Als der "goldene" Westen kam

Nach dem Posting gestern habe ich nach Jahren mein polnisches Tagebuch wiederentdeckt. Wahre Erlebnisse, die einem in einem Buch niemand glauben würde. Es war aber auch eine wilde Zeit zwischen 1993 und 1997. Anfangs gab es in der Hauptstadt Warschau nicht einmal richtige Supermärkte, nachher war der Westen derart mit offenen Armen empfangen worden, dass mir von der Überflutung mit Werbung und Hochglanz-Konsumtempeln fast schlecht wurde. Wer nach Warschau hineinfuhr, sah irgendwann kein Ortsschild mehr, sondern wurde von einer riesigen farbigen Leuchttafel informiert, das sei wohl "Marlboro Country". Um 1997 teilten sich die großen Westfirmen sozusagen den Osten auf. Zwei sehr große französische Hypermarchés waren die ersten "Eroberer". Ich zitiere aus meinem Tagebuch:

"... was war nicht alles an Werbung veranstaltet worden für die große Premiere des allerersten französischen Hypermarchés in Polen! Alles lief bestens, die Lieferanten funktionierten, die Waren lagen bereits in den Regalen, die letzten Hinweisschilder in der Stadt waren angebracht. Doch kurz vor dem Eröffnungstermin musste das Management denselben noch einmal um Wochen verschieben. Was war geschehen? Man hatte beim Bau des Großraumsupermarkts ganz einfach vergessen, Parkplätze zu bauen!"

Dann erzähle ich, wie der Konsumsegen die Preise für die Einheimischen ins Unbezahlbare steigert. Selbst Ramsch aus dem Westen kostet mehrfach und Ware aus Italien ist teurer als in Mailand. Warschau wird zu einer der teuersten Städte der Welt. Man sucht, was man noch bezahlen kann:

"Ein anderer neuer Hypermarché aus Frankreich entschädigte die Gebeutelten kurz vor Weihnachten. Großbildfernseher zum Preis von Minigeräten, Shampoos fast zum Herstellungspreis, Kleidung und Nahrung regelrecht nachgeworfen. Zwei Wochen lang stand der Verkehr zu diesem Laden fast still, dann waren die Regale geplündert. Das Erwachen für die Eigentümer nach jenen heißen Winterkampftagen war rau und eisig.

Lag es an der Hetze? Oder nur wieder einmal daran, dass die ausländischen Führungskräfte fett in Frankreich lebten und nur unter der Woche im polnischen Luxushotel abstiegen, das für sie die einzige Widerspiegelung des Landes darstellt? Jedenfalls hatten die Herren schlicht vergessen, dass es auch in einem Land wie Polen Mehrwertsteuer gibt. Der großspurige Farbkatalog mit den Tiefstpreisen und Superrabatten, den man in die Haushalte verteilt hatte, rechnete jedenfalls ohne diese beträchtliche Abgabe. Und was die ausländischen Geschäftsführer auch nicht beachteten: Mit dem Erscheinen der Hochglanzangeberei waren die Preise gebunden. Es gab kein Zurück mehr."

Wer jetzt lachend mit dem Finger auf die Franzosen zeigt, dem sei gesagt, dass kein einziges westliches Land eine bessere Figur machte. Erst zwölf Jahre her - so schnell kann sich die Welt verändern...


Hier gibt es noch eine vergnügliche Reise durch Warschau... auf rückwärts!

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