Avanti dilettanti!
Hand aufs Herz, wann haben Sie das letzte mal so richtig dilettiert? Und das auch noch mit Lust und Leidenschaft?
Mir ist es kürzlich wieder passiert. Bei Recherchen stolperte ich über den Modeschöpfer Paul Poiret, der seine Glanzzeit um den Ersten Weltkrieg herum erlebte, und Bilder seiner Entwürfe im Metropolitan Museum of Art. Ich war hin und weg, denn ich mag es gern theatralisch und liebe diese Formen. Was aber macht man, wenn man im falschen Jahrhundert geboren ist? Genau, man schneidert.
Zu dumm nur, dass ich bei allem, was mit weiblichen Handarbeiten zu tun hat, mit galoppierender Ungeduld und Unlust geboren wurde. Seit meiner Zeit in Polen besitze ich allerdings eine Nähmaschine und habe mir Nähte, die geradeaus führen, selbst beigebracht. Poiret hat mir den Kopf verdreht. Stilecht wühlte ich im Art-Nouveau-Laden von Toto in Strasbourg, versank in schillernden und samtenen Stoffballen, und kam mit ein paar Schätzen heim. Nur noch entwerfen, nähen, fertig. Ha!
Es könnte so einfach sein, denn meine Mutter war Schneiderin. Dumm nur, dass sie keinen an ihr Heiligtum, die Nähmaschine, herangelassen hat, niemals. Ich durfte zuschauen, aber nicht lernen. Aus uns Kindern sollte ja schließlich mal was Besseres werden. Kinder basteln ... das war es! Warum nicht ein "Kostüm basteln"? Da war dieses prächtige Jäckchen, das zu eng geworden war. Ich rückte den Abnähern mit dem Nahtauftrenner zu Leibe, schlitzte es brutal auf. Und jetzt in die Lücken die Filetspitze einsetzen, die ich von einem alten Kleid abgetrennt hatte! Genau die richtige Farbe. Wirkt schräg und wild. So etwas kann man nicht kaufen. Der spitzenbesetzte Pannésamt von Toto passt farblich ebenfalls und ist so gut wie ein Rock, wenn man ihn um die Taille wickelt. Den Bund sieht man unterm Jäckchen ohnehin nicht.
Wie war das bei Poiret? Der konnte zuerst auch nicht nähen und erfand deshalb das Drapieren. Mach ich auch. Einen Bund mit Gummizug kann ich, es geht immer nur geradeaus. Und so schief wie die Billigmode aus Asien in den Läden schaffe ich das allemal. Fertig ist die Nobelabendrobe. Und beim nächsten Mal versuche ich es mit Kurven. Wäre doch gelacht, mit dem Auto fahre ich sie schließlich auch. Stoffstraßen. Dilettantisch, frech, mit Spaß. Könner verdrehen die Augen oder schauen mitleidig. Aber warum eigentlich nicht? Ich will ja nie behaupten, ich könne nähen!
Wir haben auch schon mal "Picasso dilettiert". Da war eine Zeichnung, von der manche süffig behaupteten, das könne doch jeder, das sei ja Kinderkram. Also habe ich Stifte und Papier ausgeteilt und aus meinen Gästen kleine Möchtegernpicassos gemacht. Natürlich hat es keiner geschafft, diese ach so einfache Zeichnung auch nur annähernd ähnlich nachzuahmen. Aber wir hatten riesigen Spaß und ein paar witzige "Kunstwerke" obendrein. Behauptete ja keiner, Maler werden zu wollen. Aber die Hochachtung vor Picasso war gewachsen.
Als Kind dilettiert man hemmungsloser, freudiger. Und durch das Ausprobieren der eigenen Fähigkeiten und Vorlieben, durchs Nachahmen, findet man langsam seinen eigenen Weg. Welcher professionelle Schriftsteller hat nicht in seiner Jugend irgendwelche Größen nachgemacht und vielleicht sogar in Fanzines zu imitieren versucht? Gewiss, die Ergebnisse sind oft lächerlich und manchmal peinlich. Aber was hat man alles daraus gelernt! Wie wichtig waren die Fehlschläge für die eigene Entwicklung! Warum eigentlich nicht mal so tun, als sei man Thomas Mann? Spaß haben und auf dem Teppich bleiben. Bloß nicht auf die Idee kommen, man könne damit Verlage nerven.
Fröhliches Dilettieren hat noch einen anderen Vorteil: Neben all dem Spaß lernt man das Begreifen. Man be-greift im wahrsten Sinn des Wortes eine Kunst. Ich werde nie Kleider schneidern können, die diese Bezeichnung auch nur verdienen. Aber wenn ich mir das nächste Mal eins von der Stange kaufe, dann weiß ich, wie viel Handwerk, wie viel Können und wie viel Arbeit in so einem "Stoff-Fetzen" liegen. Ich ahne, welcher Ausbildung es bedarf. Und ich weiß jetzt schon die Unterschiede zu sehen zwischen wirklicher Kunst und Wertarbeit - und dem zusammengeschusterten Stück zu Ausbeuterpreisen. Auch wenn es nur geradeaus ginge mit den Nähten - ich wollte für solche Löhne nicht einmal Sofakissen arbeiten.
Lust bekommen? Wann haben Sie das letzte Mal in einer Ausstellung gesagt: "Das kann ich auch"? Machen! Wann haben Sie das letzte Mal bei der Lektüre gedacht: "Sowas schreib ich mit links"? Schreiben! Avanti Dilettanti! Viel Spaß dabei und nicht vergessen: Einer, der so tut als ob, ist noch lange keiner, der kann, wie er will. Da fehlt dann noch das, was ich beim Handarbeiten nicht habe: Geduld, Durchhaltevermögen, Lernen, Ausbildung, Handwerk - Talent.
Mir ist es kürzlich wieder passiert. Bei Recherchen stolperte ich über den Modeschöpfer Paul Poiret, der seine Glanzzeit um den Ersten Weltkrieg herum erlebte, und Bilder seiner Entwürfe im Metropolitan Museum of Art. Ich war hin und weg, denn ich mag es gern theatralisch und liebe diese Formen. Was aber macht man, wenn man im falschen Jahrhundert geboren ist? Genau, man schneidert.
Zu dumm nur, dass ich bei allem, was mit weiblichen Handarbeiten zu tun hat, mit galoppierender Ungeduld und Unlust geboren wurde. Seit meiner Zeit in Polen besitze ich allerdings eine Nähmaschine und habe mir Nähte, die geradeaus führen, selbst beigebracht. Poiret hat mir den Kopf verdreht. Stilecht wühlte ich im Art-Nouveau-Laden von Toto in Strasbourg, versank in schillernden und samtenen Stoffballen, und kam mit ein paar Schätzen heim. Nur noch entwerfen, nähen, fertig. Ha!
Es könnte so einfach sein, denn meine Mutter war Schneiderin. Dumm nur, dass sie keinen an ihr Heiligtum, die Nähmaschine, herangelassen hat, niemals. Ich durfte zuschauen, aber nicht lernen. Aus uns Kindern sollte ja schließlich mal was Besseres werden. Kinder basteln ... das war es! Warum nicht ein "Kostüm basteln"? Da war dieses prächtige Jäckchen, das zu eng geworden war. Ich rückte den Abnähern mit dem Nahtauftrenner zu Leibe, schlitzte es brutal auf. Und jetzt in die Lücken die Filetspitze einsetzen, die ich von einem alten Kleid abgetrennt hatte! Genau die richtige Farbe. Wirkt schräg und wild. So etwas kann man nicht kaufen. Der spitzenbesetzte Pannésamt von Toto passt farblich ebenfalls und ist so gut wie ein Rock, wenn man ihn um die Taille wickelt. Den Bund sieht man unterm Jäckchen ohnehin nicht.
Wie war das bei Poiret? Der konnte zuerst auch nicht nähen und erfand deshalb das Drapieren. Mach ich auch. Einen Bund mit Gummizug kann ich, es geht immer nur geradeaus. Und so schief wie die Billigmode aus Asien in den Läden schaffe ich das allemal. Fertig ist die Nobelabendrobe. Und beim nächsten Mal versuche ich es mit Kurven. Wäre doch gelacht, mit dem Auto fahre ich sie schließlich auch. Stoffstraßen. Dilettantisch, frech, mit Spaß. Könner verdrehen die Augen oder schauen mitleidig. Aber warum eigentlich nicht? Ich will ja nie behaupten, ich könne nähen!
Wir haben auch schon mal "Picasso dilettiert". Da war eine Zeichnung, von der manche süffig behaupteten, das könne doch jeder, das sei ja Kinderkram. Also habe ich Stifte und Papier ausgeteilt und aus meinen Gästen kleine Möchtegernpicassos gemacht. Natürlich hat es keiner geschafft, diese ach so einfache Zeichnung auch nur annähernd ähnlich nachzuahmen. Aber wir hatten riesigen Spaß und ein paar witzige "Kunstwerke" obendrein. Behauptete ja keiner, Maler werden zu wollen. Aber die Hochachtung vor Picasso war gewachsen.
Als Kind dilettiert man hemmungsloser, freudiger. Und durch das Ausprobieren der eigenen Fähigkeiten und Vorlieben, durchs Nachahmen, findet man langsam seinen eigenen Weg. Welcher professionelle Schriftsteller hat nicht in seiner Jugend irgendwelche Größen nachgemacht und vielleicht sogar in Fanzines zu imitieren versucht? Gewiss, die Ergebnisse sind oft lächerlich und manchmal peinlich. Aber was hat man alles daraus gelernt! Wie wichtig waren die Fehlschläge für die eigene Entwicklung! Warum eigentlich nicht mal so tun, als sei man Thomas Mann? Spaß haben und auf dem Teppich bleiben. Bloß nicht auf die Idee kommen, man könne damit Verlage nerven.
Fröhliches Dilettieren hat noch einen anderen Vorteil: Neben all dem Spaß lernt man das Begreifen. Man be-greift im wahrsten Sinn des Wortes eine Kunst. Ich werde nie Kleider schneidern können, die diese Bezeichnung auch nur verdienen. Aber wenn ich mir das nächste Mal eins von der Stange kaufe, dann weiß ich, wie viel Handwerk, wie viel Können und wie viel Arbeit in so einem "Stoff-Fetzen" liegen. Ich ahne, welcher Ausbildung es bedarf. Und ich weiß jetzt schon die Unterschiede zu sehen zwischen wirklicher Kunst und Wertarbeit - und dem zusammengeschusterten Stück zu Ausbeuterpreisen. Auch wenn es nur geradeaus ginge mit den Nähten - ich wollte für solche Löhne nicht einmal Sofakissen arbeiten.
Lust bekommen? Wann haben Sie das letzte Mal in einer Ausstellung gesagt: "Das kann ich auch"? Machen! Wann haben Sie das letzte Mal bei der Lektüre gedacht: "Sowas schreib ich mit links"? Schreiben! Avanti Dilettanti! Viel Spaß dabei und nicht vergessen: Einer, der so tut als ob, ist noch lange keiner, der kann, wie er will. Da fehlt dann noch das, was ich beim Handarbeiten nicht habe: Geduld, Durchhaltevermögen, Lernen, Ausbildung, Handwerk - Talent.
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