Das einsamste Geschäft der Welt
Die Liebe zum Jammern
Schriftsteller jammern gern. Die Einsamkeit des Berufs ist eins der Lieblingsthemen. Ketzerisch könnte man sagen, dass es da nichts zu jammern gibt. Denn Schriftsteller sind Menschen, die sich nicht langweilen, wenn nichts los ist. Die wissen, wie man Alleinsein genießt. Und was die einsamen Entscheidungen am laufenden Meter betrifft - sind die nicht Ausdruck von Erwachsensein? Haben wir das als Jugendliche nicht alle ersehnt: Endlich nur noch auf sich selbst hören müssen?
Natürlich jammere ich auch. Manchmal habe ich das Gefühl, keiner versteht mich, keiner liest mehr Bücher und keinen interessiert der Figurentross, den ich laufend mit mir herumschleppe. Ich bin ein kommunikativer Typ und nach guten Gesprächen am kreativsten. Weil um mich herum aber allenfalls der Hühnerbauer oder die Dorfbäckerin zur Verfügung stehen, verfiel auch ich vor vielen Jahren dem Zauberwort "Networking", altdeutsch Netzwerken. Sprich, man lernt in einer Art Verkuppelungsstation Wildfremde kennen, in der Hoffnung, dass man sich etwas zu sagen hat. In den Anfängen von Web 1.0 waren das vor allem Businesskreise, Selbstständige. Nicht unbedingt einsame Berufe, aber man erhoffte sich "Input" gegen "Output", altdeutsch: wollte Geben und Nehmen praktizieren. Die gute alte Tradition von Seilschaften und Vetterleswirtschaft stand Pate.
Gleichschaltung in Hochglanz
Manche hatten sogar einen Paten nach italienischem Vorbild. Oder mehrere. So erlebte ich den ersten Niedergang eines riesigen Netzwerks im Internet, dem tausende Mitglieder davonliefen, als die Paten plötzlich Meinungsfaschismus probten. Das war Gruppendynamik pur, hilfreicher Psychologieunterricht. Als alle Denker mit Rückgrat gegangen und alle Meinungen glattgebügelt waren, verstarb das Netzwerk, leise verröchelnd. Das erlebte ich nicht nur einmal. Ab einer gewissen Menge von Gleichgesinnten schien es die Regel zu sein, dass den Machern auffiel: Wildfremde sind selten gleichgesinnt. Und der Macher ist plötzlich nicht mehr der King. Dann blieb die einsame Entscheidung: Chaos oder Gleichschaltung?
Es gab auch riesige Hochglanz-Netzwerke, die in Hochglanz-Zeitschriften Hochglanz-Annoncen schalteten. Die kleine Autorin war zunächst geblendet von all den Weltmöglichkeiten, geistigen Befruchtungen und Menschenvernetzungen. Aber wie das so ist im Internet, war es nicht wirklich besser als bei den Tratschtanten im dörflichen Bäckerladen. Die größten Blender, halbseidene Typen, gescheiterte Existenzen, Hohlkörper mit Hochglanzfassade - und alle wollten die größten Brötchen haben.
Das kann ich auch. Dachte nicht nur ich, sondern eine Macherin. Und so kam ich dazu, mit ein paar anderen ein neues Business-Netzwerk zu entwickeln und hochzuziehen. Endlich konnten wir alles besser machen. Endlich unsere hehren Ideale umsetzen. In die Vollen greifen. Networking total. Fröhliche, freundliche Verhältnisse. Es ging alles ganz schnell. Als die Dreckarbeit getan war, vergaß die Gründerin, dass die Entwickler so etwas wie einen Lohn verdient hatten. Wer muckste, sollte mundtot gemacht werden. Wir Denker gingen mit unserem Gotteslohn und das Netzwerk hat sich davon nie wirklich erholt. Die am meisten gemobbt wurden, fanden nachher die besten Jobs. Bei der Konkurrenz.
Die Rache der späten Geburt
Das kann es doch nicht sein, dachte ich und träumte von alten künstlerischen Salons im echten Leben, weitab von der Sterilität des Internet, in dem Kontakt vor allem auf Illusion beruht. Ich war neidisch auf die Leute, die damals mit einer Rachel Varnhagen Kaffee trinken durften oder mit den Impressionisten in den Bistros einen saufen. Ich hätte viel darum gegeben, mit Cocteau, Rodin, von Kessler und den Ballets Russes im legendären Larue speisen und plaudern zu können. So stellte ich mir das "Netzwerken" für einsame Schriftstellerherzen vor. Die kreativsten Köpfe treffen sich, man diskutiert bis in die Nacht und platzt vor Ideen. Findet Freunde und arbeitet vielleicht dann und wann gemeinsam an einem Projekt.
Aber das Larue, in dem so manche bahnbrechende Idee entstand, die Europas Kunst nachhaltig beeinflusste, gibt es nicht mehr. Ich netzwerkte also wieder auf modern, aber diesmal im realen Leben. Einmal im Monat trafen sich selbstständige Frauen und es war nett. Wir hatten einen schönen Abend, lernten die Restaurants der Stadt kennen. Das war es. Beruflich ergab sich kaum eine Inspiration, außer dass ich eine Schauspielerin kennenlernte, die ich auch in der Theaterkneipe hätte treffen können. Als ich mich freundlich aus dem Netzwerk verabschiedete, beantwortete niemand meine Mail. Nach zwei Jahren Zugehörigkeit. Dabeisein ist alles.
Seither setze ich auf die Macht der Einsamkeit. Lerne zufällig durch meine Arbeit Leute kennen. Manchmal finde ich welche auf Anhieb sympathisch. Das sage ich ihnen. Manchmal beruht es auf Gegenseitigkeit und dann trifft man sich privat. Und trifft sich, wenn es Spaß gemacht hat, wieder. Und wieder. Man stellt sich Freunden vor. Kennt Leute, die zufällig haben, was der andere sucht. Kennt Leute, die Leute kennen, die Leute kennen. Manchmal ist es traurig, dass man nicht alle gleichzeitig an einen Tisch bekommt und oft hunderte Kilometer zwischen einem liegen. Aber man kann ja nicht alles haben.
Reingefallen - ins Netz
Vorgestern hatte ich dann ein Aha-Erlebnis. Ich habe mich in einem Netz verfangen. Jemand aus der Buchbranche, den ich persönlich kenne, hat sich als Freund von jemandem entpuppt, mit dem ich manchmal arbeite und mich befreundet habe. Irgendjemand, der mich kennt, hat mich jemandem in Frankreich empfohlen. Bei diesen Kunden wiederum habe ich eine sympathische und interessante Künstlerin kennengelernt. Und wie ich nach deren nächster Ausstellung fahnde, entdecke ich, dass sie wiederum die kennt, mit denen dieser Mensch aus der Buchbranche befreundet ist. Am Samstag gehen wir, meine beste Freundin und ich, mit den französischen Kunden ins Theater. Und dann trifft wieder ein Freund von mir jemand von diesen Jemanden. Und da wäre noch eine andere Künstlerin, die passen würde...
Zwei Länder, drei Sprachen, ein Zufallsnetz und Freundschaften im Leben. Entstanden, weil ich keine Lust mehr hatte auf virtuelle Kuppeleien zwischen Leuten, die außer der URL der Plattform kaum etwas gemeinsam haben. Wir haben uns über Themen und gemeinsame Interessen kennen gelernt, oft sogar zuerst als Menschen und dann erst als Menschen mit Beruf. Vor allem aber hat keiner von uns den gleichen Beruf. Obwohl wir Kulturschaffende sind. Wir können sogar miteinander arbeiten und wir tun es gern. Ich glaube, unser Larue haben wir auch schon gefunden. Denn immer wieder überwinden wir auch die vielen Kilometer dazwischen. Wir sind mobiler geworden.
Es ist aber noch etwas grundlegend anders als im Internet. Es gibt keine Gruppendynamik, allenfalls guten Wein. Wir sind extreme Individualisten und Querköpfe. Und genau das schätzen wir. Aus der Kontroverse werden Ideen geboren. Wir lieben es, uns die Köpfe heiß zu reden und gehen auch einmal aufeinander los. Um dann festzustellen, wie langweilig es wäre, wenn wir alle glattgebügelte Meinungen und Friede-Freude-Eierkuchen leben müssten. Jeder ist so spannend eigen. Und schließlich haben Schriftsteller einen Beruf, bei dem man sich ständig neue Konflikte ausdenken muss. Spannungen sind der Stoff für Bücher.
Schriftsteller jammern gern. Die Einsamkeit des Berufs ist eins der Lieblingsthemen. Ketzerisch könnte man sagen, dass es da nichts zu jammern gibt. Denn Schriftsteller sind Menschen, die sich nicht langweilen, wenn nichts los ist. Die wissen, wie man Alleinsein genießt. Und was die einsamen Entscheidungen am laufenden Meter betrifft - sind die nicht Ausdruck von Erwachsensein? Haben wir das als Jugendliche nicht alle ersehnt: Endlich nur noch auf sich selbst hören müssen?
Natürlich jammere ich auch. Manchmal habe ich das Gefühl, keiner versteht mich, keiner liest mehr Bücher und keinen interessiert der Figurentross, den ich laufend mit mir herumschleppe. Ich bin ein kommunikativer Typ und nach guten Gesprächen am kreativsten. Weil um mich herum aber allenfalls der Hühnerbauer oder die Dorfbäckerin zur Verfügung stehen, verfiel auch ich vor vielen Jahren dem Zauberwort "Networking", altdeutsch Netzwerken. Sprich, man lernt in einer Art Verkuppelungsstation Wildfremde kennen, in der Hoffnung, dass man sich etwas zu sagen hat. In den Anfängen von Web 1.0 waren das vor allem Businesskreise, Selbstständige. Nicht unbedingt einsame Berufe, aber man erhoffte sich "Input" gegen "Output", altdeutsch: wollte Geben und Nehmen praktizieren. Die gute alte Tradition von Seilschaften und Vetterleswirtschaft stand Pate.
Gleichschaltung in Hochglanz
Manche hatten sogar einen Paten nach italienischem Vorbild. Oder mehrere. So erlebte ich den ersten Niedergang eines riesigen Netzwerks im Internet, dem tausende Mitglieder davonliefen, als die Paten plötzlich Meinungsfaschismus probten. Das war Gruppendynamik pur, hilfreicher Psychologieunterricht. Als alle Denker mit Rückgrat gegangen und alle Meinungen glattgebügelt waren, verstarb das Netzwerk, leise verröchelnd. Das erlebte ich nicht nur einmal. Ab einer gewissen Menge von Gleichgesinnten schien es die Regel zu sein, dass den Machern auffiel: Wildfremde sind selten gleichgesinnt. Und der Macher ist plötzlich nicht mehr der King. Dann blieb die einsame Entscheidung: Chaos oder Gleichschaltung?
Es gab auch riesige Hochglanz-Netzwerke, die in Hochglanz-Zeitschriften Hochglanz-Annoncen schalteten. Die kleine Autorin war zunächst geblendet von all den Weltmöglichkeiten, geistigen Befruchtungen und Menschenvernetzungen. Aber wie das so ist im Internet, war es nicht wirklich besser als bei den Tratschtanten im dörflichen Bäckerladen. Die größten Blender, halbseidene Typen, gescheiterte Existenzen, Hohlkörper mit Hochglanzfassade - und alle wollten die größten Brötchen haben.
Das kann ich auch. Dachte nicht nur ich, sondern eine Macherin. Und so kam ich dazu, mit ein paar anderen ein neues Business-Netzwerk zu entwickeln und hochzuziehen. Endlich konnten wir alles besser machen. Endlich unsere hehren Ideale umsetzen. In die Vollen greifen. Networking total. Fröhliche, freundliche Verhältnisse. Es ging alles ganz schnell. Als die Dreckarbeit getan war, vergaß die Gründerin, dass die Entwickler so etwas wie einen Lohn verdient hatten. Wer muckste, sollte mundtot gemacht werden. Wir Denker gingen mit unserem Gotteslohn und das Netzwerk hat sich davon nie wirklich erholt. Die am meisten gemobbt wurden, fanden nachher die besten Jobs. Bei der Konkurrenz.
Die Rache der späten Geburt
Das kann es doch nicht sein, dachte ich und träumte von alten künstlerischen Salons im echten Leben, weitab von der Sterilität des Internet, in dem Kontakt vor allem auf Illusion beruht. Ich war neidisch auf die Leute, die damals mit einer Rachel Varnhagen Kaffee trinken durften oder mit den Impressionisten in den Bistros einen saufen. Ich hätte viel darum gegeben, mit Cocteau, Rodin, von Kessler und den Ballets Russes im legendären Larue speisen und plaudern zu können. So stellte ich mir das "Netzwerken" für einsame Schriftstellerherzen vor. Die kreativsten Köpfe treffen sich, man diskutiert bis in die Nacht und platzt vor Ideen. Findet Freunde und arbeitet vielleicht dann und wann gemeinsam an einem Projekt.
Aber das Larue, in dem so manche bahnbrechende Idee entstand, die Europas Kunst nachhaltig beeinflusste, gibt es nicht mehr. Ich netzwerkte also wieder auf modern, aber diesmal im realen Leben. Einmal im Monat trafen sich selbstständige Frauen und es war nett. Wir hatten einen schönen Abend, lernten die Restaurants der Stadt kennen. Das war es. Beruflich ergab sich kaum eine Inspiration, außer dass ich eine Schauspielerin kennenlernte, die ich auch in der Theaterkneipe hätte treffen können. Als ich mich freundlich aus dem Netzwerk verabschiedete, beantwortete niemand meine Mail. Nach zwei Jahren Zugehörigkeit. Dabeisein ist alles.
Seither setze ich auf die Macht der Einsamkeit. Lerne zufällig durch meine Arbeit Leute kennen. Manchmal finde ich welche auf Anhieb sympathisch. Das sage ich ihnen. Manchmal beruht es auf Gegenseitigkeit und dann trifft man sich privat. Und trifft sich, wenn es Spaß gemacht hat, wieder. Und wieder. Man stellt sich Freunden vor. Kennt Leute, die zufällig haben, was der andere sucht. Kennt Leute, die Leute kennen, die Leute kennen. Manchmal ist es traurig, dass man nicht alle gleichzeitig an einen Tisch bekommt und oft hunderte Kilometer zwischen einem liegen. Aber man kann ja nicht alles haben.
Reingefallen - ins Netz
Vorgestern hatte ich dann ein Aha-Erlebnis. Ich habe mich in einem Netz verfangen. Jemand aus der Buchbranche, den ich persönlich kenne, hat sich als Freund von jemandem entpuppt, mit dem ich manchmal arbeite und mich befreundet habe. Irgendjemand, der mich kennt, hat mich jemandem in Frankreich empfohlen. Bei diesen Kunden wiederum habe ich eine sympathische und interessante Künstlerin kennengelernt. Und wie ich nach deren nächster Ausstellung fahnde, entdecke ich, dass sie wiederum die kennt, mit denen dieser Mensch aus der Buchbranche befreundet ist. Am Samstag gehen wir, meine beste Freundin und ich, mit den französischen Kunden ins Theater. Und dann trifft wieder ein Freund von mir jemand von diesen Jemanden. Und da wäre noch eine andere Künstlerin, die passen würde...
Zwei Länder, drei Sprachen, ein Zufallsnetz und Freundschaften im Leben. Entstanden, weil ich keine Lust mehr hatte auf virtuelle Kuppeleien zwischen Leuten, die außer der URL der Plattform kaum etwas gemeinsam haben. Wir haben uns über Themen und gemeinsame Interessen kennen gelernt, oft sogar zuerst als Menschen und dann erst als Menschen mit Beruf. Vor allem aber hat keiner von uns den gleichen Beruf. Obwohl wir Kulturschaffende sind. Wir können sogar miteinander arbeiten und wir tun es gern. Ich glaube, unser Larue haben wir auch schon gefunden. Denn immer wieder überwinden wir auch die vielen Kilometer dazwischen. Wir sind mobiler geworden.
Es ist aber noch etwas grundlegend anders als im Internet. Es gibt keine Gruppendynamik, allenfalls guten Wein. Wir sind extreme Individualisten und Querköpfe. Und genau das schätzen wir. Aus der Kontroverse werden Ideen geboren. Wir lieben es, uns die Köpfe heiß zu reden und gehen auch einmal aufeinander los. Um dann festzustellen, wie langweilig es wäre, wenn wir alle glattgebügelte Meinungen und Friede-Freude-Eierkuchen leben müssten. Jeder ist so spannend eigen. Und schließlich haben Schriftsteller einen Beruf, bei dem man sich ständig neue Konflikte ausdenken muss. Spannungen sind der Stoff für Bücher.
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