Milch und Honig?

Ein Autor, der Tag und Nacht Bücher schreibt und nicht gerade Bestseller produziert, kann in Deutschland in der Regel allenfalls schlecht von seinem Beruf leben. Schreiben macht nicht satt.

Nehmen wir mal ein durchschnittliches Anfängerhonorar fürs Hardcover, wie es schon größere Verlage zahlen (Honorare schwanken natürlich sehr je nach Erfahrung, Verlag, Buchart, Name, Auflage etc.), dann bekommt unser Autor X einen Vorschuss von 4000 Euro, brutto natürlich. Diese Summe wird nicht auf einmal ausgezahlt, sondern bei Vertragsabschluss und, je nachdem, bei Abgabe oder Erscheinen. Autor X zahlt von diesen 4000 E seine Versicherungen, Krankenkasse, Rente und natürlich Steuern, die manchmal recht hoch ausfallen können, weil pro Vertrag große Summen auf einmal fließen.

Von dem, was übrig bleibt, kann er "leben". Bedenken wir ein ebenfalls willkürlich herausgegriffenes Beispiel: Autor X recherchiert und arbeitet vier Monate vor, bis er überhaupt den Vertrag bekommt. Zu diesen vier Monaten, die irgendwie finanziert werden wollen, kommen acht Monate Schreibzeit. Die 4000 E sind also für 12 Monate - ein Jahresgehalt!
Natürlich bekommt der Autor von seinen Büchern außerdem Tantiemen. Also Buchpreis minus Mehrwertsteuer - und davon einen Prozentsatz. Seien wir großzügig und geben wir ihm 8% (Taschenbücher bringen erheblich weniger). Sein Hardcover wird im Laden 20 E plus MwSt. kosten. Autor X streicht also pro verkauftem Buch fette 1,60 E brutto ein - wovon er wieder obige Abgaben abziehen darf.

Er streicht aber nicht sofort ein, schön wär's. Die 4000 E waren ein garantierter "Vorschuss". Will sagen: Tantiemen gibt's erst dann, wenn der Vorschuss erwirtschaftet ist. Autor X muss also so viele Bücher verkaufen, wie 1,60 E in 4000 E passen. Macht nach Adam Riese 2500 Bücher. Tantiemen bekommt er also ab dem 2501. verkauften Buch. Das kann dauern. Das kann sehr lange dauern, denn über 20 E teure Bände gehen so oft nicht über den Ladentisch. Manchmal schafft man es sogar nie, bis an die Tantiemen zu kommen, weil das Buch einfach nicht besser läuft. Kurzum: Wer auf der sicheren Seite rechnen will, rechnet nur mit den Vorschüssen.

Wie aber kommt es, dass Autoren trotzdem überleben können? Ganz einfach: Ein Autor ist in der Regel ein selbstausbeutender Gemischtwarenladen. Sprich: Autor X muss in kürzeren Abständen mehr Verträge herbeischaffen. Autor X muss außerdem für Großprojekte Geld sichern (entweder Weg über Stipendien und Preise oder Fließbandschreiben an Einfachstbüchern). Vor allem aber muss Autor X sehr viel mehr tun als nur schreiben - denn man lebt als hauptberuflicher Autor vor allem auch von Auftritten und ähnlichen Zusatzverwertungen seiner Arbeit.

Autorenauftritte - das scheinen hierzulande fast nur Lesungen zu sein. Relativ neu ist es, die Lesung zum Event zu gestalten - Grenzen nach oben gibt es kaum, man hat zu seinem Thema ja so viel zu sagen! Als ich heute im Buchreport las, wie das in den USA läuft, bin ich richtig neidisch geworden. Von so viel Milch und Honig können wir nur träumen! US-Verlage bieten ihren Autoren Redneragenturen, die sie für ihr Thema vermitteln und dadurch vor allem die Leute aus der Midlist bekannter machen (Auch davon können deutschsprachige Autoren nur träumen, denn Werbung gibt's meist nur für Spitzentitel). Der Auftritts-Standardsatz - bitte festhalten - liege bei 5000-7500 Dollar Honorar. Ebenfalls geschäftstüchtiger sind die Verlage beim Buchverkauf, wo der Veranstalter sich zur Abnahme einer Mindestzahl verpflichten muss. 200-250 Bücher gingen so durchschnittlich pro Auftritt weg. Rechnet man dazu, dass ein amerikanischer Autor dank anderer Struktur nebenher Creative Writing an angesehenen Instituten lehren kann und auch ansonsten mehr Möglichkeiten zum seriösen Nebenjob hat - es klingt wie das gelobte Land.

In Deutschland herrscht dagegen Jammertal. Seit einigen Jahren sind Buchhändler - nicht zuletzt wegen der Konzentration durch die Ketten - lesungsmüde geworden, leisten sich allenfalls Promis. Möchtegernschriftsteller mit Eigendruck und Kollegen mit Dumpingpreisen haben teilweise den Markt bei Lesungen einbrechen lassen. Es kommt immer häufiger vor, dass man frech gefragt wird, warum man nicht umsonst auftrete, das sei doch Werbung. Der empfohlene Honorarmindestsatz (Anfänger, Einfachstlesung) des VS von netto 250 E ist seit über zehn Jahren nicht mehr angehoben worden, trotz Preisteigerung und Inflation. Man muss schon sehr genau wissen, was man bietet und was man wert ist!

Und weil ich meine Auftritte gern forcieren möchte und nicht nur reine Lesungen anbieten ... wird es schwer. Die Leseabteilungen der Verlage, die so etwas normalerweise organisieren, sind nämlich nur für das eigene Buch zuständig, nicht aber für Crossover und unabhängigen Schnickschnack. Tja, da dachte ich - vielleicht etwas zu ausländisch - ich könne das eine Agentur machen lassen und mir die Zeit der Aquise, des Taktierens und Verhandelns für das Bücherschreiben sparen. Nach der Recherche in der Wunschregion war ich desillusioniert. Es gab eine ganz edle Promi-Agentur für Leute "bekannt aus Funk und Fernsehen", eine Werbeagentur, die angeblich auch mit Kontakten handelte, und zwei, drei ... nennen wir es wohlwollend Möchtegernagenturen.

Eine Profimusikerin bestätigte mir, was ich befürchtete: Du musst alles selbst machen, nur so kannst du überleben und wirst nicht über den Tisch gezogen. Mach dich damit vertraut, dass du dein Werbematerial verschickst, Aquise betreibst, verhandelst, dich um Beleuchtung und Mikrophone kümmerst und die Thermoskanne füllst...
Ach, Amerika, welch schöner Traum, wo Milch und Honig für Autoren fließen!

Wer bitte hat das Gerücht in die Welt gesetzt, Schriftsteller müssten nur schreiben können?

Falls ich mal wieder Dinge und Menschen vernachlässige, um die sich normale Leute kümmern können, dann nur deshalb, weil ich zwei Bücher gleichzeitig schreibe und im "Nebenjob" unentgeltlich für mich selbst arbeite: Als Kleinkunstautorin, Dramaturgin, Regisseurin, PR-Frau, Vermittlungsagentur, Kostümbildnerin, Chauffeuse, Marketingberaterin, Buchhalterin, Kaffeeköchin ... jetzt hab ich doch tatsächlich den Überblick verloren... Wer sagt eigentlich, dass es in Deutschland schon so weit ist, dass man mit zwei Jobs arm ist? Nur zwei?

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