Wir züchteten heimlich unterm Bett in Einmachgläsern hübsche gelb-schwarz gestreifte "Pyjamakäfer", von denen wir gelernt hatten, dass sie sich im Kartoffelfeld des Gärtners am wohlsten fühlten. Kahle Zäune? Gegen solche Hässlichkeiten sammelten wir Trichterwindensamen und allerlei hübsch schlingendes Unkraut. Die Hexe von nebenan, die Kinder aus ihren Kirschbäumen prügelte, attackierten wir mit Samenbomben: Stink- und Giftkräuter wuchsen fortan in ihrem Rasen, als seien sie wundersam vom Himmel gefallen. Und als wir groß genug waren, wussten wir, "unterm Pflaster liegt der Strand" - und ein Löwenzahn durchbohrt sogar Asphalt.
Erstaunlich, dass es auch Erwachsene gibt, die Robin Hood fürs Stadtparadies spielen. In New York haben sie Kondome mit Tomatensamen, Dünger und Wasser zu Bomben gemacht, es soll echte Schläfer-Zellen geben in Amsterdam, Tokio und Turin, deren Mitglieder oft in schockartigen Pflanzattacken auf die Menschheit losgehen. Sie nennen sich selbst Guerilla-Gärtner und sind international vernetzt. Was sie tun, ist subversiv und gefährlich für jedes Stück vernachlässigter Erde in Städten.
Das New York Times Magazine durfte einen der heimlichen Guerillakämpfer in London begleiten und lernen, dass die Kampfausbildung ziemlich breit gefächert ist: Müllbeseitigung, Putzen, sowie das Überwinden von Zäunen und Mauern gehören ebenso zum Wissen eines Widerständlers wie die Kenntnis von botanischen Namen und von Wuchseigenschaften. Der gebildete Guerilla von heute weiß, wie er mit wenigen Mitteln am meisten Schönheit schafft - und welche zarten Blüten dem Antiterrorkampf durch Abgase, Dreck, Düngerknappheit und Vernachlässigung am meisten trotzen.
Sie sind überall, auch wenn wir sie nicht sehen und die Geheimdienste dieser Welt ihre Schläferzellen verschlafen. Sie beobachten die Turmfalken auf Wolkenkratzern und haben eine seltsame Vorliebe für Gänseblümchen. Und viele haben die Nase voll von lebensfeindlicher Umwelt, Beton und immer wieder Beton. Manchmal verraten sie sich, wenn sie allzu dreist ohne behördliche Genehmigung Müll aufheben. Manchmal kann man sie mit geübtem Blick erkennen - an den schwarzen Fingernägeln. Dann möchte man ihnen fast "Attacke!" zurufen, fröhlich, mit einem Lied nachher auf den Lippen...
(Beitrag Nr. 100 in dieser Kolumne. Klar, dass das mit Blümchen gefeiert werden muss! Denn diesen Blog erfand eine Journalistin als Experiment, als sie eine mediale Form suchte, in der man unabhängig von Anzeigenkunden und nicht kommerziell (contra unverschämte Buy-out-Verträge und lächerliche Honorare) wieder üben konnte, was sonst heutzutage gern untergeht: Meinung, eigener Blick (beides verantwortet statt versteckt) - und die bunte Welt neben den Sensationen, Skandalen und Katastrophen. Ab Beitrag 101 übe ich weiter ... danke an alle Leserinnen und Leser fürs Lesen!)
Liebe Petra,
AntwortenLöschenherzlichen Glückwunsch zum 100sten. Als ich ihn las, musste ich an meine eigene Kindheit denken. Wir hatten diese Freiheit noch, auf den Straßen zu stromern, im Wald verstecken zu spielen und auf den abgeerntete Felder Stoppelschlachten zu veranstalten.
Bei den Trichterwinden fiel mir eine von mir noch immer ungeschriebene Kuzrgeschichte ein, zu der mich eine Nachbarin inspirierte, die diese Ackerwinde, wie sie bei uns heißt, mit der Hartnäckigkeit verfolgt, wie Bush islamistische Terroristen und die mit eben solchem Eifer eine Koalition der Willigen unter den Besitzern der angrenzenden Gärten schmieden wollte. Totale Vernichtung der Ackerwinde!
Leider hat sie keine Verbündeten gefunden. So ist ihr Garten von feindlichen Ackerwindenübergriffen bedroht. Kaum sichtet sie ein solches Pflänzchen, wird es ausgegraben mitsamt der Wurzel. Nicht der kleinste Rest darf in der Erde bleiben, denn der ist ausreichend, eine neue Ackerwinde sprießen zu lassen, wie sie mir ausführlich erklärte.
Irgendwann drängte sich mir folgendes Bild auf: Ein gepflegtes Grab von Bux eingefasst (ich muss dazu sagen, dass die Dame an die Achtzig ist), mit Eisbegonien bepflanzt, alles sehr ordentlich gedüngt und beschnitten, ein Grabstein, in goldenen Lettern ihr Name eingemeisselt, der Stein aus schwarzem, Granit, Hochglanz poliert mit Facettenschliff an den Kanten. Doch etwas stört das Bild. Das zarte Grün einer Ackerwinde, mäandert von rechts unten nach links oben, verdeckt mit zarten weißen Blüten teilweise den Namen, greift nach dem Bux, hat erste Triebe schon umschlungen.
Die Natur ist eben stärker als der Mensch.
Liebe Grüße
Inge
Herrlich! Da merkt man gleich die Krimiautorin. Eisbegonien und unerbittliche Sauberkeit - dieses Bild werde ich nicht mehr vergessen.
AntwortenLöschenLass mich nur kurz klugsch...: Es gibt zwei Winden. Die mit den großen weißen Blüten, die ich gemeint habe, ist die ECHTE ZAUNWINDE (calystegia sepium). Die ACKERWINDE (convolvulus arvensis) hat viel kleinere Blüten mit rosa bis violetten Streifen.
Und das weiß ich so genau, weil ich in meiner Zeit als Hilfsgärtnerin ganz besonders über die Beseitigung von beiden gestöhnt habe - in der Tat genügt ein winziger in der Erde verbliebener Wurzelabschnitt für eine neue Pflanze. Aber immerhin wurde ich für diesen Kampf in fremden Gärten auch bezahlt.
Deshalb: bitte keine Eisbegonien für mich. Einfach nur Wiese ;-)
Herzliche Grüße,
Petra
Hallo Petra,
AntwortenLöschenwieder etwas gelernt. Soll ich nun meine Nachbarin aufklären, dass ihre Ackerwinde in Wahrheit eine Zaunwinde ist?
Ich glaube, ich lass das besser bleiben.
LG
Inge
Liebe Petra!
AntwortenLöschenIch gratuliere ebenfalls zum Hunderter!
Bepflanzungsterroristen! Dass es die gibt, wusste ich nicht, habe mich in die Vorstellung aber sofort verliebt ... das wäre ein toller Romanstoff!
Alles Liebe
Ursula
Inge, nimm mich nicht so ernst, wenn ich klugsch..., wenn's an meine Hobbies geht, finde ich immer keinen Punkt. ;-)
AntwortenLöschenDanke Ursula. Ich laufe seither mit völlig anderem Blick durch Städte und finde plötzlich jede Menge Platz zum "Aufforsten"! Am traurigsten machte mich heute ein Parkplatzbeet, bei dem die Rosen unter achtlos weggeworfenem Verpackungsmüll schier erstickten. Dann frage ich mich: Was sind das für Menschen, die Schönheit nicht einmal mehr wahrnehmen können (oder wollen)?