Intelligenz nein danke!
Als ich in den frühen Neunzigern nach Polen kam, kursierte dort ein böser Witz über die Neureichen, die sich am Systemumschwung bedient hatten und auch schon mal mit irgendeiner Mafia in Verbindung standen - der russischen insbesondere: Eine Villa von 800 Quadratmetern und drei Bücher im Haus, wenn sie verheiratet sind! Was sind das für Bücher? (Auflösung: Das Telefonbuch, das Branchenverzeichnis und die bei der Trauung zwangweise überreichte Familienbibel. Wobei echte Mafiosi sogar allein mit dem Telefonbuch ausgekommen seien).
Der Witz hat inzwischen einen langen Bart. Aber im Westen hielt man seit der Perestroika wenigstens die Heimat der Russenmafia für gefeit gegen die galoppierende Kultur- und Bildungsverachtung von Menschen, die morgens überlegen, wie sie abends reicher ins Bett fallen können. Noch hörte man wunderschöne Geschichten von armen Arbeitern, die stehend in der U-Bahn ihren Dostojewskij oder Tolstoi lasen, die ganzen ehemals Verfemten noch dazu. Die Westler bekamen leuchtende Augen bei klingenden Namen wie Achmatowa oder Mandelstam, Turgenjew oder Puschkin. Nehmt euch ein Beispiel!, hieß es in Zeiten schlimmer PISA-Ergebnisse.
Ich habe gesehen, wie sich die Polen in den späten Neunzigern ein Beispiel nahmen, schnell und schmerzlos, unterstützt von amerikanischen und deutschen Großverlagen. Ich habe nie so viele lesende Menschen gesehen, in öffentlichen Verkehrsmitteln, sitzend, stehend, hängend. Die Lyrik wich ganz schnell den neuen Nackenbeißerformaten, statt Tragödien gab es amerikanische Manager-Handbücher, statt der Dramen bildete man sich, dass Frauen anders Bus fahren als Männer und Moppel andere Falten haben. Kann man es einem ganzen Land verdenken, dass es nach der Öffnung zum Westen endlich all den westlichen Segen lesen will, mit dem wir uns bilden?
Nun setzen die Russen dem wieder eins drauf. Wenn schon, dann richtig! Olga Martynowa zeichnet in der NZZ ein haarsträubendes Bild einer neuen Generation von Lesern, das an kommunistische Unterdrückerzeiten gemahnt, als man die Intelligentsia noch offen ausgerottet hat. Demokratische Einflüsse sorgen dafür, dass nun jeder selbst ausmerzen kann, was ihm zu gebildet und anspruchsvoll erscheint.
Fast könnte man sagen: die eigene Avantgarde wird geächtet. Und im Westen zeigt man mit dem Finger, sich selbstzufrieden suhlend in der Vorgabe, Kunst und Kultur hochzuhalten.
Geben wir doch zu: Diese Vorgabe ist reine Angabe.
Wenn Martynowa ein russisches Buch zitiert: "Anna Achmatowa habe sich nicht recht zu kleiden gewusst, an übertriebenem Ehrgeiz gelitten und ihre Menopause nicht würdig überstanden – und überhaupt: So eine Schönheit sei sie nun auch wieder nicht gewesen" - dann müsste uns das doch irgendwie bekannt vorkommen, oder? Was wäre die neuere deutsche Literatur ohne das Fräuleinwunder? Wie sieht die Promi-Autorin aus, die beim Casting für die nächste Talkshow durchkommt? Und haben wir nicht all diese wunderbaren, gleichförmigen "-innen"-Bücher von Frauen für Frauen, weil Frauen wissen, was Frauen wünschen, und immer mehr Frauen bestimmen, wie rückwärtsgewandt, niedlich und erzkonservativ Frauen zu sein haben? Wenn wirklich mal eine ausschert... der eigene Kopf sitzt dann schnell auf der Vagina, von der man im Westen ja schon im Mittelalter glaubte, sie besitze ein eigenes Hirn und wandere deshalb nachts heimlich herum, bereit zu allerlei Untaten.
Vladimir Sorokin verkündet heute trotz seiner eigenen Vergangenheit (oder deshalb?): "Putin hat unseren politischen Kompass umgestellt" und "Es kommt die Zeit der Bilanz.» Und die ist so: «Kunst muss allen verständlich sein." Die Intellektuellen im Westen stöhnen auf! Aber warum eigentlich? Nur, weil der Osten uns jetzt alles nachmacht? Nur weil der Osten auch mal haben will, was der Westen längst hat?
Dort ist die Zeit der Bilanzen und gnadenlosen Vermarktung von Kunst und Kultur schon so weit gediehen, dass die Urheber, die geistig und kreativ Schaffenden, langsam überflüssig werden, entlassen, oder mies bezahlt und mies geachtet. Das Zeitalter der Content-Verwalter und Werbemacher hat längst in Verlagen Einzug gehalten. Marketing kommt ganz oben. Kunst und Literatur später. Und die Kunst selbst? Art sells. Bilanz ist alles. Und eigentlich ist Kunst auch nur Werbung. Eine verdammt kluge Werbung, denn sie peppt Spaghettisauce genauso auf wie Religionen.
Wir Schriftsteller und Künstler können also von den russischen Verhältnissen nur über unsere eigenen lernen. Und sollten uns nicht so viel dabei denken, wenn gestohlene Kunstwerke ausgerechnet auf dem Parkplatz einer psychiatrischen Klinik gefunden werden.
Der Witz hat inzwischen einen langen Bart. Aber im Westen hielt man seit der Perestroika wenigstens die Heimat der Russenmafia für gefeit gegen die galoppierende Kultur- und Bildungsverachtung von Menschen, die morgens überlegen, wie sie abends reicher ins Bett fallen können. Noch hörte man wunderschöne Geschichten von armen Arbeitern, die stehend in der U-Bahn ihren Dostojewskij oder Tolstoi lasen, die ganzen ehemals Verfemten noch dazu. Die Westler bekamen leuchtende Augen bei klingenden Namen wie Achmatowa oder Mandelstam, Turgenjew oder Puschkin. Nehmt euch ein Beispiel!, hieß es in Zeiten schlimmer PISA-Ergebnisse.
Ich habe gesehen, wie sich die Polen in den späten Neunzigern ein Beispiel nahmen, schnell und schmerzlos, unterstützt von amerikanischen und deutschen Großverlagen. Ich habe nie so viele lesende Menschen gesehen, in öffentlichen Verkehrsmitteln, sitzend, stehend, hängend. Die Lyrik wich ganz schnell den neuen Nackenbeißerformaten, statt Tragödien gab es amerikanische Manager-Handbücher, statt der Dramen bildete man sich, dass Frauen anders Bus fahren als Männer und Moppel andere Falten haben. Kann man es einem ganzen Land verdenken, dass es nach der Öffnung zum Westen endlich all den westlichen Segen lesen will, mit dem wir uns bilden?
Nun setzen die Russen dem wieder eins drauf. Wenn schon, dann richtig! Olga Martynowa zeichnet in der NZZ ein haarsträubendes Bild einer neuen Generation von Lesern, das an kommunistische Unterdrückerzeiten gemahnt, als man die Intelligentsia noch offen ausgerottet hat. Demokratische Einflüsse sorgen dafür, dass nun jeder selbst ausmerzen kann, was ihm zu gebildet und anspruchsvoll erscheint.
Fast könnte man sagen: die eigene Avantgarde wird geächtet. Und im Westen zeigt man mit dem Finger, sich selbstzufrieden suhlend in der Vorgabe, Kunst und Kultur hochzuhalten.
Geben wir doch zu: Diese Vorgabe ist reine Angabe.
Wenn Martynowa ein russisches Buch zitiert: "Anna Achmatowa habe sich nicht recht zu kleiden gewusst, an übertriebenem Ehrgeiz gelitten und ihre Menopause nicht würdig überstanden – und überhaupt: So eine Schönheit sei sie nun auch wieder nicht gewesen" - dann müsste uns das doch irgendwie bekannt vorkommen, oder? Was wäre die neuere deutsche Literatur ohne das Fräuleinwunder? Wie sieht die Promi-Autorin aus, die beim Casting für die nächste Talkshow durchkommt? Und haben wir nicht all diese wunderbaren, gleichförmigen "-innen"-Bücher von Frauen für Frauen, weil Frauen wissen, was Frauen wünschen, und immer mehr Frauen bestimmen, wie rückwärtsgewandt, niedlich und erzkonservativ Frauen zu sein haben? Wenn wirklich mal eine ausschert... der eigene Kopf sitzt dann schnell auf der Vagina, von der man im Westen ja schon im Mittelalter glaubte, sie besitze ein eigenes Hirn und wandere deshalb nachts heimlich herum, bereit zu allerlei Untaten.
Vladimir Sorokin verkündet heute trotz seiner eigenen Vergangenheit (oder deshalb?): "Putin hat unseren politischen Kompass umgestellt" und "Es kommt die Zeit der Bilanz.» Und die ist so: «Kunst muss allen verständlich sein." Die Intellektuellen im Westen stöhnen auf! Aber warum eigentlich? Nur, weil der Osten uns jetzt alles nachmacht? Nur weil der Osten auch mal haben will, was der Westen längst hat?
Dort ist die Zeit der Bilanzen und gnadenlosen Vermarktung von Kunst und Kultur schon so weit gediehen, dass die Urheber, die geistig und kreativ Schaffenden, langsam überflüssig werden, entlassen, oder mies bezahlt und mies geachtet. Das Zeitalter der Content-Verwalter und Werbemacher hat längst in Verlagen Einzug gehalten. Marketing kommt ganz oben. Kunst und Literatur später. Und die Kunst selbst? Art sells. Bilanz ist alles. Und eigentlich ist Kunst auch nur Werbung. Eine verdammt kluge Werbung, denn sie peppt Spaghettisauce genauso auf wie Religionen.
Wir Schriftsteller und Künstler können also von den russischen Verhältnissen nur über unsere eigenen lernen. Und sollten uns nicht so viel dabei denken, wenn gestohlene Kunstwerke ausgerechnet auf dem Parkplatz einer psychiatrischen Klinik gefunden werden.
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