Deutschlands letzter Weltuntergang
...fand, wenn ich richtig rechne, 2004/05 statt. Im Mai 2006 erschien nämlich mein Roman "Lavendelblues". Die Idee zu diesem Roman entstand auf der Rheinbrücke bei Wintersdorf. Ich war damals eher selten in Deutschland und fühlte mich wie ein beobachtender Tourist, fremd im eigenen Land. Auf dieser Brücke nun geschah etwas Seltsames. Als würde sich über der alten Grenze ein eisiger Vorhang herabsenken, verwandelten sich dort die Gesichter schlagartig. Die Franzosen schauten normal oder lächelten, obwohl es ihnen dreckig ging. Dafür wurde man auf der deutschen Seite böse angeschaut. Denn dort trug man Trauermiene, Betroffenheitsmundwinkel, Weltuntergangsstimmung. Es war, als seien all diese einst fröhlichen Körper krisengeschüttelt. Es gab auch keine anderen Themen mehr drüben im reichen Deutschland. Krise hieß das Lieblingswort.
Ich war zu jener Zeit gerade dabei, meine Ein-Frau-Schriftstellerinnen-Firma zu gründen und verglich natürlich intensiv, in welchem Land ich das tun würde. Sollte ich wieder zurückgehen? Die Rechenaufgabe war einfach. Frankreich ist weltweit nicht gerade Musterland für Administration und Unternehmertum, aber wer etwas bewegen will,bekommt deutlich weniger Steine in den Weg gelegt. Es fühlte sich auch besser an. Denn wenn ich jenseits des Rheins von meinem Vorhaben erzählte, erntete ich nicht nur Unverständnis, manche wurden sogar richtig böse. Wie kannst du nur so verrückt und eingebildet sein, in solch schweren Krisenzeiten solches Risiko eingehen zu wollen! Sowas gehört verboten, das ist eine Ohrfeige ins Gesicht von Menschen, die wie wir alles genau abwägen. Den letzten Satz sagten sie nicht, den dachten sie nur.
Ich habe damals an dieser schon fast notgeilen Krisensuhlerei gelitten und empfand sie obendrein als reichlich heuchlerisch. Wir hätten viel darum gegeben, wenn es in Frankreich so gut gelaufen wäre. In meinem Canton betrug die Arbeitslosigkeit gerade über 20%, das Krankenkassensystem stand vor der Totalpleite. Sich deshalb in den Weltuntergang hineinreden, alles dunkelschwarz färben? Undenkbar. Wenn man sich abreagieren wollte, fuhr man eine Karre Schweinemist vor den Elyséepalast und feierte das mit billigerem Wein. Und dann packte man das Leben an, improvisierte eben ein bißchen mehr als sonst.
Ein Kapitel im "Lavendelblues" heißt demnach auch "Krisensucht". Genau dieses Kapitel hat im Verlag noch Federn lassen müssen. Es war zu böse, zu satirisch, zu wirtschaftspolitisch. "Unsere Leserinnen wollen in so schweren Zeiten keine so ernsten Themen..." (Foto meiner Notizen dazu)
Im Gedenken an Deutschlands letzten Weltuntergang (was für eine Krise war das doch gleich noch) eine kleine Leseprobe (es spricht die Protagonistin Dahlia) aus dem "Lavendelblues":
"Krise - wie ich dieses abgenudelte Wort aus dem Nachbarland hasse. Sicher haben wir auch eine crise, die crise de foie, Leberkrise. Eine eingebildete Krankheit, die in Frankreich jeden befällt, der Mund und Bauch nicht voll genug schaufeln kann und vergisst, dass man hinterher auch verdauen muss. Die crise bricht epidemieartig nach Festgelagen aus.
Da, wo ich geboren wurde, auf der anderen Rheinseite (D.), gibt es die Krisen gleich dreimal täglich schon während der Mahlzeiten. Sie haben die Krise nicht in der Leber, sondern überall. Ob in der Wirtschaft oder im Wetterbericht, in der Politik oder im Bett, alles ist krisengeschüttelt. Und wenn nicht, veröffentlicht man Katastrophennachrichten über unvorhergesehene Invasionen von Ameisen. Oder leidet wenigstens an einer klitzekleinen Misere, einem mittleren Dilemma, an handgearbeiteten Notlagen, relativen Tiefpunkten und überschaubaren Katastrophen.
Und warum das Ganze abschaffen, wenn man damit satte Gewinne machen kann oder als Katastrophenprophet sein Geld verdienen? Es ist doch für alle so einfach: An allem ist die Krise schuld! Sie ist Entschuldigung, wenn es nicht läuft, und Warnung, wenn es läuft..."
Leseprobe mit freundl. Genehmigung der Rechteinhaber aus:
Petra van Cronenburg: Lavendelblues (Roman), BLT bei Lübbe
Mit den Büchern ist es wie mit den Krisen wie mit den Miniröcken: Man muss sie nur lang genug aufheben, dann liegen sie wieder im Trend.
Wer sich auf völlig anderem Niveau mit Wirtschaftskrise und Bankenkrise beschäftigen will, dem empfehle ich sehr ein Interview, das die ZEIT mit dem Philosophen Jürgen Habermas geführt hat: "Internationale Weltordnung. Nach dem Bankrott."
Ich war zu jener Zeit gerade dabei, meine Ein-Frau-Schriftstellerinnen-Firma zu gründen und verglich natürlich intensiv, in welchem Land ich das tun würde. Sollte ich wieder zurückgehen? Die Rechenaufgabe war einfach. Frankreich ist weltweit nicht gerade Musterland für Administration und Unternehmertum, aber wer etwas bewegen will,bekommt deutlich weniger Steine in den Weg gelegt. Es fühlte sich auch besser an. Denn wenn ich jenseits des Rheins von meinem Vorhaben erzählte, erntete ich nicht nur Unverständnis, manche wurden sogar richtig böse. Wie kannst du nur so verrückt und eingebildet sein, in solch schweren Krisenzeiten solches Risiko eingehen zu wollen! Sowas gehört verboten, das ist eine Ohrfeige ins Gesicht von Menschen, die wie wir alles genau abwägen. Den letzten Satz sagten sie nicht, den dachten sie nur.
Ich habe damals an dieser schon fast notgeilen Krisensuhlerei gelitten und empfand sie obendrein als reichlich heuchlerisch. Wir hätten viel darum gegeben, wenn es in Frankreich so gut gelaufen wäre. In meinem Canton betrug die Arbeitslosigkeit gerade über 20%, das Krankenkassensystem stand vor der Totalpleite. Sich deshalb in den Weltuntergang hineinreden, alles dunkelschwarz färben? Undenkbar. Wenn man sich abreagieren wollte, fuhr man eine Karre Schweinemist vor den Elyséepalast und feierte das mit billigerem Wein. Und dann packte man das Leben an, improvisierte eben ein bißchen mehr als sonst.
Ein Kapitel im "Lavendelblues" heißt demnach auch "Krisensucht". Genau dieses Kapitel hat im Verlag noch Federn lassen müssen. Es war zu böse, zu satirisch, zu wirtschaftspolitisch. "Unsere Leserinnen wollen in so schweren Zeiten keine so ernsten Themen..." (Foto meiner Notizen dazu)
Im Gedenken an Deutschlands letzten Weltuntergang (was für eine Krise war das doch gleich noch) eine kleine Leseprobe (es spricht die Protagonistin Dahlia) aus dem "Lavendelblues":
"Krise - wie ich dieses abgenudelte Wort aus dem Nachbarland hasse. Sicher haben wir auch eine crise, die crise de foie, Leberkrise. Eine eingebildete Krankheit, die in Frankreich jeden befällt, der Mund und Bauch nicht voll genug schaufeln kann und vergisst, dass man hinterher auch verdauen muss. Die crise bricht epidemieartig nach Festgelagen aus.
Da, wo ich geboren wurde, auf der anderen Rheinseite (D.), gibt es die Krisen gleich dreimal täglich schon während der Mahlzeiten. Sie haben die Krise nicht in der Leber, sondern überall. Ob in der Wirtschaft oder im Wetterbericht, in der Politik oder im Bett, alles ist krisengeschüttelt. Und wenn nicht, veröffentlicht man Katastrophennachrichten über unvorhergesehene Invasionen von Ameisen. Oder leidet wenigstens an einer klitzekleinen Misere, einem mittleren Dilemma, an handgearbeiteten Notlagen, relativen Tiefpunkten und überschaubaren Katastrophen.
Und warum das Ganze abschaffen, wenn man damit satte Gewinne machen kann oder als Katastrophenprophet sein Geld verdienen? Es ist doch für alle so einfach: An allem ist die Krise schuld! Sie ist Entschuldigung, wenn es nicht läuft, und Warnung, wenn es läuft..."
Leseprobe mit freundl. Genehmigung der Rechteinhaber aus:
Petra van Cronenburg: Lavendelblues (Roman), BLT bei Lübbe
Mit den Büchern ist es wie mit den Krisen wie mit den Miniröcken: Man muss sie nur lang genug aufheben, dann liegen sie wieder im Trend.
Wer sich auf völlig anderem Niveau mit Wirtschaftskrise und Bankenkrise beschäftigen will, dem empfehle ich sehr ein Interview, das die ZEIT mit dem Philosophen Jürgen Habermas geführt hat: "Internationale Weltordnung. Nach dem Bankrott."
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