Unsägliche Wut
Romanautoren gesteht man gemeinhin überschäumende Emotionen zu. Nun schreibe ich gerade nicht an einem Roman, sondern setze etwas literarisch um, was es wirklich gegeben hat. Fakten also. Und Leute, die Fakten bearbeiten, haben gefälligst cool zu bleiben. Das Problem ist nur, dass mich gerade unsägliche Wut zerreisst... Ich könnte explodieren und weiß nicht wohin.
Müsste ich als Romanschriftstellerin die Tragödie entwerfen, einen Prototyp von Jahrhunderttragödie, würde ich mich an einer der Personen "bedienen", der ich nachrecherchiere. Und als Faktenmensch muss ich natürlich genau untersuchen, wie es dazu kam, wenn ich dann eine glaubhafte eigene Version schaffen will. Die Faktenlage ist nämlich so klar gar nicht.
Ich bin bei diesem Projekt schon lang nicht mehr "cool". Ich bin begeistert, als sei ich von Geistern be-geistert. Erschrecke, wie tief ich drinstecke, wie mich meine Geschichte beutelt und aufpeitscht. Ich habe beim Recherchieren schon laut gelacht und hemmungslos geheult. Und jetzt, wo ich an des Pudels Kern komme, bin ich zuerst fassungslos, stumm. Dann finde ich Beweise für meine schlimmsten Vermutungen. Als Schriftstellerin bin ich ziemlich tough, wenn es darum geht, was Menschen anderen Menschen antun können, die sie angeblich lieben. Als Journalistin, die früher Tickermeldungen unter tausend Toten gar nicht ernstnehmen durfte, halte ich mich für abgebrüht. Und dann lese ich von diesem einen Tag im Leben eines Menschen und kann plötzlich nachvollziehen, warum andere Menschen zu Mördern werden.
Da ist diese Frau, die eine dicke Aura von Liebe um sich herum trug, bekannt für ihre aufopfernde Liebe, ihre schier unerschöpfliche Zuneigung. Und ich lese in unzensierten Akten von ihrer Eiseskälte, ihrem Egoismus ... und dann dieser Tat, einer Steigerung einer Kette. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten würde, wenn diese Frau leibhaftig vor mir stünde. Aber sie ist lange tot. Meine Wut kann ich an ihr nicht abarbeiten - Krimiautorin müsste ich dafür sein.
Ich denke, solche überbordenden Emotionen sind wichtig auch bei Sachtexten - wobei der meine ja eher ein Zwitterwesen sein wird. Nur kann man damit nicht arbeiten. Unmöglich, in einem solchen Zustand zu schreiben, unmöglich, einen Text zu kreieren, der im Leser ähnliche Gefühle hervorrufen soll. Würde ich jetzt loslegen, käme etwas Krampfhaftes heraus, Text mit saurer Moral, mit dickem Zeigefinger. Die Kunst ist jetzt das Abschalten.
Besagtes Buch habe ich sofort zugeklappt. Jetzt höre ich erst einmal wunderbare Musik zum Landen (tagsüber würde ich mit dem Hund auf den Berg rennen) und koche etwas Schönes. Morgen arbeite ich an einem vergnüglichen anderen Text, an etwas Leichtem. Und dann beginnt die Psychoarbeit. Manchmal ist Schreiben wie Analyse. Denn ich darf keine Feinde schaffen. Da ist kein plakativer Antagonist, der dunkel und fies und eklig über die Bühne schleicht. Da sind Menschen - und wenn ich ihnen auch nur halbwegs gerecht werden will, muss ich sie alle akzeptieren, verstehen, auf gleichem Niveau beschreiben.
An dieser Stelle geht Schreiben an die Substanz. Wenn ich wieder an meinen Text gehe, muss ich versuchen, jene grauenhafte Figur irgendwie wenigstens zu verstehen, wenn ich sie schon nicht lieben kann. Ist einer, der Nahestehenden Brutalstes antut, wirklich nur böse? Manche Krimis haben darauf eine einfache Antwort - je perverser der Mörder, desto durchgeknallter ist er eben. Irresein und Kindheitstraumata machen sich immer gut. Aber meine Figur hatte eine glückliche, behütete Kindheit. Sie ist weder pervers noch irre.
Ich begegne vielen solchen Figuren im Leben. Warum tun Menschen so etwas? Was alles muss in ihrem Leben geschehen, dass sie sich derart verändern? Es geht an die Substanz, weil man nicht im luftleeren Raum schreibt, weil man sich nicht mit Figuren und Fiktionen ausreden kann. Jeder von uns kennt mindestens einen solchen Menschen. Bei dem es vielleicht nie so weit kommen wird. Aber in diesem Moment der Erkenntnis muss ich mich auch mit mir selbst auseinandersetzen. Wie verhalte ich mich? Wie reagiere ich auf solche Menschen? Im Alltag, nicht in Texten.
Erst wenn ich es schaffe, der Anwalt - oder besser noch Psychoanalytiker dieser Person zu werden, kann ich ihr Opfer und jenen Tag wirklich sachlich beschreiben. Und ich bilde mir ein, dass es jene Sachlichkeit ist, die beim Lesen viel schlimmer ins Gedärm stößt als überemotionalisierter Text. Als Autor darf ich keine Partei ergreifen, wenn ich nicht völlig fiktionale Geschichten verwebe. Aber die eigene Wut ist der Antrieb fürs Gewichten, für die Auswahl, für einen absolut nackten, knappen Text ohne Schnörkel. Und der trifft nicht nur den, der ihn später lesen oder hören wird.
Das sind die Tage, wo man als Autor scheinbar nur lesend und mit Notizstift herumhängt. Also ziemlich faul aussieht. Wo man aber den Pullover durchschwitzt, sich wie nach einem Marathon fühlt, die Knochen völlig zerschlagen, wo man früh ins Bett kippt und womöglich mit Alpträumen aufwacht. Trotzdem liebe ich solche Tage. Sie hinterlassen bei mir das Gefühl, ich könne wieder ein kleines bißchen mehr verstanden haben.
Müsste ich als Romanschriftstellerin die Tragödie entwerfen, einen Prototyp von Jahrhunderttragödie, würde ich mich an einer der Personen "bedienen", der ich nachrecherchiere. Und als Faktenmensch muss ich natürlich genau untersuchen, wie es dazu kam, wenn ich dann eine glaubhafte eigene Version schaffen will. Die Faktenlage ist nämlich so klar gar nicht.
Ich bin bei diesem Projekt schon lang nicht mehr "cool". Ich bin begeistert, als sei ich von Geistern be-geistert. Erschrecke, wie tief ich drinstecke, wie mich meine Geschichte beutelt und aufpeitscht. Ich habe beim Recherchieren schon laut gelacht und hemmungslos geheult. Und jetzt, wo ich an des Pudels Kern komme, bin ich zuerst fassungslos, stumm. Dann finde ich Beweise für meine schlimmsten Vermutungen. Als Schriftstellerin bin ich ziemlich tough, wenn es darum geht, was Menschen anderen Menschen antun können, die sie angeblich lieben. Als Journalistin, die früher Tickermeldungen unter tausend Toten gar nicht ernstnehmen durfte, halte ich mich für abgebrüht. Und dann lese ich von diesem einen Tag im Leben eines Menschen und kann plötzlich nachvollziehen, warum andere Menschen zu Mördern werden.
Da ist diese Frau, die eine dicke Aura von Liebe um sich herum trug, bekannt für ihre aufopfernde Liebe, ihre schier unerschöpfliche Zuneigung. Und ich lese in unzensierten Akten von ihrer Eiseskälte, ihrem Egoismus ... und dann dieser Tat, einer Steigerung einer Kette. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten würde, wenn diese Frau leibhaftig vor mir stünde. Aber sie ist lange tot. Meine Wut kann ich an ihr nicht abarbeiten - Krimiautorin müsste ich dafür sein.
Ich denke, solche überbordenden Emotionen sind wichtig auch bei Sachtexten - wobei der meine ja eher ein Zwitterwesen sein wird. Nur kann man damit nicht arbeiten. Unmöglich, in einem solchen Zustand zu schreiben, unmöglich, einen Text zu kreieren, der im Leser ähnliche Gefühle hervorrufen soll. Würde ich jetzt loslegen, käme etwas Krampfhaftes heraus, Text mit saurer Moral, mit dickem Zeigefinger. Die Kunst ist jetzt das Abschalten.
Besagtes Buch habe ich sofort zugeklappt. Jetzt höre ich erst einmal wunderbare Musik zum Landen (tagsüber würde ich mit dem Hund auf den Berg rennen) und koche etwas Schönes. Morgen arbeite ich an einem vergnüglichen anderen Text, an etwas Leichtem. Und dann beginnt die Psychoarbeit. Manchmal ist Schreiben wie Analyse. Denn ich darf keine Feinde schaffen. Da ist kein plakativer Antagonist, der dunkel und fies und eklig über die Bühne schleicht. Da sind Menschen - und wenn ich ihnen auch nur halbwegs gerecht werden will, muss ich sie alle akzeptieren, verstehen, auf gleichem Niveau beschreiben.
An dieser Stelle geht Schreiben an die Substanz. Wenn ich wieder an meinen Text gehe, muss ich versuchen, jene grauenhafte Figur irgendwie wenigstens zu verstehen, wenn ich sie schon nicht lieben kann. Ist einer, der Nahestehenden Brutalstes antut, wirklich nur böse? Manche Krimis haben darauf eine einfache Antwort - je perverser der Mörder, desto durchgeknallter ist er eben. Irresein und Kindheitstraumata machen sich immer gut. Aber meine Figur hatte eine glückliche, behütete Kindheit. Sie ist weder pervers noch irre.
Ich begegne vielen solchen Figuren im Leben. Warum tun Menschen so etwas? Was alles muss in ihrem Leben geschehen, dass sie sich derart verändern? Es geht an die Substanz, weil man nicht im luftleeren Raum schreibt, weil man sich nicht mit Figuren und Fiktionen ausreden kann. Jeder von uns kennt mindestens einen solchen Menschen. Bei dem es vielleicht nie so weit kommen wird. Aber in diesem Moment der Erkenntnis muss ich mich auch mit mir selbst auseinandersetzen. Wie verhalte ich mich? Wie reagiere ich auf solche Menschen? Im Alltag, nicht in Texten.
Erst wenn ich es schaffe, der Anwalt - oder besser noch Psychoanalytiker dieser Person zu werden, kann ich ihr Opfer und jenen Tag wirklich sachlich beschreiben. Und ich bilde mir ein, dass es jene Sachlichkeit ist, die beim Lesen viel schlimmer ins Gedärm stößt als überemotionalisierter Text. Als Autor darf ich keine Partei ergreifen, wenn ich nicht völlig fiktionale Geschichten verwebe. Aber die eigene Wut ist der Antrieb fürs Gewichten, für die Auswahl, für einen absolut nackten, knappen Text ohne Schnörkel. Und der trifft nicht nur den, der ihn später lesen oder hören wird.
Das sind die Tage, wo man als Autor scheinbar nur lesend und mit Notizstift herumhängt. Also ziemlich faul aussieht. Wo man aber den Pullover durchschwitzt, sich wie nach einem Marathon fühlt, die Knochen völlig zerschlagen, wo man früh ins Bett kippt und womöglich mit Alpträumen aufwacht. Trotzdem liebe ich solche Tage. Sie hinterlassen bei mir das Gefühl, ich könne wieder ein kleines bißchen mehr verstanden haben.
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