirklich über Russland, seine Kultur, seine Kunst? Was in den Medien ist Klischee, worüber wird gar nicht berichtet? Rechts vom Rhein nehme ich oft eine Art Angst vor dem Osten wahr, die sicher geschichtlich bedingt ist, aber leider noch nicht überholt. Irgendwo "da hinten" sei alles fremd, seltsam, womöglich kein Abendland mehr...
Links vom Rhein schmunzle ich dagegen, wenn ich mir wieder einmal ein Hochglanzheft von "Coté Est" gönne, einer französischen Zeitschrift für Innenarchitektur und Deko, die sich ganz dem Charme des Ostens verschrieben hat. Da finde ich das alte Europa plötzlich wieder vereint: Französisch Sibirien etwa, das man gemeinhin Elsass nennt; Sankt Petersburg, in dem man mit Französisch immer noch prächtig durchkommt - und eine andere "Oststadt", die mit beiden in enger Verbindung lebt: Baden-Baden. Der Osten ist eine sehr relative Himmelsrichtung.
Und diesen Beitrag machen wir gleich zu unserem Rätsel Nr. 6
Wer aus allen Rätselteilen das Lösungswort bilden kann, nimmt an der Verlosung von fünf pressfrischen Ausgaben meines Hörbuchs (nach Erscheinen) teil:
Petra van Cronenburg: Ich will eine Liebesschlange. Eine Annäherung an Vaslav Nijinsky. Der Diwan Hörbuchverlag. Exklusiv fürs Hörbuch geschrieben mit Musik aus Nijinskys Balletten.
Alle bisherigen Rätselfragen auf einen Blick gibt es hier.
Die heutige Frage:
Wir suchen eine Himmelsrichtung. Der zweite Buchstabe der Himmelsrichtung ist der elfte Buchstabe des Lösungsworts.
Dann gab es einen Plausch mit jemandem aus der Buchbranche. Ich erzählte von meinem Befremden, dass das hundertjährige Bestehen der Ballets Russes weltweit ganzjährig mit großem Aufwand und Medienecho gefeiert würde. Aber gäbe es John Neumeier mit seiner Nijinsky-Ausstellung in Hamburg nicht, die Öffentlichkeit in Deutschland hätte das Jubiläum womöglich vergessen. Ja, die Ballets Russes seien ja auch überall aufgetreten, in Paris, London, den USA, Monaco. - Und der deutschsprachige Raum? Die Ballets Russes haben in Berlin und Dresden Erfolge gefeiert, regelmäßig. Marie Rambert, die mit Nijinsky die schwierige Choreografie von Le Sacre du printemps einstudierte, war aus Hellerau bei Dresden engagiert worden. Dort gab es eine international bekannte Tanzschule eines Franzosen. Deutsche sammelten Zigarettenbildchen mit den Stars der Ballets Russes, u.a. Nijinsky! Die Ballets Russes gastierten auch in Wien und Nijinsky lebte lange in der Schweiz.
Und was hat das nun alles miteinander zu tun? Die Reaktionen von heute zeigen mir deutlich, welch tiefen Graben der Erste Weltkrieg durch die europäischen Kulturen gerissen hat. Als die Ballets Russes 1909 zum ersten Mal in Paris auftraten und ihre Tänzer damals noch zwischen Sankt Petersburg und Paris wechselten, gab es ein immens großes Europa der Kunst und Kultur ohne Grenzen im Kopf. Die Berühmtheiten des Westens ließen sich in Petersburg und Moskau inspirieren, in Paris und anderswo gab es wichtige russische Emigrantenzirkel, in denen Künstler und Intellektuelle aus und eingingen. Jemand nannte Sankt Petersburg sogar einmal "Laboratorium Europas".
Schließlich ging die Balletttruppe sogar so weit, den "Westlern" Morgenländisches ans Herz zu legen. Ihre sogenannten orientalischen Ballette wie Sheherazade oder Cleopatra wurden weltberühmt, die Frauen im Publikum kleideten sich plötzlich mit Turban und Glitzerstoffen. Auch in Deutschland spendete man diesem Orient rauschenden Applaus. Funktioniert hat er, weil er nicht echt war, sondern exotisch. Der Orientalismus jener Zeit war ein zutiefst europäisches Konglomerat aus russischer Folklore, russischen Farbgebungen und den Märchen aus 1001 Nacht. Künstler wie Matisse oder Cartier, Sonia Delaunay-Terk oder Wassilij Kandinsky nahmen Farben und Formen auf. Die Frage Ost oder West stellte sich damals nicht, man inspirierte sich gegenseitig, besuchte sich gegenseitig, arbeitete miteinander.
Der Erste Weltkrieg zerstörte dieses polyglotte vielgestaltige Europa. Und irgendwie herrschen immer noch die alten Grenzen im Kopf. Was wissen wir heute wirklich über Russland, seine Kultur, seine Kunst? Was in den Medien ist Klischee, worüber wird gar nicht berichtet? Rechts vom Rhein nehme ich oft eine Art Angst vor dem Osten wahr, die sicher geschichtlich bedingt ist, aber leider noch nicht überholt. Irgendwo "da hinten" sei alles fremd, seltsam, womöglich kein Abendland mehr...
Links vom Rhein schmunzle ich dagegen, wenn ich mir wieder einmal ein Hochglanzheft von "Coté Est" gönne, einer französischen Zeitschrift für Innenarchitektur und Deko, die sich ganz dem Charme des Ostens verschrieben hat. Da finde ich das alte Europa plötzlich wieder vereint: Französisch Sibirien etwa, das man gemeinhin Elsass nennt; Sankt Petersburg, in dem man mit Französisch immer noch prächtig durchkommt - und eine andere "Oststadt", die mit beiden in enger Verbindung lebt: Baden-Baden. Der Osten ist eine sehr relative Himmelsrichtung.
Und diesen Beitrag machen wir gleich zu unserem Rätsel Nr. 6
Wer aus allen Rätselteilen das Lösungswort bilden kann, nimmt an der Verlosung von fünf pressfrischen Ausgaben meines Hörbuchs (nach Erscheinen) teil:
Petra van Cronenburg: Ich will eine Liebesschlange. Eine Annäherung an Vaslav Nijinsky. Der Diwan Hörbuchverlag. Exklusiv fürs Hörbuch geschrieben mit Musik aus Nijinskys Balletten.
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Wir suchen eine Himmelsrichtung. Der zweite Buchstabe der Himmelsrichtung ist der elfte Buchstabe des Lösungsworts.
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