Verschenkaktion - Nachlese
"Auf allen Kanälen" muss man übrigens wirklich sagen, denn der Artikel verbreitete sich viral wie ein Lauffeuer, ich war überrascht, wer hier alles so mitliest, nicht zuletzt, als die Interviewanfrage von Radio Fritz kam (Cronenburg im Radio). Über 7000 Menschen haben den Artikel bisher gelesen und fleißig diskutiert. Bei FB, Twitter und Google+ oder in Foren und Blogs. Dabei sind mir zwei Dinge aufgefallen:
- Die Buchbranche kümmert sich bisher sehr stark um den statistischen Prototyp von Leser, der eine Leserin ist: meist über 50, gebildet, gut betucht. Wie aber gehen wir mit all den "nachwachsenden" LeserInnen um und kennen wir deren Bedürfnisse wirklich? E-Books finden übrigens oft zu völlig anderen Arten von LeserInnen als das Printbuch gleichen Inhalts. Könnte es sein, dass große Teile der Bevölkerung nicht lesen, weil ihnen einfach bisher ihren Bedürfnissen gemäß nicht viel geboten wurde?
- Die Urheberrechtsdebatte findet in einer abgehobenen Blase statt. Auf der einen Seite ist es notwendig, dass sich Kreative mit politischen Ideen und ihrer eigenen Situation auf diesem Niveau auseinandersetzen. Durch einiges Echo habe ich allerdings festgestellt, dass wir teilweise vom "Normalbürger" gar nicht mehr richtig verstanden werden. Es wäre jetzt an der Zeit, die Dinge überhaupt erst einmal allgemeinverständlich zu erklären.
In Zahlen ausgedrückt: eine der größten Überraschungen meiner Laufbahn. Tatsächlich pendelte sich das Buch auf einem relativ hohen Niveau ein und sank dann nach etwa einer Woche leicht ab - was ich mit ein wenig Klappern zum Handwerk in den Social Media wieder abfing.
Auch wenn der Monat noch ein paar Tage hat, haben im April so viele Leserinnen und Leser mein Buch heruntergeladen (gratis und bezahlt), wie mein Konzernverlag mir im letzten Jahr jährlich brachte. Nun kann jeder aufgrund meiner Angaben meinen Verdienst berechnen, also kann ich auch gleich sagen, dass ich 800 Euro an Tantiemen eingenommen habe. Das ist einerseits viel, weil ich dafür im Verlag 2000 Taschenbücher hätte verkaufen müssen. Auf der anderen Seite schmilzt die Summe schnell, weil ich als Freiberuflerin davon sämtliche Sozialabgaben, Krankenversicherung und Steuern bezahlen muss und nie mit einem festen Monatseinkommen rechnen kann. Aber es ist ein Einkommen, das es mir ermöglicht, den unverschämteren unter den potentiellen Kunden, denen mit den Dumpinghonoraren, ein noch lauteres Nein entgegen zu schmettern.
Diese Erkenntnisse bestärken mich, weiter am Aufbau der Backlist zu arbeiten, denn sie ist bares Geld, überlebenswichtig gerade bei den maßlos gestiegenen Energiepreisen - und LeserInnen wollen ja nicht nur ein einziges Buch haben. Ich glaube inzwischen tatsächlich, dass man als professionell (!) agierender Autor aus der Hungerzone herauskommen kann.
Zwei Dinge habe ich außerdem gelernt:
Vorurteil 1: Ohne Garantiesumme kann man nicht überleben
Man hört ja immer wieder das Argument, Verlage seien wichtig, weil man schließlich von der Garantiesumme lebe. Weil man da "vorab" bezahlt werde. Wenn das der Fall ist, dann ist das auch wahr. Aber wie viele Autoren bekommen heutzutage gar keine Garantiesummen mehr, bei wie vielen ist es eine lächerliche Summe von vielleicht 2000 Euro (im Sachbuchbereich gang und gäbe)? Wie viele Autoren verkaufen nicht mehr vorab, sondern müssen zuerst ein Buch fertig schreiben, bevor ans Bewerben überhaupt zu denken ist? Kommt dazu, dass die Garantiesumme ja anschließend erst wieder in Höhe der Tantiemen "abgearbeitet" werden muss. Bei manchen Kollegen fließen drum gar keine Tantiemen mehr, bis das Buch vom Markt verschwindet. Nehmen wir die 2000 Euro Garantiesumme bei Tantiemen von 40 Cent pro Taschenbuch: Der Autor muss 5000 Bücher abverkaufen, bevor er seine ersten 40 Cent sieht. Eine Auflage, die heute nicht mehr selbstverständlich ist.
Im Self Publishing lebe ich wie der Autor, der Vorleistung bringen muss: nämlich ein fertiges Manuskript. Kommen Unkosten für Fremdleistungen dazu, die man gering halten kann. Ich verdiene aber mein Geld ab Exemplar Nr. 1, und zwar mehr als nur 40 Cent. Kurzum - es kann eine Alternative gerade für diejenigen KollegInnen sein, die nicht mit saftigen Garantiesummen und Vorabverträgen verwöhnt werden. Aber Achtung: Umgekehrt klappt das Überleben im Verlag ohne Garantiesumme nicht, man rechne sich das bei 40 Cent pro Buch selbst aus ...
Vorurteil 2: Self Publishing nimmt Zeit vom Schreiben weg
Am Anfang stimmt das. Gerade in der jetzigen Zeit, wo alles noch ein wildes Experimentieren ist und gewisse Strukturen auf dem deutschsprachigen Markt auch nicht in dem Maße vorhanden sind wie in den USA, muss man viel Neues lernen, sich intensiv mit Dingen beschäftigen, von denen man vielleicht ein Jahr zuvor noch nichts gehört hat. Der Ausgang einer jeden Aktion ist offen, was ich heute behaupte, kann morgen schon nicht mehr wahr sein. Ja, es macht verdammt viel Arbeit, es braucht verdammt viel Zeit und Hirnschmalz, ja man macht eine Menge Fehler. Aber nur beim ersten Buch. Dann weiß man, wie es geht.
Es ist eigentlich halb so schlimm, wenn man sich im Internet tummelt: Es gibt genügend Diskussionsgruppen und Foren, wo man sich beraten kann, Hilfe bekommt oder sogar Zulieferer findet. Man muss nämlich nicht alleine das Rad neu erfinden und zusammenbauen! Nach dem ersten Buch wird auch die Technik zum normalen Workflow, weil man ja weiß, welche Fehler man vermeidet. Für Menschen mit einem Brotberuf im Ganztagesjob wird das alles sicher zu viel sein. Aber nicht für Menschen, die es wirklich darauf anlegen, professionell und hauptberuflich vom Schreiben leben zu können!
Ich bin so eine. Und ich muss als Freiberuflerin ständig - bei fallenden Honoraren in all meinen Brotjobs - schauen, wie ich überlebe. Viel zu oft stehe ich hart am Abgrund, viel zu oft wollte ich schon alles hinwerfen, weil Armut bei so viel Maloche kein Vergnügen ist. Das zehrte natürlich immer wieder an meiner Kreativität. Mir fällt kein lustig-lockerer Roman ein, wenn der Kühlschrank leer zu bleiben droht. Ich kann mich nicht in ein aufwändiges Sachbuch vertiefen, wenn ich bis in die Nacht an Speedübersetzungen sitze. Ich kann auch mit Agentur nicht immer Monate warten müssen oder Manuskripte vorab schreiben. Es ist also bei mir zumindest ganz anders: Nicht das Self Publishing hält mich vom Schreiben ab, sondern all die Jobs zum nackten Überleben! Wenn ich aber jetzt durch ein oder noch besser mehrere E-Books ein hübsches Sümmchen erwirtschafte, dann kann ich vielleicht mit meinen drei Jobs endlich wenigstens einen davon ein wenig zurückfahren. Ich bin ja auch nicht mehr die Jüngste. Ich sehe sogar reale Chancen, mir tatsächlich wieder freie Zeit zum Bücherschreiben erwirtschaften zu können - und zwar durch das Bücherschreiben selbst! Mir als Freiberuflerin schafft Self Publishing also die Zeit, die ich zum Schreiben brauche.
Für alle, die sich auch darin versuchen und dabei professionalisieren wollen oder ihre Backlist neu auflegen wollen, habe ich zwei ganz wunderbare Tipps:
- Kollege Matthias Matting hat eine Präsentation von Mark Coker, dem Gründer von Smashwords (größter Self Publishing E-Book-Distributor weltweit) über typische Verkaufsmuster bei E-Books.
- Ebenfalls von Mark Coker ist das Buch "The Secrets to E-Book Publishing Success, kostenlos bei Smashwords in allen Formaten zu haben.
Als jemand, der seit 10 Jahren mit eBooks beruflich zu tun hat ( vernünftig Geld verdienen klappt allerdings erst seit Amazon ...), freuen mich dein Wagemut, deine Erfahrung und Einschätzung sehr. Ich kann sie nur unterstreichen und andere Autoren nur ermutigen, selbst eigene Schritte zu wagen.
AntwortenLöschenSelbst von meinem kleinen Larifari-Titel (wirklich nichts Besonderes, just for fun) habe ich diesen Monat 400 Stück verkauft und damit 200 Euro Einnahmen erzielt.
Auf dem traditionellen Markt hätte ich ihn nicht anbieten können und somit gar nichts damit erzielt.
Und, ja, Self-Publishing macht Arbeit und kostet Zeit. Das tut die Suche nach einem Verlag aber auch ...
Liebe Petra,
AntwortenLöscheneine interessante Statistik über die E-Book-Verkäufe, wenn ich mir auch mehr Hintergrundinfos gewünscht hätte. Die Zahlen basieren auf Dollarpreisen, demnach also auf dem amerikanischen Markt. Ob das so eins zu eins übertragbar ist?
Gewundert habe ich mich sehr darüber, dass Bücher zu 99 Cent und 1,99 am schlechtesten laufen sollen. Interessant.
Trotz allem Arbeitsaufwand, macht mir Dein Beispiel Mut. Dass die ›Jobs zum nackten Überleben‹ Deine Kreativität hemmen, kann ich sehr gut nachvollziehen. Und es ist doch so, dass die Arbeit, die man für sich selbst erledigt, positiven Stress bedeutet. Das ist mit einem ›art‹fremden Brotjob nicht zu vergleichen. Wie Du schon einmal sagtest: Deine Schreibarbeit als Vergleich zu einem ›normalen‹ Arbeitstag wäre als Sklavenarbeit anzusehen.
Was mich sehr interessieren würde, aber darüber gibt es im Jahr 2 der KDP-Zeitrechnung vermutlich noch keine Statistik: Was ist die beste Zeit für einen E-Book-Neustart. Würde es Sinn machen, das Sommerloch abzuwarten? Oder sollte man gerade den Bücherherbst mit seiner Flut zuvorkommen? Was meinst Du dazu?
Liebe Grüße
Nikola
Danke, Thomas Knip, für die Vergleichszahlen. So langsam bestätigt mich die Sache, es tatsächlich zu wagen, meine "cozy mystery"-Reihe aus der Schublade selbst anzugehen, die alle Verlage mit der Begründung ablehnten, cozy mystery wolle heutzutage keiner mehr kaufen.
AntwortenLöschenBei Amazon in der deutschen (!) Bestsellerliste fand ich die New York Times Bestseller der Agatha Raisin Krimis, auf ENGLISCH! Weil deutsche Verlage offensichtlich zu blöd sind, das übersetzen zu lassen. Kundschaft ist also massig da (ich z.B.) ... fehlt nur noch der große Wurf von Buch ;-)
Liebe Nikola,
AntwortenLöschendie Deutschen hinken den Amis mal wieder um ein paar Jahre hinterher (aber das kommt!), all das Haptikergefasel und die Bedenkenträgerei, kommt dazu, dass hier sich hier eben keiner so in die Karten schauen lässt. Zahlenmaterial lässt also auf sich warten. Im Moment machen E-Books hier ca. 10%-20% vom Markt aus, Tendenz extrem wachsend (man vergleiche das mit dem Hörbuch). Hier eine (Thalia-freundliche ;-) Hamburger Studie:
http://cronenburg.blogspot.fr/2012/02/e-book-zwischen-zaudern-und-zukunft-1.html
Und ja, Dollar = Euro, so wie beim Kindlepreis...
Insofern ist der deutschsprachige Markt natürlich kleiner, es gibt nicht die gleichen Supportstrukturen, Kaufverhalten ist etwas anders, zumal Verlagsbücher oft horrend teuer sind im Ggs. zu den USA. Aber im Großen und Ganzen kann man doch sehr vieles übertragen, weil E-Book-Leser meist internetaffin und weltoffen agieren - und auch weltweit kaufen (Ich habe z.B. schon in Italien und Spanien verkauft, Deutschsprachige gibt es überall). Und wir Autoren handeln ja über amerikanische Plattformen (smashwords hat auch deutsche Autoren, Amazon, Apple, Google...)
E-Books sind global und zeitunabhängig, sie müssen nicht bei Buchmessen lanciert werden, also auch nicht zu bestimmten Zeiten. Allerdings sollte man die Social Media-Arbeit gut starten, *bevor* das Buch erscheint. Bis man da seine Netzwerke richtig aufgebaut hat, vergehen für Laien locker anderthalb Jahre. Aber E-Books verfallen nicht, man kann sie auch nach zwei Jahren neu bewerben.
Dass die Minipreise weniger gut ankommen, mag daran liegen, dass sich der Self Publishing Markt in den USA sehr professionalisiert hat und unter diesen Preisen doch überdurchschnittlich häufig Bücher ohne jedes Lektorat zu finden sind. Insgesamt sind die Self Publishing Bücher dort teurer geworden, zum Wohl derer, die da hart arbeiten ;-)
LG, Petra
PS: Mein Brotjob ist übrigens nicht artfremd - ich schreibe auch da ;-)
Das weiß ich doch!:) Die Betonung lag auf 'art'.
AntwortenLöschenDamit wollte ich nur verdeutlichen, dass Deine eigene Kreativität (Kunst) viel mehr Energie freisetzt als eine Auftragsarbeit - Professionalität hin oder her.
Neulich las ich eine Studie, da hieß es noch, dass der E-Book-Markt in DE nur 1% der Buchverkäufe ausmachen würden. Wo diese Unterschiede dann wohl herkommen? Liegt vermutlich am Auftraggeber.;)
Sag das nicht, ich bin auch für meine Kunden äußerst kreativ:
AntwortenLöschenhttp://cronenburg.blogspot.fr/2010/05/der-grenzgangerweg.html
1% ist absoluter Quatsch (veraltet?), die niedrigsten Branchenangaben liegen bei 10%, die höchsten bei etwa 20%. Außerdem gibt's Zahlen über Geräteverkäufe.
Selten hat mich ein Blog so motiviert. Danke!
AntwortenLöschenNa, dann muss ich nachlegen! :-)
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