Entwicklungsland Europa
Es gibt heutzutage alle möglichen Schadensberichte, auf die sich die Medien bevorzugt stürzen, weil Katastrophen Nachrichten sind. Selten ändern sie die Zuschauer, sie sorgen allenfalls für Grusel, Betroffenheit - und wenn sie zu oft gezeigt werden, für Überdruss. Ab und zu sorgen solche Schadensaufstellungen auch mal für politische Beratungen, die meist ausgehen wie das Hornberger Schießen. Auf der Bekanntheits- und Beliebtheitsskala der Katastrophen ganz oben stehen z.B. der Earth Report oder der Waldschadensbericht.
Erstaunlich ungehört ging dagegen gestern im Europarat in Strasbourg mit einer Konferenz die Kampagne zu Ende, die versucht, häusliche Gewalt gegen Frauen in Europa endlich zu kriminalisieren, weil sie die Menschenwürde verletzt und den Frauen die Möglichkeit nimmt, ihre Rechte frei auszuüben. Man darf das auch so sehen: Gewalt ist kriminell. Warum soll das innerhalb der eigenen vier Wände anders sein als auf einem Marktplatz?
Tatsächlich gibt es hin- und wieder, national wie auf europäischer Ebene, so etwas wie einen Frauenschadensbericht.
Als vor etwa einem Jahr in Frankreich herauskam, dass jede zweite Französin mindestens einmal in ihrem Leben häusliche Gewalt erlebt und jede zehnte verstorbene Frau unter 30 Jahren an häuslicher Gewalt sterbe (!!!), ging ein Raunen durchs Land. Solche Zahlen hätte man jedem exotischen Entwicklungsland, womöglich unter politischer oder religiöser Diktatur zugetraut, aber nicht einer hochzivilisierten Kulturnation Europas. Man hat die Zahlen im Alltag dann recht schnell verdrängt.
Die neuen Durchschnittszahlen Europas, dieser Wiege der Menschenrechte, sehen nicht viel besser aus: Jede vierte Europäerin wurde mindestens einmal Opfer von Gewalt, jede zehnte erlebte sexuelle Übergriffe. Die Täter kommen meist aus dem Familienkreis und sind fast auschließlich Männer. Ob wir uns daran so gewöhnen wollen wie ans Waldsterben, wo doch der Wald immer noch so schön grün aussieht und seine Wunden nur den Fachleuten zeigt?
Was würde passieren, wenn plötzlich die Zeitungen über eine Krankheit berichten, die in einem Jahr ein Fünftel der EU-Bevölkerung befallen hätte? „Die Regierungen würden sofort reagieren, indem sie Programme und wirksame Mittel zur Bekämpfung dieser Krankheit einsetzen.“ Das sagte Maj Britt Theorin, die Präsidentin des Ausschusses für Frauenrechte und Chancengleichheit im Europäischen Parlament.
Ich selbst habe Anfang der 1980er die zweite oder dritte große Emanzipationsbewegung erlebt, bei der wir dachten, der Traum von einer Gleichwertigkeit könne endlich real werden. Im Moment sieht es so aus, als würden einige Entwicklungen, die für uns Mädchen und Frauen damals selbstverständlich waren, wieder rückwärts laufen. Opfer zu sein, fängt lange vor der Gewalt an. Meine Rolle in der Gesellschaft stimmt erst dann, wenn ich sagen kann: Ich kann als Mensch selbstverständlich und natürlich die gleichen (Menschen)rechte leben wie andere Menschen auch, unabhängig vom Geschlecht. Und ich nehme mir dieses Recht.
Gestern erfuhr ich Zahlen einer Fahrschullehrerin in einer mittelgroßen deutschen Stadt. Wir kamen darauf, weil die Generation der Frauen ab 70 häufig darunter leidet, nie den Führerschein gemacht zu haben oder nicht ausreichend geübt, weil selbstverständlich der Mann das Auto fuhr. Plötzlich sind sie Witwe - und völlig hilflos. Eine Mahnung, die ich in meiner Jugend lernte, war deshalb diese: Lerne, unabhängig, als eigenständiger Mensch, auf eigenen Beinen stehen zu können - du weißt nie, was einmal passiert.
Junge Frauen, so die Fahrlehrerin, seien anders. Höchstens ein Drittel der Fahrschüler bei ihr seien Frauen, der Rest Männer. Argument der anderen Frauen: Mein Freund / mein Mann fährt mich ja sowieso. Schlimm, wenn der Chauffeur dann eines Tages aus irgendwelchen Gründen ausfällt... Und vielleicht wollte er auch einmal chauffiert werden?
Übertrieben? Nein. Bei meiner letzten Lesung sagten ein paar gestandene, reife Frauen mit Führerschein ab - mit der Begründung, sie könnten nicht fahren, weil der Freund / Partner / Mann Fußball schauen wolle.
Es gibt noch viel zu lernen in Europa. Auch der Mut, ein ganzer Mensch zu sein.
Erstaunlich ungehört ging dagegen gestern im Europarat in Strasbourg mit einer Konferenz die Kampagne zu Ende, die versucht, häusliche Gewalt gegen Frauen in Europa endlich zu kriminalisieren, weil sie die Menschenwürde verletzt und den Frauen die Möglichkeit nimmt, ihre Rechte frei auszuüben. Man darf das auch so sehen: Gewalt ist kriminell. Warum soll das innerhalb der eigenen vier Wände anders sein als auf einem Marktplatz?
Tatsächlich gibt es hin- und wieder, national wie auf europäischer Ebene, so etwas wie einen Frauenschadensbericht.
Als vor etwa einem Jahr in Frankreich herauskam, dass jede zweite Französin mindestens einmal in ihrem Leben häusliche Gewalt erlebt und jede zehnte verstorbene Frau unter 30 Jahren an häuslicher Gewalt sterbe (!!!), ging ein Raunen durchs Land. Solche Zahlen hätte man jedem exotischen Entwicklungsland, womöglich unter politischer oder religiöser Diktatur zugetraut, aber nicht einer hochzivilisierten Kulturnation Europas. Man hat die Zahlen im Alltag dann recht schnell verdrängt.
Die neuen Durchschnittszahlen Europas, dieser Wiege der Menschenrechte, sehen nicht viel besser aus: Jede vierte Europäerin wurde mindestens einmal Opfer von Gewalt, jede zehnte erlebte sexuelle Übergriffe. Die Täter kommen meist aus dem Familienkreis und sind fast auschließlich Männer. Ob wir uns daran so gewöhnen wollen wie ans Waldsterben, wo doch der Wald immer noch so schön grün aussieht und seine Wunden nur den Fachleuten zeigt?
Was würde passieren, wenn plötzlich die Zeitungen über eine Krankheit berichten, die in einem Jahr ein Fünftel der EU-Bevölkerung befallen hätte? „Die Regierungen würden sofort reagieren, indem sie Programme und wirksame Mittel zur Bekämpfung dieser Krankheit einsetzen.“ Das sagte Maj Britt Theorin, die Präsidentin des Ausschusses für Frauenrechte und Chancengleichheit im Europäischen Parlament.
Ich selbst habe Anfang der 1980er die zweite oder dritte große Emanzipationsbewegung erlebt, bei der wir dachten, der Traum von einer Gleichwertigkeit könne endlich real werden. Im Moment sieht es so aus, als würden einige Entwicklungen, die für uns Mädchen und Frauen damals selbstverständlich waren, wieder rückwärts laufen. Opfer zu sein, fängt lange vor der Gewalt an. Meine Rolle in der Gesellschaft stimmt erst dann, wenn ich sagen kann: Ich kann als Mensch selbstverständlich und natürlich die gleichen (Menschen)rechte leben wie andere Menschen auch, unabhängig vom Geschlecht. Und ich nehme mir dieses Recht.
Gestern erfuhr ich Zahlen einer Fahrschullehrerin in einer mittelgroßen deutschen Stadt. Wir kamen darauf, weil die Generation der Frauen ab 70 häufig darunter leidet, nie den Führerschein gemacht zu haben oder nicht ausreichend geübt, weil selbstverständlich der Mann das Auto fuhr. Plötzlich sind sie Witwe - und völlig hilflos. Eine Mahnung, die ich in meiner Jugend lernte, war deshalb diese: Lerne, unabhängig, als eigenständiger Mensch, auf eigenen Beinen stehen zu können - du weißt nie, was einmal passiert.
Junge Frauen, so die Fahrlehrerin, seien anders. Höchstens ein Drittel der Fahrschüler bei ihr seien Frauen, der Rest Männer. Argument der anderen Frauen: Mein Freund / mein Mann fährt mich ja sowieso. Schlimm, wenn der Chauffeur dann eines Tages aus irgendwelchen Gründen ausfällt... Und vielleicht wollte er auch einmal chauffiert werden?
Übertrieben? Nein. Bei meiner letzten Lesung sagten ein paar gestandene, reife Frauen mit Führerschein ab - mit der Begründung, sie könnten nicht fahren, weil der Freund / Partner / Mann Fußball schauen wolle.
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