Die risikoscheuen Entscheider haben inzwischen einen Grund mehr, noch scheuer zu werden. Denn wenn Computer solche Diskrepanzen zwischen Input und Output zeigen, vergleichen nicht nur User die Systeme. Der Krieg der Elefanten kündigt sich bereits an. Zuerst machte der Aufbau Verlag mit seiner Insolvenz Schlagzeilen, jetzt haben Deutschlands Bistümer keine Lust mehr auf ein allzu weltliches Weltbild, und über einen Verkauf von Bertelsmann Buchclub munkelt die Presse längst. Zum Autorenvertröster "XY ist im Urlaub" kommt eine neue Taktik hinzu: "Wir wissen nicht, wie's weitergeht" oder "wir wollen den Markt beobachten".
Die Tierchen am Ende der Nahrungskette leiden bekanntlich am meisten - und das sind die Autoren. Ich träume oft davon, meinem Stromversorger bei Präsentation seiner Rechnung sagen zu können: "Tut mir leid, der Zahler hat gerade Urlaub." Wasserrechnung bezahlen? Aber woher denn! Weiß ich, ob ich im nächsten Monat meinen Kaffee mit Wasser aus der Leitung, Regenwasser oder Sprudel koche? "Erst mal abwarten, wie sich das ergibt, den Markt beobachten!" Jeder, der dieses Jonglieren mit neuen Projekten, das früher Wochen und heute Monate dauert, nicht kennt, träumt davon, hauptberuflich Schriftsteller zu werden. Die Klischees von Reichtum und Wohlleben zwischen Computer und Swimmingpool werden ja ebenfalls fleißig von den Medien transportiert.
Die Realität sieht anders aus. Als hauptberufliche Autorin habe ich entschieden: Wenn ich, selbst bei ausreichenden Finanzen, noch ein paar Jahre diesen inneren Zen aufbringen muss, werde ich vor lauter Geduld entweder zum Esel, magenkrank oder ich platze. Ein anderes Projekt muss her; eines, bei dem ich mich einmal nicht an Elefanten ausliefere, deren Routen durch den immer weiter gerodeten Urwald ich nicht vorausbestimmen kann. Ein Projekt, für dessen Scheitern nur ich selbst verantwortlich bin. Mit Schreiben hat es direkt nichts zu tun, nur mit den Künsten allgemein, aber ich könnte ein Buch daraus machen...
Vor Jahren hätte ich zuerst das Buch geschrieben, brav auf meine Autorenlaufbahn geachtet und dann erst gewagt oder auch nicht. Und damit Zeit vertan. Jetzt mache ich es umgekehrt - und fühle mich wie neugeboren! Markt ist hier und jetzt, Künstler brauchen keine persönliche Agenda 2010. Es ist ein verrücktes Elefantenprojekt, eigentlich viel zu groß für eine einzige Frau. Dieser Elefant verlangt Konzeption, Ausgestaltung, Ideen, Planung, Bewerbungen, PR, Pressearbeit, Grafik etc. "Stell dir vor, du wärst verrückt, reich und hättest nicht mehr lang zu leben" - das war der Ratschlag einer über 70jährigen Künstlerin in Sachen Berufsideen. Also bin ich verrückt, weiß, dass ich all diese Arbeiten früher für Fremde gemacht habe und schenke sie mir nun selbst. Fange klein an, mit zwei Händen, zwei Beinen und einem Kopf. Denke minimalistisch - und unabhängig. Klein(st)kunst sozusagen.
Seither vergehen die Tage in einer seltsamen Magie, wie ich sie beim Bücherproduzieren schon lange nicht mehr gespürt habe. Ich lerne scheinbar zufällig die richtigen Leute kennen. Jemand erzählt etwas Nebensächliches - und es ist genau das mir fehlende Mosaiksteinchen. Ich kann Menschen spontan davon begeistern und statt eines "oh, das müssen wir erst beraten, das können wir nicht gleich entscheiden" kommt ein "lass uns überlegen, wie wir das umsetzen" oder "wann kannst du fertig sein?". Man bespricht sich beim Kaffee, man schaut sich gemeinsam etwas an - die Ideen purzeln und fern von Bedenkenträgerei wird lösungsorientiert gearbeitet.
Gestern dann ist mir etwas Komisches passiert. Bei einem Amt, mit dem ich lange über Berufsformularen im Hader lag, hat man über mich geredet, jemand mir Wildfremdes will Kontakt zu mir, der mit dem zu tun hat, womit mein neues Projekt zu tun hat (ohne dass ich je darüber gesprochen hätte!). Und wie ich im Internet schaue, worum es gehen könnte, falle ich über uralte Dinge aus meinen jüngeren Jahren - und die passende Möglichkeit einer Förderung.
Immer, wenn ich in meinem Leben das Richtige tat, auch wenn es für andere völlig verrückt klang, entstand diese Magie. Plötzlich erschien alles wie ein Tanz, dem man nur genug Raum geben musste, damit sich Wege ebneten. Zufällige Begegnungen mit Menschen entpuppten sich als Treffen mit Wegbereitern; durch das kreative Fokussieren fielen mir die Ideen aus allen möglichen Ecken zu. Auf einmal kann man nichts Alltägliches mehr normal anschauen, ohne inspiriert zu werden. Wilde Konzeptzeichnungen, Ideengekritzel verteilen sich in den Zimmern. Und die Frage, ob man das allein schafft; ob es nicht viel sicherer und vernünftiger wäre, eine regelmäßige Anstellung in einem vernünftigen Job zu suchen - die stellt sich gar nicht. Was hat man nicht schon alles im Leben gemeistert! Und würde ich auf die Nase fallen, na und? Dann habe ich sehr viel gelernt. Ich habe ja bereits gelernt, wie man immer wieder aufsteht!
Ich stehe unter Kreativstrom. Jetzt kommt Input von Menschen, die genauso verrückt sind, verrückte Dinge einfach zu tun und nicht ewig lang darüber nachzudenken, ob es vernünftig ist. Jetzt muss ich nicht mehr warten, bis eine Konferenz sich äußert, bis zig fremde Leute eines riesigen und damit behäbig gewordenen Unternehmens über meine kreative Arbeit entscheiden. Ich arbeite an mehreren Fronten gleichzeitig und wäre am liebsten gestern schon fertig. Aber inzwischen habe ich auch die Berufs- und Lebenserfahrung, die mir sagt. Ein Projekt will reifen. Und kreative Projekte brauchen eine geschützte Zeit, in denen man wild herumspinnen muss, ohne sie zu früh ins Korsett der Ausführung zu stecken. Je länger ich die Leine lasse, desto schneller purzeln die Ideen. Und ist das schon der Größenwahn, wenn ich es zweisprachig andenke? Warum eigentlich nicht? Ich bin doch nur beim Schreiben auf eine festgelegt!
Seither schreibe ich völlig anders an meinen Büchern. Ich weiß jetzt ganz genau, was ich will und was nicht. Und dieser innere Zen, den ein Autor braucht, der ist immens gewachsen, so wie die Möglichkeiten, Nein zu sagen. Das macht das Schreiben, das Plotten, leichter und unkomplizierter. Eine Projektbeschreibung, die ich früher in mühseligen vier Wochen erarbeitete, male ich heute in Blubberblasen beim Frühstück aufs Papier, in zwei Tagen steht sie schriftlich. Ist ja schließlich Pipikram, so ein Buch, wenn man es mit Elefantenverrücktheiten vergleicht. Und irgendwann wird auch aus dem Elefanten ein Buch. Vielleicht aber auch nicht. Die Möglichkeiten, Publikum zu verwöhnen, entwickeln sich nämlich rasant - rasanter vielleicht als all die Verlagskonzerne, die zu sehr mit dem Schlucken und Kauen beschäftigt sein werden.
Und falls ich in ein paar Monaten über meine Unvernunft jammern sollte, dann sei mir ins Tagebuch geschrieben: Das war eine tolle Zeit, Strom pur in den grauen Zellen, Begeisterung, Freude, Musenküsse am Meter, inspirierende Begegnungen... Schon allein deshalb lohnt es sich, sich wenigstens einmal im Leben unvernünftige Wünsche zu erfüllen.
Hallo Petra,
AntwortenLöschendas hört sich wahnsinnig spannend an. Ein neues Projekt anzufangen, dass nach deinen Beschreibungen so gewagt ist, und das gerade auch deshalb so spannend ist, halte ich für wundervoll. Und wenn das in Richtung Verlage geht, neue Projekte zu versuchen, die irgendwie mit dem Schreiben noch verbunden sind....
Ich schaffe es im Moment nicht einmal zeitlich (neben meinen anderen Projekten) eine ordentliche Kamera zu organisieren und damit künstlerische Photos für einen meiner Kurzgeschichten zu erstellen, um das mal auszuprobieren. Oder mal für Youtube einen Texte einzulesen, denn dann niemand liest.
Mist. Aber ich habe es ja auch nicht geschaffe in diesem Jahr an einem Wettbewerb oder an etwas ähnlichem teilzunehmen. Zu wenig Zeit. (Vor allem, weil ich meine freie Zeit für meinen Roman oder meinen Blogumzug verwendet habe).
Gruss
Thomas
Hallo Thomas,
AntwortenLöschenZeit habe ich auch nie. Aber wenn der Kühlschrank anfängt, mit dem Konto zu reden, muss der Autor zuhören. ;-)
Vor meiner Existenzgründung hatte ich mal versucht, einen "ordentlichen" Job zu bekommen und war bereit zu allem. Wenn man dann aber erfahren muss, dass das Höchstlimit im eigenen Brotberuf etwa bei 34 liegt, man fürs Spargelstechen überqualifiziert ist (dabei kann ich Spargel stechen und sogar polnisch reden) und für die Arbeitsgesellschaft ohnehin viel zu alt ... dann bleibt einem heutzutage eigentlich nur Ausstieg oder Depression.
Und als Künstler ist Bildung erlaubt, und arbeiten darf man, bis einem der Griffel aus der Hand fällt oder man auf der Bühne umfällt. Ideal also.
Das neue Projekt ist übrigens nicht durch Verlage entstanden, sondern durch mein Publikum. Ich gehe ja schon länger auch bei Lesungen neue Wege, wo ich die Leute ungern in staubige Räume zwinge, in Reihe sitzend, zum braven Zuhören gezwungen.
Aber: über ungelegte Eier wird nicht geredet, sonst zerbrechen sie.
Und wegen der Zeit... irgendwo in meinem Blog habe ich eine Anleitung, wie man sie dehnen kann, Stichwort Wurmlöcher!
Herzlich,
Petra
Ich finde das sehr ermutigend, was du schreibst, Petra, es ist wie eine Vitaminspritze in einer bleiernen Zeit, in der man auf Entscheidungen warten muss, die man nicht im Mindesten beeinflussen kann. Gut, dass solche kreativen Purzelbäume noch möglich sind! Und dass es Menschen gibt, die sich davon anstecken lassen.
AntwortenLöschenHerzlichst
Christa
Hallo Christa,
AntwortenLöschenich würde mich freuen, wenn ich damit auch andere anstiften könnte!
Mir hat mal jemand gesagt, dieses Gefühl des Ausgeliefertseins entstehe vor allem dann, wenn man in seinem Leben eher re-agiert als agiert. Also überlege ich: wo kann ich selbst Entscheidungen treffen?
Ich glaube, man kann diese umgekehrte Denke in jeder Situation einüben: Was könnte ICH tun? Was würde passieren, wenn ich aus eigener Entscheidung agiere? Oder wenn ich Nein sage? Wenn ich anders handle als es die anderen von mir erwarten?
Ich glaube, wenn sich das eigene Denken in dieser Hinsicht ändert, trifft man automatisch auf die richtigen Leute. Mit einer Controlerseele von Bedenkenträger könnte ich gar nicht arbeiten, obwohl auch mir Buchhaltung nicht erspart bleibt. ;-)
Ich denke, gerade in unseren Zeiten wird Kreativität gebraucht. Und es war eigentlich noch nie so einfach, als einzelne Frau etwas auf die Beine zu stellen. Bleiern waren doch eher vergangene Zeiten - und da rede ich nicht so sehr von früheren Jahrhunderten, sondern nur von den Zeiten unserer Großmütter und Mütter...
Herzliche Grüße,
Petra
Liebe Petra,
AntwortenLöschendie Vorstellung vom Agieren statt Reagieren gefällt mir sehr. Ich bin auch lieber Unternehmerin als Hinnehmerin.
Und jetzt mache ich mich auf die Suche nach den Wurmlöchern; eine Anleitung zum Zeitdehnen kann ich gut gebrauchen.
Liebe Grüße
Inge
Falls es noch jemand sucht, die Anleitung zum Zeitdehnen findet sich hier:
AntwortenLöschenhttp://cronenburg.blogspot.com/2008/04/schwarze-lcher.html
Irgendwas klappt technisch nicht: das letzte Wort muss lcher.html heißen. Ich versuche es noch einmal:
AntwortenLöschenhttp://cronenburg.blogspot.com/2008/04/schwarze-lcher.html
oder (Zeilenumbruch weglassen):
http://cronenburg.blogspot.com/2008/04/
schwarze-lcher.html
Ah, danke - das war es. Nun habe ich sie gefunden, die Wurmlöcher.
AntwortenLöschenLG
Inge