Schreibhörunterbrechung, sehend
Mein Kopf raucht. Ich hätte nie gedacht, wie schwer es ist, etwas zu Sehendes, das im dreidimensionalen Raum zweidimensional umgesetzt wurde, fürs Hören zu beschreiben. Klingt kompliziert? Ist kompliziert. Ich lerne immer mehr, dass Schreiben nicht gleich Schreiben ist. Schreiben wird inhaltlich wie formal extrem von seinem Medium beeinflusst.
Meinen Text wird niemand vor Augen haben. Man kann nicht zurückblättern, beliebig die Reihenfolge wechseln. Man kann Sätze nicht acht Mal hintereinander lesen. Text zum Hören bewegt sich linear. Trotz aller technischen Möglichkeiten, Stellen auf einer CD auszusuchen, muss der Text beim ersten Hören verständlich sein, sich sofort einprägen. Innere Bilder müssen auftauchen, als würde jemand Geschichten erzählen, nicht schreiben. Überhaupt gehorcht so ein Hörtext eher den Regeln des mündlichen Erzählens. Bei einem literarischen Text, der kein richtiger Roman ist, aber doch auch nicht reines Sachbuch sein will, ist das besonders schwer. Jeder, der Lesungen oder Hörbücher kennt, ahnt vielleicht die Anforderungen: Es gibt Bücher, die sind ideal zum Anhören. Und dann gibt es Bücher, die wirken einfach schrecklich, wenn man sie laut vor Publikum vorliest. Es sind stille Bücher, die über das Sehen erfahren werden wollen.
Anders als bei den stillen Büchern muss ein Hörtext intensiver mit Sinneswahrnehmungen arbeiten und innere Bilder schaffen. Jeder Satz muss leben, aber er muss sich in der Art einer Kamerafahrt bewegen: in strengster Logik, linear, nachvollziehbar. Wie viel Zeit bleibt ein Nebensatz im Gedächtnis, wie viele Verknüpfungen schafft das Ohr? Die inhaltlichen Änderungen ziehen formale nach sich. Ich stelle fest, dass ich mit Stilmitteln arbeite, die ich im "stillen Text" eher nicht verwende: Wiederholungen, Appositionen, Variationen...
Heute ist es besonders schwer. Ich muss etwas beschreiben, das schon nicht jeder verstehen würde, der es sehen könnte. Es hat etwas an sich von dem, was Robert und Sonia Delaunay in der Bildenden Kunst entwickelten mit ihren Farbkreisen, den "disques simultanés". Deren Farbkontraste führen dazu, dass die gemalten Kreise sich scheinbar drehen und das Licht zum Flirren bringen. Mein Sujet ist etwas anders, geht aber auch hauptsächlich aufs Sehen. Ich muss es hörbar machen - also irgendeinen Trick finden, es zum "Flirren" zu bringen.
Ich recherchiere den Delaunays ein wenig nach, auf der Suche nach einer Idee. Lande kurz vor dem ersten Weltkrieg in Frankreich, bei Apollinaires "Kunst als Sendung". Absolut faszinierend! Ich lese, wie man den Eiffelturm als Sendemast der Kunst begriffen hat, denn 1908 wurden von seiner Spitze Geräusche gesendet. Apollinaire schreibt seine "Calligrammes", Gedichte wie Zeichnungen, Worte, die in Spiralen rotieren, in Strahlen vom Innern des Gedichts ausgehen. Er packt Schallplatten-Zitate hinein. Es sind "Sendeentwürfe", Poesie mit Geräuschkulisse, als Zeichnung empfunden und räumlich sendefähig für den Turm.
Von dort führt der Weg direkt in Richtung Futurismus und Dada. Die moderne Welt vor dem ersten Weltkrieg hat sich beschleunigt: Technik, Massenmedien, härtere Rhythmen bei der Arbeit mit immer neueren Maschinen. Nicht nur die herannahenden Vorzeichen des Krieges lassen die Begrenztheit des Lebens stark ins Bewusstsein rücken. Die Menschen fühlen sich gehetzt, kommen nicht mehr nach, Endlichkeit wird fühlbar. Künstler entwickeln ein Konzept von Simultaneismus. Leben intensiver wahrzunehmen, noch mehr zu leben, ist das Ziel der Bewegung.
Zwei Wege werden versucht: Da ist das, was man heute Multitasking-Fähigkeit nennt. Möglichst viele Dinge gleichzeitig tun. Je kürzer das Leben sich anfühlt, desto mehr will man Handlungen, Wahrnehmungen und Gedankensprünge aufhäufen - damit in möglichst kurzer Zeit möglichst viel erledigt wird. Der zweite Weg hat mit dem Wunsch nach intensivem Wahrnehmen zu tun: Warum immer nur einen Sinn benutzen? Warum nicht gleichzeitig etwas mit mehreren Sinnen wahrnehmen, was gar nicht dafür vorgesehen war?
Es entstehen Projekte, die heute so modern sind wie nie zuvor. Parallelen zur psychedelischen Kunst der Sechziger kommen einem in den Sinn, aber auch modernste Verschränkungen mit der Multimedialität des Internet, Videokunst. Der Endlichkeit entgehen, indem man intensiviert - und damit noch mehr beschleunigt? Was sind wir doch wieder nah an dieser Zeit damals! Die Kunst der Futuristen und Dadaisten erscheint uns im 21. Jahrhundert manchmal naiv, manchmal unverständlich - und erschreckend neuzeitlich. Gedichte zum Schreien und Tanzen. Musik zum Essen. Gemalte Literatur. Explodierende Musik. Multimediale Performances. Simultangedichte. All das könnte von heute stammen. Und all das kann man auch hören.
So. Kaffee getrunken, Gedanken in Reihe gebracht, Idee gefunden. Das Blog als futuristisches Inspirationswerkzeug...
Ausstellungstipp:
Wer Hunger bekommen hat auf die Kunst jener Zeit, dem empfehle ich dringend die Ausstellung "Art is Arp" über den Künstler, den die Deutschen Hans Arp und die Franzosen Jean Arp nennen. Zu sehen im Museum für Moderne und Zeitgenössische Kunst (MAMC, Nähe Bahnhof) in Straßburg. Dabei sollte man den absoluten Hammer nicht verpassen und sich die dafür eigens renovierte "Aubette" am Place Kléber in der Innenstadt anschauen, die erstmals wieder zugänglich ist! Zwischen 1925 und 1928 schufen die avantgardistische Innengestaltung: Theo van Doesburg, Sophie Taeuber-Arp und Hans Jean Arp. Ende der Dreißiger Jahre wurde das Innere wegen seiner Kunst weitgehend zerstört, jetzt ist das erste von vier Stockwerken wiederhergestellt. Absolut sehenswert!
Meinen Text wird niemand vor Augen haben. Man kann nicht zurückblättern, beliebig die Reihenfolge wechseln. Man kann Sätze nicht acht Mal hintereinander lesen. Text zum Hören bewegt sich linear. Trotz aller technischen Möglichkeiten, Stellen auf einer CD auszusuchen, muss der Text beim ersten Hören verständlich sein, sich sofort einprägen. Innere Bilder müssen auftauchen, als würde jemand Geschichten erzählen, nicht schreiben. Überhaupt gehorcht so ein Hörtext eher den Regeln des mündlichen Erzählens. Bei einem literarischen Text, der kein richtiger Roman ist, aber doch auch nicht reines Sachbuch sein will, ist das besonders schwer. Jeder, der Lesungen oder Hörbücher kennt, ahnt vielleicht die Anforderungen: Es gibt Bücher, die sind ideal zum Anhören. Und dann gibt es Bücher, die wirken einfach schrecklich, wenn man sie laut vor Publikum vorliest. Es sind stille Bücher, die über das Sehen erfahren werden wollen.
Anders als bei den stillen Büchern muss ein Hörtext intensiver mit Sinneswahrnehmungen arbeiten und innere Bilder schaffen. Jeder Satz muss leben, aber er muss sich in der Art einer Kamerafahrt bewegen: in strengster Logik, linear, nachvollziehbar. Wie viel Zeit bleibt ein Nebensatz im Gedächtnis, wie viele Verknüpfungen schafft das Ohr? Die inhaltlichen Änderungen ziehen formale nach sich. Ich stelle fest, dass ich mit Stilmitteln arbeite, die ich im "stillen Text" eher nicht verwende: Wiederholungen, Appositionen, Variationen...
Heute ist es besonders schwer. Ich muss etwas beschreiben, das schon nicht jeder verstehen würde, der es sehen könnte. Es hat etwas an sich von dem, was Robert und Sonia Delaunay in der Bildenden Kunst entwickelten mit ihren Farbkreisen, den "disques simultanés". Deren Farbkontraste führen dazu, dass die gemalten Kreise sich scheinbar drehen und das Licht zum Flirren bringen. Mein Sujet ist etwas anders, geht aber auch hauptsächlich aufs Sehen. Ich muss es hörbar machen - also irgendeinen Trick finden, es zum "Flirren" zu bringen.
Ich recherchiere den Delaunays ein wenig nach, auf der Suche nach einer Idee. Lande kurz vor dem ersten Weltkrieg in Frankreich, bei Apollinaires "Kunst als Sendung". Absolut faszinierend! Ich lese, wie man den Eiffelturm als Sendemast der Kunst begriffen hat, denn 1908 wurden von seiner Spitze Geräusche gesendet. Apollinaire schreibt seine "Calligrammes", Gedichte wie Zeichnungen, Worte, die in Spiralen rotieren, in Strahlen vom Innern des Gedichts ausgehen. Er packt Schallplatten-Zitate hinein. Es sind "Sendeentwürfe", Poesie mit Geräuschkulisse, als Zeichnung empfunden und räumlich sendefähig für den Turm.
Von dort führt der Weg direkt in Richtung Futurismus und Dada. Die moderne Welt vor dem ersten Weltkrieg hat sich beschleunigt: Technik, Massenmedien, härtere Rhythmen bei der Arbeit mit immer neueren Maschinen. Nicht nur die herannahenden Vorzeichen des Krieges lassen die Begrenztheit des Lebens stark ins Bewusstsein rücken. Die Menschen fühlen sich gehetzt, kommen nicht mehr nach, Endlichkeit wird fühlbar. Künstler entwickeln ein Konzept von Simultaneismus. Leben intensiver wahrzunehmen, noch mehr zu leben, ist das Ziel der Bewegung.
Zwei Wege werden versucht: Da ist das, was man heute Multitasking-Fähigkeit nennt. Möglichst viele Dinge gleichzeitig tun. Je kürzer das Leben sich anfühlt, desto mehr will man Handlungen, Wahrnehmungen und Gedankensprünge aufhäufen - damit in möglichst kurzer Zeit möglichst viel erledigt wird. Der zweite Weg hat mit dem Wunsch nach intensivem Wahrnehmen zu tun: Warum immer nur einen Sinn benutzen? Warum nicht gleichzeitig etwas mit mehreren Sinnen wahrnehmen, was gar nicht dafür vorgesehen war?
Es entstehen Projekte, die heute so modern sind wie nie zuvor. Parallelen zur psychedelischen Kunst der Sechziger kommen einem in den Sinn, aber auch modernste Verschränkungen mit der Multimedialität des Internet, Videokunst. Der Endlichkeit entgehen, indem man intensiviert - und damit noch mehr beschleunigt? Was sind wir doch wieder nah an dieser Zeit damals! Die Kunst der Futuristen und Dadaisten erscheint uns im 21. Jahrhundert manchmal naiv, manchmal unverständlich - und erschreckend neuzeitlich. Gedichte zum Schreien und Tanzen. Musik zum Essen. Gemalte Literatur. Explodierende Musik. Multimediale Performances. Simultangedichte. All das könnte von heute stammen. Und all das kann man auch hören.
So. Kaffee getrunken, Gedanken in Reihe gebracht, Idee gefunden. Das Blog als futuristisches Inspirationswerkzeug...
Ausstellungstipp:
Wer Hunger bekommen hat auf die Kunst jener Zeit, dem empfehle ich dringend die Ausstellung "Art is Arp" über den Künstler, den die Deutschen Hans Arp und die Franzosen Jean Arp nennen. Zu sehen im Museum für Moderne und Zeitgenössische Kunst (MAMC, Nähe Bahnhof) in Straßburg. Dabei sollte man den absoluten Hammer nicht verpassen und sich die dafür eigens renovierte "Aubette" am Place Kléber in der Innenstadt anschauen, die erstmals wieder zugänglich ist! Zwischen 1925 und 1928 schufen die avantgardistische Innengestaltung: Theo van Doesburg, Sophie Taeuber-Arp und Hans Jean Arp. Ende der Dreißiger Jahre wurde das Innere wegen seiner Kunst weitgehend zerstört, jetzt ist das erste von vier Stockwerken wiederhergestellt. Absolut sehenswert!
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