das stupide "stupend"
Keine Angst, "stupend" hört man auch nur noch in gewissen Kreisen - bei ernsthaft dreinschauenden Kritikern klassischer Musik etwa, bei der Verleihung bedeutender Literaturstipendien oder - beim Bachmann Preis. Und nein, "stupend" kommt nicht von Stipendium. Es ist ein heute eigentlich überflüssiges Fremdwort, das mit dem englischen "stupendous" verwandt ist und mit dem französischen "stupéfiant". In unsere Sprache gelangte es im galanten 18. Jahrhundert, als Französisch Hofsprache war und man mit der Beherrschung desselben demonstrieren wollte, dass man weder zum Pöbel noch zu den Bürgern zählte. Auch heute noch wird das Wort zur Abrenzung der eigenen Schicht verwendet - man nennt das "bildungssprachlich". Der Bildungsbürger als Möchtegernadliger einer überkommenen Zeit ...
Bin ich von etwas stupéfié, dann heißt das nichts anderes als "erstarrt", vor Überraschung, vor Verwunderung. Ich bin so verblüfft, dass ich mich nicht regen kann. Ein Schelm, der dabei an den Stupor denkt, die Form, die dann nicht ins Fernsehen, sondern zum Psychiater gehört. Kurzum: Das Wörtchen heißt einfach nur "überraschend / verblüffend / erstaunlich".
Und warum kann man das nicht gleich so sagen, wenn es schon so schöne, treffende deutsche Wörter gibt? Nehmen wir den erlesenen Satz "Mit Venushaar ist Michail Schischkin ein Roman von stupender Komplexität und betörender Vielfalt gelungen." Schriebe der Autor geradeaus: "Mit Venushaar ist Michail Schischkin ein Roman von verblüffender Komplexität und betörender Vielfalt gelungen" - was dann? Der König stünde ohne Kleider da - wir wüssten plötzlich, dass es den Kritiker schlicht hingesetzt hat, dass er gar nicht weiß, was er vor lauter Überraschung sagen soll. Denn die Komplexität ist auch nur eine Vielfalt und die Adjektive machen das Doppelgeschwurbele nur blumiger...
Es ist gut, dass die meisten Menschen dieses Wort überhaupt nicht mehr verstehen. Sonst würde irgendwann auffallen, wie oft die ganz hohen, hehren, bildungssprachlich versierten Kritiker erstarren, gar nicht wissen, was sie sagen sollen. In den Stupor versetzen kann sie so vieles: Das Fingerspiel von Geigern und Pianistinnen, Plot oder Sprache, Technik und Komposition und manchmal sogar ein Farbauftrag. "Stupend" kommt in bildungsbürgerlichen Kritiken etwa so häufig vor wie "perlend" in Kritiken der Lokalpresse.
Aber bei so viel verstaubt vorgetragener Maximalleidenschaft für die höchste Steigerung des überraschten Erstarrens wie in der letzten Zeit kommt mir der invasive Gebrauch des Wörtchens "stupend" irgendwann nur noch stupide vor. Stupend stupide, um genau zu sein. Nach dem völligen Erstarren des Sprachvermögens bitte nachdenken, wann und wie das Wort wirklich am Platze ist!
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