Frisch verliebt

Wie kommt ein Autor auf seine Projekte? Ganz einfach: die Projekte suchen sich ihren Autor - und wehe, der will nicht. Und wenn er will, dann frisst es ihn mit Haut und Haaren. Darum sagt man im Französischen wohl, wenn man von etwas zutiefst be-geistert ist: "je suis mordu" / "ich bin gebissen".

In einem solchen Zustand bin ich gerade. Angefangen hat alles etwa im Jahr 2000, als ich etwas widerwillig einen touristischen Ausflug machte und mich Hals über Kopf, keulenschlagartig, blitzschnell verliebte. Der Mann ließ mich nicht mehr los, seine Augen versprachen interessante Geschichten und Erfahrungen. Aber weil er selbst so schweigsam war, musste ich kratzen, graben, suchen.

Ich war verrückt vor Liebe und unternahm die komischsten Dinge, nur um ihm näher zu kommen. Irgendwann war ich so von der Rolle, dass ich seine Briefe kopierte, nachts durch sein Schloss schlich und von einer Rose einen Steckling klaute. Ich wollte ein Buch über "sein" Thema schreiben. Aber stattdessen zwinkerte mir sein Foto zu, das mittlerweile an meiner Wand hing, und er schien zu sagen: "Jetzt machst du es erst mal wie ich. Erfüll dir endlich deine Träume und schreibe einen Roman." Und später wollte der Markt mit "seinem" Thema nicht so recht.

Ich habe diesen Mann nach all den Jahren immer noch nicht vergessen, das Bild hängt immer noch an meiner Wand - und dann habe ich in zwei meiner Bücher "Merker" gesetzt. Damit ich nicht vergesse, was ich mal wollte. So ist im Vorwort von "Das Buch der Rose" die Rede von einem Rosengarten eines Schlosses, den ich rekonstruieren konnte. Das ist so ein Merker und das Foto im Buch mit dem goldenen Spiegel auch (das der Verlag zufällig aus vielen anderen ausgesucht hat). Dort hängen nämlich die Blüten von jenem Steckling der Dorothy Perkins. Ich hatte das Gefühl, wenn ich es schaffe, eine Erinnerung gedruckt ins Leben zu bringen, schaffe ich auch irgendwann jenes Buch...

Jetzt ist es so weit. Die Zeichen der Zeit stehen günstig. Das Thema ist gewachsen und hat sich verändert. Aber anderes schien so unendlich ungünstig. Ich war mir sicher, ich würde es bei der derzeitigen Konstellation meiner Arbeit nie schaffen. Es musste einfach über meine Kräfte gehen... Ich stand kurz davor, meinen Agenten anzurufen und zu sagen - ich kann das dieses Jahr noch nicht angehen.

In der Nacht davor hatte ich einen Traum. Ich sitze im Rosarium beim Signieren meines Rosenbuchs. Kommt einer und legt mir das Buch hin, ich schaue ihn an und falle fast um. Es ist dieser Mann. Und der grinst mich nur an und sagt: "Du schaffst das, schreib unser Thema. Denk dran, ich habe auch oft bis zur Selbstausbeutung an scheinbar irrsinnigen Ideen gearbeitet - und manchmal kam erst nach Jahrzehnten das Ergebnis. Jetzt hast du mich schon in dein Rosenbuch geschmuggelt, jetzt wird es Zeit für ein eigenes. Keine Ausreden mehr, ich will jetzt endlich lebendig werden."

Was soll ich sagen? Ich war in diesem Augenblick wieder hin und weg und so verliebt wie schon lange nicht mehr. Recht hat er. Nachdem er nun schon seit 78 Jahren tot ist, wird es Zeit, ihn und sein Thema wiederzubeleben.

Muss ich wirklich noch vom Happy End reden? Nach diesem Traum habe ich eine Kiste voll Material auf dem Esszimmertisch ausgebreitet und sortiert, und verweigere bis einschließlich Wochenende jedem Besucher den Zutritt. Zwischen meterhohen Haufen von Papier sitzt eine verrückt gewordene Autorin mit wahrscheinlich glasigen Augen, nicht von der Muse geküsst, sondern gebissen... und kritzelt auf große Papierbögen seltsame Blubberblasen mit Stichworten. Bis Montag will sie daraus ein Sachbuchkonzept gestrickt haben - der Agent wartet.

Und wenn irgendjemand später einmal fragen wird, wie ich ausgerechnet auf solch ein Thema komme, werde ich unmöglich erzählen können, dass ich vor vielen Jahren gelangweilt und widerwillig in einem Museum stand, das mich zunächst überhaupt nicht interessierte. Und weil eine Begleiterin so unsäglich nervte und wie ein Maschinengewehr blödes Zeug schwatzte, drehte ich mich weg, schaute das Foto eines mir völlig unbekannten Mannes an - und war hin und weg. Weil mir diese Augen verrieten, dass da ein ganz großes Thema verborgen war, dass ich nur zu graben brauchte... Graben musste.

5 Kommentare:

  1. Gratulation!
    Irgendwie wusste ich es immer, dass ER doch noch zum Zuge kommen wird.
    Wie schön ;)
    Elke

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  2. Danke! Jetzt kapiere ich erst, welche Elke du bist... ;-)
    Liebe Grüße aus dem Elsass,
    Petra

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  3. Bitte!
    Besuche dich - eigentlich - täglich.
    Schon lange.
    Freue mich über diesen Eintrag über den Herrn mit den schönen Augen wirklich sehr, kenne ich ihn doch irgendwie auch ein bisschen ;)
    Alles Liebe
    Elke

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  4. Doch. Das ist ein Grund, den man nennen kann. Ein sehr schöner sogar.

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  5. Na, da habe ich mir die Geschichte jetzt gleich ausgedruckt, damit ich mich noch daran erinnere - sofern die Idee je zum Buch werden sollte!

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