Geguglt wie gehupft
Gestern hatte ich zwei interessante Diskussionen über eine Zukunft, in der vermeintliches Wissens-Sharing für alle zu einer Elitenbildung von wenigen Wissensmächtigen führen könnte. Science Fiction? Umberto Eco macht sich schon jetzt Gedanken: "Wir brauchen vor allem an den Schulen eine neue Form der Ausbildung. Sie muss die Schüler in die Lage versetzen, aus dem Wust an Informationen, die relevanten herauszudestillieren." In einem Interview in der FR spricht er auch - trotz aller Offenheit für neue Techniken - über das "Grauen der Irrelevanz" im Internet und sagt: "Das heißt nicht, dass ich gegen das Internet bin. Im Gegenteil, es hat enorme Vorteile. Nur ist es eben eine Art babylonische Bibliothek. Man muss sich anstrengen, das Irrelevante auszusortieren."
Gestern meinte dann eine Bekannte angesichts meines Rosenbuchs: "Nee, daran hast du nicht wirklich zwei Jahre gearbeitet. Das hast du so nebenbei gemacht, das hat doch nur 220 Seiten!" Als ich ihr erzählte, wie viele Keilschrifttafeln (in Übersetzung natürlich) ich nur für die kurze Erwähnung des akkadischen Königs Sargon zuerst suchen und dann lesen musste, staunte sie wieder ungläubig: "Aber das kann man sich doch von Wikipedia und Google ganz schnell besorgen!" Kann man das wirklich?
Zugegeben, für einen schnellen Ersteinblick nutze ich beide Instrumente auch. Aber für wissenschaftliche Überprüfung sind beide nicht zu gebrauchen. Es schwappt einem im Internet nämlich auch eine Woge von Halbwissen und Fehlern entgegen. Früher, in Büchern und Standardwerken, gab es eine Vorauswahl von Fachleuten, Aussagen festigten sich im Diskurs der Kenner und Könner. Heute dürfen wir basisdemokratisch entscheiden, was wir glauben und lernen wollen. Und je mehr "Wissen" uns geboten wird, desto schneller glauben wir. Manchmal müssen wir das auch. Ich kann z.B. kein Sumerisch und muss englische Übertragungen lesen - aber wenigstens an diese Quellen will ich herankommen.
Man kann allerdings gerade auch im Internet - wenn man denn Recherchieren irgendwie gelernt hat - immer leichter und billiger an diese Quellen gelangen. Quellen, die landläufige Suchmaschinen kaum erfassen oder zugunsten von Kommerzseiten benachteiligen, die über Spezialportale und Datenbanken angeboten werden, die man kennen muss und manchmal auch bezahlen. Eine faszinierende Unterwelt des Wissens tut sich dann in der "babylonischen Bibliothek" auf. Amerikanische Universitäten sammeln seltene deutschsprachige Bücher, die Pariser Nationalbibliothek überschüttet einen mit digitalisierten Preziosen - es lässt sich in den Archiven des Louvre ebenso flanieren wie in denen des British Museum. Selbst Ausgrabungsstücke, die nirgendwo auf der Welt ausgestellt werden, kann man digital betrachten. Längst geraubte oder zerstörte Kunstwerke sind im Internet manchmal konserviert. In dieser "Unterwelt" (oder ist es der Eco'sche Turm?) ist zwar alles ebenso digital wie bei den gemeinhin bekannten "Maschinen", aber das Lesen und Auswerten geschieht immer noch wie früher über zig Kilos von Fachbüchern.
Als ich für "Das Buch der Rose" recherchierte, hätte ich ein zweites Buch schreiben können. Über all die netten Rosenanekdoten, die ein Autor vom anderen abschreibt, teilweise über Jahrzehnte hinweg, die irgendwann einmal wahr klingen, weil sie so oft gelesen wurden - und wenn man dann die Quellen prüft, zerplatzen sie wie Seifenblasen. Ein geheimnisvolles, rosenzüchtendes Urvolk aus Sibirien entpuppte sich z.B. als Übertragungsfehler aus dem Russischen und die sibirischen Rosen als eine Unterart einer "alpinen Rose", einer Azaleensorte. Ein sagenhaft früher rosenzüchtender Kaiser in China ist auf europäischem Mist gewachsen, wo man zur Entstehungzeit der Anekote noch nicht viel Ahnung von Chinas Geschichte hatte.
Und dann die Bemerkung einer anderen Bekannten: "Warum sich eigentlich diese Arbeit machen? Will das wirklich noch einer wissen? Kann doch jeder gugeln! Wo ist der Unterschied?"
Tja, will das alles wirklich noch jemand wissen? Manchmal frage ich mich das auch und vergleiche den derzeit nicht sehr angesehenen Beruf des Rechercheurs mit dem des Fotografen. Mein schärfstes Erlebnis diesbezüglich, als ich einmal von einer Tageszeitung ein angemessenes Honorar für ein Foto forderte, war die Antwort: "Nun haben Sie sich nicht so, die digitalen Kameras machen doch heute alles von alleine und kostenlos!" Sie haben dann ein von alleine geschossenes Foto veröffentlicht, nicht meines. Den Zeitungslesern ist das wohl egal.
Natürlich kann ich auch auf Papier im Pappeinband Halbwissen kolportieren oder Fehler machen. Davor ist niemand gefeit. In solchen Fällen wird man aber entweder von den Kritikern in der Luft zerrissen oder bekommt Leserbriefe: "Auf Seite xx habe ich einen üblen Fehler entdeckt." Mich tröstet das. Hier findet noch ein Diskurs statt. Denn ich frage mich: Bekommen all die Gugl und Hupfe im Internet eigentlich genug Kritik an der Art ihrer Wissensverwaltung, ihrer nur scheinbaren Totalzugänglichkeit, die eigentlich nur dazu geführt hat, dass das Internet sich wieder nationaler und vor allem kommerzieller gruppiert?
Wenn ich in den Anfangszeiten des Internet etwas in Suchmaschinen eingab, bekam ich Verbindung zu Papua-Neuguinea oder Indien, zum versponnen Professor im Baumhaus mit Stromansschluss wie zum auskunftsfreudigen Institutsleiter in der Großstadt. Heute, im Zeitalter der ach so totalen Offenheit muss ich übers Spezialportal der Eingeborenen, indische Suchmaschinen, Übersetzungsmaschinen, Zensurumgehungsmaschinen, Zensursetzungsmaschinen und irgendwelche Heimatministerien, die bestimmen, was ich zu wissen haben soll ...
An schlechten Tagen denke ich, mit dem Wissen, das wir über eine gewisse Suchmaschine erlangen, wird es einst sein wie mit einem in der Fabrik gebackenen Gugl-hupf. Da ist eine Menge Watte, die eher nach Papier schmeckt als nach Teig, aber ab und zu stolpert man doch über eine Rosine. Und dann wird es weiter Bäcker geben, die nach alter Kunst und alten Rezepten den richtigen Guglhupf backen können und nicht an Rosinen sparen. Und vielleicht gibt es ja auch irgendwann Bäckersuchmaschinen und digitale Rosinenzüchter?
Gestern meinte dann eine Bekannte angesichts meines Rosenbuchs: "Nee, daran hast du nicht wirklich zwei Jahre gearbeitet. Das hast du so nebenbei gemacht, das hat doch nur 220 Seiten!" Als ich ihr erzählte, wie viele Keilschrifttafeln (in Übersetzung natürlich) ich nur für die kurze Erwähnung des akkadischen Königs Sargon zuerst suchen und dann lesen musste, staunte sie wieder ungläubig: "Aber das kann man sich doch von Wikipedia und Google ganz schnell besorgen!" Kann man das wirklich?
Zugegeben, für einen schnellen Ersteinblick nutze ich beide Instrumente auch. Aber für wissenschaftliche Überprüfung sind beide nicht zu gebrauchen. Es schwappt einem im Internet nämlich auch eine Woge von Halbwissen und Fehlern entgegen. Früher, in Büchern und Standardwerken, gab es eine Vorauswahl von Fachleuten, Aussagen festigten sich im Diskurs der Kenner und Könner. Heute dürfen wir basisdemokratisch entscheiden, was wir glauben und lernen wollen. Und je mehr "Wissen" uns geboten wird, desto schneller glauben wir. Manchmal müssen wir das auch. Ich kann z.B. kein Sumerisch und muss englische Übertragungen lesen - aber wenigstens an diese Quellen will ich herankommen.
Man kann allerdings gerade auch im Internet - wenn man denn Recherchieren irgendwie gelernt hat - immer leichter und billiger an diese Quellen gelangen. Quellen, die landläufige Suchmaschinen kaum erfassen oder zugunsten von Kommerzseiten benachteiligen, die über Spezialportale und Datenbanken angeboten werden, die man kennen muss und manchmal auch bezahlen. Eine faszinierende Unterwelt des Wissens tut sich dann in der "babylonischen Bibliothek" auf. Amerikanische Universitäten sammeln seltene deutschsprachige Bücher, die Pariser Nationalbibliothek überschüttet einen mit digitalisierten Preziosen - es lässt sich in den Archiven des Louvre ebenso flanieren wie in denen des British Museum. Selbst Ausgrabungsstücke, die nirgendwo auf der Welt ausgestellt werden, kann man digital betrachten. Längst geraubte oder zerstörte Kunstwerke sind im Internet manchmal konserviert. In dieser "Unterwelt" (oder ist es der Eco'sche Turm?) ist zwar alles ebenso digital wie bei den gemeinhin bekannten "Maschinen", aber das Lesen und Auswerten geschieht immer noch wie früher über zig Kilos von Fachbüchern.
Als ich für "Das Buch der Rose" recherchierte, hätte ich ein zweites Buch schreiben können. Über all die netten Rosenanekdoten, die ein Autor vom anderen abschreibt, teilweise über Jahrzehnte hinweg, die irgendwann einmal wahr klingen, weil sie so oft gelesen wurden - und wenn man dann die Quellen prüft, zerplatzen sie wie Seifenblasen. Ein geheimnisvolles, rosenzüchtendes Urvolk aus Sibirien entpuppte sich z.B. als Übertragungsfehler aus dem Russischen und die sibirischen Rosen als eine Unterart einer "alpinen Rose", einer Azaleensorte. Ein sagenhaft früher rosenzüchtender Kaiser in China ist auf europäischem Mist gewachsen, wo man zur Entstehungzeit der Anekote noch nicht viel Ahnung von Chinas Geschichte hatte.
Und dann die Bemerkung einer anderen Bekannten: "Warum sich eigentlich diese Arbeit machen? Will das wirklich noch einer wissen? Kann doch jeder gugeln! Wo ist der Unterschied?"
Tja, will das alles wirklich noch jemand wissen? Manchmal frage ich mich das auch und vergleiche den derzeit nicht sehr angesehenen Beruf des Rechercheurs mit dem des Fotografen. Mein schärfstes Erlebnis diesbezüglich, als ich einmal von einer Tageszeitung ein angemessenes Honorar für ein Foto forderte, war die Antwort: "Nun haben Sie sich nicht so, die digitalen Kameras machen doch heute alles von alleine und kostenlos!" Sie haben dann ein von alleine geschossenes Foto veröffentlicht, nicht meines. Den Zeitungslesern ist das wohl egal.
Natürlich kann ich auch auf Papier im Pappeinband Halbwissen kolportieren oder Fehler machen. Davor ist niemand gefeit. In solchen Fällen wird man aber entweder von den Kritikern in der Luft zerrissen oder bekommt Leserbriefe: "Auf Seite xx habe ich einen üblen Fehler entdeckt." Mich tröstet das. Hier findet noch ein Diskurs statt. Denn ich frage mich: Bekommen all die Gugl und Hupfe im Internet eigentlich genug Kritik an der Art ihrer Wissensverwaltung, ihrer nur scheinbaren Totalzugänglichkeit, die eigentlich nur dazu geführt hat, dass das Internet sich wieder nationaler und vor allem kommerzieller gruppiert?
Wenn ich in den Anfangszeiten des Internet etwas in Suchmaschinen eingab, bekam ich Verbindung zu Papua-Neuguinea oder Indien, zum versponnen Professor im Baumhaus mit Stromansschluss wie zum auskunftsfreudigen Institutsleiter in der Großstadt. Heute, im Zeitalter der ach so totalen Offenheit muss ich übers Spezialportal der Eingeborenen, indische Suchmaschinen, Übersetzungsmaschinen, Zensurumgehungsmaschinen, Zensursetzungsmaschinen und irgendwelche Heimatministerien, die bestimmen, was ich zu wissen haben soll ...
An schlechten Tagen denke ich, mit dem Wissen, das wir über eine gewisse Suchmaschine erlangen, wird es einst sein wie mit einem in der Fabrik gebackenen Gugl-hupf. Da ist eine Menge Watte, die eher nach Papier schmeckt als nach Teig, aber ab und zu stolpert man doch über eine Rosine. Und dann wird es weiter Bäcker geben, die nach alter Kunst und alten Rezepten den richtigen Guglhupf backen können und nicht an Rosinen sparen. Und vielleicht gibt es ja auch irgendwann Bäckersuchmaschinen und digitale Rosinenzüchter?
Keine Kommentare:
Deine Sicherheit:
Mit restriktiven Browsereinstellungen kannst du nur als "Anonym" und mit "Namen / URL" kommentieren. Möchtest du dein Google-Profil verwenden, musst du aktiv im Browser unter "Cookies von Drittanbietern" diejenigen zulassen, die nicht zur Aktivitätenverfolgung benutzt werden. Nur so kann das System dein Profil nach Einloggen erkennen.
Mit der Nutzung dieses Formulars erkläre ich mich mit der Speicherung und Verarbeitung meiner Daten durch Google einverstanden (Infos Datenschutz oben im Menu).
(Du kannst selbstverständlich anonym kommentieren, dann aber aus technischen Gründen kein Kommentarabo per Mail bekommen!)
Spam und gegen die Netiquette verstoßende Beiträge werden nicht freigeschaltet.
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.