Explosivstoffe am Esstisch
Hitzeträume |
Wer mich jetzt besucht, wird seinen Kaffee neben Feuergefährlichem und möglicherweise Explodierenden trinken müssen. Angesichts der glühenden Hitze musste ich gewisse Dinge aus meinem Atelier auslagern, in dem es im Winter zu kalt und im Sommer zu heiß ist. So wie das anständige Ateliers an sich haben (wir Künstlerinnen tun ja sonst nix den ganzen Tag, wie Tante Erna findet). Mir wurde doch langsam mulmig, wenn ich auf Sprühflaschen lese: "Nicht über 25 Grad erhitzen!" Manchmal wüsste ich zu gern, ob andere Firnis in den Kühlschrank stellen. Wo bitte gibt es jetzt noch einen Ort unter 25 Grad?
Ich bin froh, dass im Moment keine Bestellungen eintrudeln, für die ich neue Papierperlen machen müsste. Es ist einfach ekelhaft, bei dieser Hitze mit Leimfingern herumzusitzen. Kommt dazu, dass mich Mr Trump zusätzlich zwiebelt. Sein dämlicher Handelskrieg wirkt inzwischen bis in die Kinderzimmer, kann man sagen. Mein Großhändler hat das für mich wichtigste Produkt, dass die Amis einfach genial können, kurzerhand ausgemustert. Und ich kann ihn voll verstehen.
Die Einfuhr, der ganze Hickhack an den Grenzen, die immer längere Warterei und die höheren Preise - das müssen wir Europäer nicht mitmachen. Nun müssen sich also die Amerikaner das Zeug selbst irgendwohin schmieren. Aber ich kann mich mit dem Ersatzprodukt made in France noch nicht ganz anfreunden. Es ist wunderbar, es hat eine tolle Qualität, ist billiger, ich habe auch andere Sachen von der alteingesessenen Firma, weil ich außerdem ihre Umweltpolitik mag. Aber ausgerechnet dieses Produkt klebt an den Händen wie die Überreste von Untoten. Wenigstens riecht es nach deren Todesursache, nach Bittermandeln!
Auf dem Arbeitstisch vollzieht sich gerade eine chemische Reaktion, die man wohl mit Absonderung bezeichnen könnte. Irgendwann hatte ich mal dieses dämliche "shop local" im Kopf und völlig überteuert einen Weißleim bei einem lokalen Büroausstatter gekauft. Die gar schröckliche G'schicht nebst Originaldialog hatte ich hier aufgeschrieben, sie veranlasste mich zu einem Seitensprung zu Amazon, bis ich meinen Großhändler wiederentdeckte. Der Weißleim wartet irgendwie auf seine Entsorgung, drei Jahre nun (manchmal versteckt sich das Zeug irgendwie, wenn man ausmistet). Meinen Kunden möchte ich keine Produkte verkaufen, die mit zweitklassigen Materialien hergestellt wurden. Denn er war grottenschlecht. Ich weiß nun warum: Dank der Hitze hat sich ein Drittel Wasser über zwei Dritteln Leim abgesetzt. Es ist zu heiß, um ihn zur Deponie zu fahren ...
Ich müsste meine Papierblumen für die Schmetterlingsbilder fertig arbeiten, aber ich habe schwitzige Finger. Hitzedicke schwitzige Finger, die am liebsten nur fett und faul herumliegen würden.
Kein Problem, denn den Computer werde ich heute auch ausschalten müssen - selbst der große Ventilator packt es nicht mehr. Heute Nacht hatten wir um 21 Uhr noch 30 Grad und Tropenhimmel. Der Rest vom Mond steht tagsüber am Wüstenhimmel über einem Planeten, auf dem es in meinen Breiten ungeheuerlich staubt. Seit gestern Mittag, als die Hitzewarnungen der Stufe Rot von der Regierung herausgegeben wurden, ist der Server von Meteo France down. Sie haben jetzt eine Eingangsseite mit einer Warnkarte, die wahrscheinlich auch längst veraltet ist. Als dann auch noch der Server meines Großhändlers in die Knie ging, fühlte sich alles in allem irgendwie dystopisch an.
Mit solchen Settings werden apokalyptische Bücher geschrieben. Wenn gestern plötzlich Wespen in den Insektentränken starben, könnte ich drauf wetten, sie sind nicht ertrunken, sondern verkocht. Selbst der Hund läuft freiwillig mit einem nassen Handtuch auf dem Rücken herum und ist stolz auf diesen Kühlmantel. Wer kühlt die Tiere draußen? Wer tränkt im Wald?
Für den Strom, den man zusätzlich für Ventilatoren verbraucht, kann man herrlich das Kochen einsparen - das Auto wird zur Sommerküche. Im französischsprachigen Twitter kursierten gestern hervorragende Tips für eine völlig neue Nouvelle Cuisine: Käsegratin kocht sich direkt am Tisch. Raclette ist das Essen der Stunde - einfach die Pfännchen auf die Tischplatte stellen! Gut leitfähige Pfannen können die Abwärme des Autos nutzen. Ich schwöre drauf. Als ich gestern ein Baguette schnell mal auf dem Autodach in praller Sonne auftauen wollte, weil das den Toaster sparen würde, fand ich das Ding reichlich verkokelt vor. Ich hatte es vergessen, es war zu braun gebacken und hart.
Neidisch blicke ich auf einen im Dorf, der sich noch richtig bewegen kann, morgens und nachmittags sogar draußen schafft. Ob ich mich auch mal wie er im sogenannten DOM-TOM abhärten sollte? Er hat lange auf La Reunion gelebt und gearbeitet. Aber er lacht mich aus. Tropische Stürme und massig Regen sei er von dort gewohnt, aber im Sommer hätten sie selten über 30 Grad gehabt. So wird verständlich, dass die Temperaturen in Frankreich derzeit oft höher sind als im Maghreb. Irgendwann wird die Zeit kommen, wenn wir als Klimaflüchtlinge in Afrika an die Tür klopfen werden, wäre doch denkbar? Falls wir es übers Mittelmeer schaffen.
Weg mit den schlimmen Gedanken. Wir lieben doch alle diese alten Schwarzweißfilme, wenn sie in New York im Sommer nachts auf den Balkonen schliefen und grätzig auf die Nachbarn wurden. Das Wetter hat etwas von einem Jack-Lemmon-Dialog und Mordlust à la "Das Fenster zum Hof". Ich höre im Geist Geräusche aus meiner Kindheit. Wie die bunten Plastikstreifen Anfang der 1960er raschelten, die man als Vorhang zwischen Wohnzimmer und Balkon hängte, Primärfarben auch für jeden Campingwagen, passend zu den bunten Glühbirnenlichterketten. Sie vermittelten den Eindruck, die Luft sei in Bewegung, und hielten Insekten ab. Angeblich. Denn die Schmeißfliegen krabbelten immer durch, schnurstracks in die überhitzte Küche. Wenn die Plastikstreifen beim Durchlaufen auf der nackten Haut klebenblieben, war es zu heiß, um draußen zu spielen. Ungefähr mit solcher Technik flog man später zum Mond, einfach, aber nützlich.
Hat schon einmal jemand untersucht, warum das Gehirn bei Hitze zu Übertreibungen neigt? Dafür zu jedem anderen Gedanken zu faul und zu langsam ist? Was tut man den lieben langen Tag, wenn man eigentlich nichts tun kann?
Meine Chefin hat mir heute frei gegeben, hitzefrei. Gibt es in Frankreich gesetzlich nicht (gerade entsteht die Diskussion, dass man diesbezüglich in Sachen Klimwandel nachlegen müsse). Aber Chefinnen und Chefs sind für die Gesundheit ihrer Angestellten verantwortlich und müssen ihnen auch einen kühlen Raum zur Verfügung stellen. Also habe ich, die Chefin, mir, meiner Angestellten, den Kühlraum verordnet. Der Inspirational Manager wartet dort schon auf mich und verlangt seinen neuen Arbeitsanzug, das nasse Handtuch. Kann ich denn den ganzen Tag flachliegen?
Donald Duck habe ich fast ausgelesen. Dann könnte ich so ein richtig echtes Buch ... wenn es nicht zu heiß zum Denken wäre! Aber das mit dem Liegen probiere ich mal aus. Ich werde mich vom Inspirational Manager einweisen lassen, der kann das perfekt. Es heißt ja, wenn man die Beine hochlagere, würde das Blut wieder zurück ins Gehirn finden ... wer weiß, vielleicht tut es irgendwann wieder?
In diesem Sinne: Passt auf euch auf und schlaft notfalls auf dem Balkon. Spielt nicht mit Untoten und bleibt nirgends kleben! Und kühlt vor allem immer schön die Schwabbelmasse in eurem Kopf.
Aaaalso, bei der Überschrift "Explosivstoffe am Eßtisch" dachte ich ja zuerst einmal ganz spontan an frischgebackene Germteig-Golatschen, Sauerkraut-Rohkost, Bohnengoulache mit viel Zwiefel und andererseits an grüne Chilipaste und Knofi-Langos ... und Kirschen mit viel Wasser dazu... Aber diese Liste stammt wohl aus kühleren Zeiten. Nicht auszudenken, wie die in diesem neuen Treibhausklima wirksam werden werden. In Zeiten der CO2-Bilanzierungen ja völlig unkorrekte Lebensmittel, wir machen da womöglich dann den Amazonasrindern Konkurrenz. Womöglich sollte man sich eine Furz-Gebühr überlegen...
AntwortenLöschenIn deinem Beitrag bin ich nun aber recht unterhaltsam über eine weitere, recht unkulinarische Facette des Explosiven belehrt worden, Hitzewelle sei dank :-) Unsd ich fühle mit dir... ich hab seit Tagen meine medizinische Hautcreme im Kühlschrank stehen. Aber noch habe ich unter 25°: spätnächtliches Aufstehen und Fensteraufreißen bis zum nächsten frühmorgendlichen Aufstehen zum Fensterschließen samt Verdunkeln trägt Früchte, die neue Schwüle könnte allerdings das fragile Gleichgewicht noch an den letzten Tagen kippen lassen. Deshalb bleibt der Staubsauger verbannt, das Bügeleisen sowieso, und auch die Knoblauchbrote beim Familiengrill werden sicher heute nicht im Backrohr zubereitet. Alles, was zusätzliche Wärme abgibt, ist verpönt, außer Kaffee. Der heizt ja auch, anderersetis würde eine grantige Karamelle auf Caff-Entzug noch viel explosionsgefährlicher sein, also sei er gestattet. Immerhin: auf meine alten Tag hab ich es gelernt, mich auf Gewitter zu freuen, neben der Panik davor. Aber bei Angst gefriert einem ja eh das Blut in den Adern, das gibt dann eh einen Ausgleich zur vorgewitterlichen Schwüle :-) Ich hoffe, die Abkühlug kommt nun bald... bei uns wirds ja nur noch heiß statt glühheiß... wirklich abkühlen solls ja erst am kommender Woche. Mögen wir uns bis dahin den festen Aggregatszustand erhalten :-)
Köstlich, Karamelle!
AntwortenLöschenDein Kommentar ist sogar riechbar, was hab ich gelacht! Kaffeetrinkend natürlich. Heißer Kaffee ist bei der Hitze äußerst gesund, das signalisiert dem Hirn, runterzukühlen. ;-)