Im Spinnennetz
Heute morgen habe ich mich recht lustlos an meinen Text gesetzt. Disziplin muss eben sein, Schreiben auch in Zeiten ohne Musenkuss und Leidenschaft - das macht das professionelle Schreiben aus. Nicht, dass ich mein Projekt nicht lieben würde! Aber ich hatte eine Begebenheit "abzufeiern", die mich selbst dank intensiver Recherchen längst langweilte - und zu der mir kein Übergang einfallen wollte.
Da gibt es nur eins: Noch einmal intensiv lesen, was man zuletzt geschrieben hat. Und schon hing ich an einem Satz fest. Da hatte ich doch kürzlich etwas Interessantes in einem Film gesehen! Und schon bin ich wieder drin in dieser inneren Landkarte, die sich aus Recherchen, Notizen, Ideen, Texten und in diesem Fall auch Filmen bildet. In meinem Kopf muss es ähnlich aussehen wie in einer 3D-Satellitenanimation der Erde. Wie eine Mücke fliege ich über diese inneren Landschaften, rieche die Warmblüter und steche an den richtigen Stellen zu. Oder ich fühle mich wie die fette Spinne im Netz, in dem sich die Ideen verfangen.
Vorausgesetzt, niemand räumt mir meine Sachen auf - und das passiert zum Glück nie - finde ich im Kopf auch gleich den Lageplan zu den dazugehörigen Papieren. Ein Griff - und ich hole aus einem Stapel Papiere sofort die richtige Notiz. In diesem Fall waren es Zitate aus Briefen von Wassilij Kandinsky, einem Zeitgenossen meines Dingens. Ich hatte sie einmal ganz privat aus Eigeninteresse aufgeschrieben, nicht weil sie mit meinem Thema irgendetwas zu tun haben könnten.
Die beiden sind sich wahrscheinlich nie über den Weg gelaufen, aber ich war wieder fasziniert, wie Menschen völlig unabhängig voneinander so ähnliche Gedanken entwickeln können. Einfach, weil die Zeit dazu reif ist. Bilden Modeströmungen und Trendthemen den Menschen? Oder ist es eher umgekehrt? Bilden sich wahrnehmbare Zeitenströme erst dann, wenn eine genügend große Anzahl von Menschen Ähnliches denkt und dabei Bahnbrechendes wagt? Wenn Menschen also im Gegenteil entgegen dem allgemeinen Trend nie Dagewesenes schaffen?
Jedenfalls weiß ich mal wieder nicht, wieso ich genau an dieser Stelle zugriff. Der Kandinsky war genau dieses fehlende Glied in der Kette, die perfekte Überleitung zu meiner im eigenen Kopf zu oft abgenudelten Anekdote. Plötzlich bekommt sie dadurch auch für mich eine neue, faszinierende Dimension und gebärt wiederum kleine Ideen. Begeistert tippe ich so lange, das ich mich jetzt zur Unterbrechung fast zwingen muss. Aber der Körper braucht einen Kaffee - und der wird zelebriert und genossen. So viel Pause muss sein. Das macht scharf - aufs Weiterschreiben.
Zwischendurch habe ich immer mal wieder Angst, den Bezug zu jenem Spinnennetz zu verlieren. Denn es gibt keinerlei technische Möglichkeiten, jenes Geflecht zufriedenstellend festzuhalten. Noch kann man nicht diese Kopfhauben aufziehen wie für ein EEG - und den Entwurf eines Werks einfach auf DVD über-denken. Und wenn es möglich wäre, das gesamte Chaos bei der Entstehung eines Buchs einzufangen, dann würde man wohl einige von uns einsperren...
Mein Hörprojekt bekommt selbst etwas von einem Spinnennetz im Aufbau. Der Text spricht mit der immer wieder eingewobenen Musik. Das erste Kapitel wird zu einer Ouverture. Immer wieder weisen winzige Passagen nach vorn und werden sich nachher zu eigenen Themen weiten. Themen, bei denen ich selbst schon im Voraus staune, wie sehr sie in jenem einzelnen Punkt eines Lebens zu Anfang schon angelegt waren.
Text und Musik vermischen sich aber auch in meiner Art der Wahrnehmung, ganz abgesehen von der üblichen Synästhesie. Ich höre meinen Text, muss jeden Satz laut sprechen, immer wieder laut vorlesen. Worte werden Klang, müssen anders komponiert werden als in einem Lesetext. Und ich lese Musik. Lese die Partituren, lese den Reichtum ab, den ich nicht unbedingt höre oder beim Hören nur ahne. Lerne über den Aufbau, das künstlerische Konzept hinter der Musik. Es wäre kaum angemessen zu schneiden, nur weil eine Pause entsteht. Ich wollte meinen Text auch nicht willkürlich kürzen lassen, nur weil ich Luft hole. Eine spannende Erfahrung. Wobei ich keine Ahnung habe, was dabei herauskommen wird, wie viel davon für die Hörer fühl- und erfahrbar. Vielleicht bilde ich mir auch alles nur ein?
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Was für ein Hörprojekt?
Weil ich verschiedentlich gefragt wurde, in welcher Form dieses "Hörprojekt" zu kaufen sein wird: Ich entwickle es mit dem Hörbuchverlag "Der Diwan", d.h., es wird ganz körperlich auf CDs produziert und aus guten Gründen auch nicht als Download erhältlich sein (Piraterie). Ich nenne es nur deshalb ungern Hörbuch, weil man gemeinhin unter Hörbuch ein von einem Schauspieler vorgelesenes, bereits gedrucktes Buch versteht. Im Gegensatz dazu entwickle ich den Text direkt für den Sinn des Hörens - und auch der Anteil der Musik wird sehr viel größer als üblich sein. (Ein ähnliches Text-Musik-Projekt ist z.B. Vindings Spiel / Rezension / Hörprobe bei Suhrkamp). Und so viel kann ich auch schon verraten: Die Musikrechte, die wir bekommen haben, sind traumhaft!
Da gibt es nur eins: Noch einmal intensiv lesen, was man zuletzt geschrieben hat. Und schon hing ich an einem Satz fest. Da hatte ich doch kürzlich etwas Interessantes in einem Film gesehen! Und schon bin ich wieder drin in dieser inneren Landkarte, die sich aus Recherchen, Notizen, Ideen, Texten und in diesem Fall auch Filmen bildet. In meinem Kopf muss es ähnlich aussehen wie in einer 3D-Satellitenanimation der Erde. Wie eine Mücke fliege ich über diese inneren Landschaften, rieche die Warmblüter und steche an den richtigen Stellen zu. Oder ich fühle mich wie die fette Spinne im Netz, in dem sich die Ideen verfangen.
Vorausgesetzt, niemand räumt mir meine Sachen auf - und das passiert zum Glück nie - finde ich im Kopf auch gleich den Lageplan zu den dazugehörigen Papieren. Ein Griff - und ich hole aus einem Stapel Papiere sofort die richtige Notiz. In diesem Fall waren es Zitate aus Briefen von Wassilij Kandinsky, einem Zeitgenossen meines Dingens. Ich hatte sie einmal ganz privat aus Eigeninteresse aufgeschrieben, nicht weil sie mit meinem Thema irgendetwas zu tun haben könnten.
Die beiden sind sich wahrscheinlich nie über den Weg gelaufen, aber ich war wieder fasziniert, wie Menschen völlig unabhängig voneinander so ähnliche Gedanken entwickeln können. Einfach, weil die Zeit dazu reif ist. Bilden Modeströmungen und Trendthemen den Menschen? Oder ist es eher umgekehrt? Bilden sich wahrnehmbare Zeitenströme erst dann, wenn eine genügend große Anzahl von Menschen Ähnliches denkt und dabei Bahnbrechendes wagt? Wenn Menschen also im Gegenteil entgegen dem allgemeinen Trend nie Dagewesenes schaffen?
Jedenfalls weiß ich mal wieder nicht, wieso ich genau an dieser Stelle zugriff. Der Kandinsky war genau dieses fehlende Glied in der Kette, die perfekte Überleitung zu meiner im eigenen Kopf zu oft abgenudelten Anekdote. Plötzlich bekommt sie dadurch auch für mich eine neue, faszinierende Dimension und gebärt wiederum kleine Ideen. Begeistert tippe ich so lange, das ich mich jetzt zur Unterbrechung fast zwingen muss. Aber der Körper braucht einen Kaffee - und der wird zelebriert und genossen. So viel Pause muss sein. Das macht scharf - aufs Weiterschreiben.
Zwischendurch habe ich immer mal wieder Angst, den Bezug zu jenem Spinnennetz zu verlieren. Denn es gibt keinerlei technische Möglichkeiten, jenes Geflecht zufriedenstellend festzuhalten. Noch kann man nicht diese Kopfhauben aufziehen wie für ein EEG - und den Entwurf eines Werks einfach auf DVD über-denken. Und wenn es möglich wäre, das gesamte Chaos bei der Entstehung eines Buchs einzufangen, dann würde man wohl einige von uns einsperren...
Mein Hörprojekt bekommt selbst etwas von einem Spinnennetz im Aufbau. Der Text spricht mit der immer wieder eingewobenen Musik. Das erste Kapitel wird zu einer Ouverture. Immer wieder weisen winzige Passagen nach vorn und werden sich nachher zu eigenen Themen weiten. Themen, bei denen ich selbst schon im Voraus staune, wie sehr sie in jenem einzelnen Punkt eines Lebens zu Anfang schon angelegt waren.
Text und Musik vermischen sich aber auch in meiner Art der Wahrnehmung, ganz abgesehen von der üblichen Synästhesie. Ich höre meinen Text, muss jeden Satz laut sprechen, immer wieder laut vorlesen. Worte werden Klang, müssen anders komponiert werden als in einem Lesetext. Und ich lese Musik. Lese die Partituren, lese den Reichtum ab, den ich nicht unbedingt höre oder beim Hören nur ahne. Lerne über den Aufbau, das künstlerische Konzept hinter der Musik. Es wäre kaum angemessen zu schneiden, nur weil eine Pause entsteht. Ich wollte meinen Text auch nicht willkürlich kürzen lassen, nur weil ich Luft hole. Eine spannende Erfahrung. Wobei ich keine Ahnung habe, was dabei herauskommen wird, wie viel davon für die Hörer fühl- und erfahrbar. Vielleicht bilde ich mir auch alles nur ein?
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Was für ein Hörprojekt?
Weil ich verschiedentlich gefragt wurde, in welcher Form dieses "Hörprojekt" zu kaufen sein wird: Ich entwickle es mit dem Hörbuchverlag "Der Diwan", d.h., es wird ganz körperlich auf CDs produziert und aus guten Gründen auch nicht als Download erhältlich sein (Piraterie). Ich nenne es nur deshalb ungern Hörbuch, weil man gemeinhin unter Hörbuch ein von einem Schauspieler vorgelesenes, bereits gedrucktes Buch versteht. Im Gegensatz dazu entwickle ich den Text direkt für den Sinn des Hörens - und auch der Anteil der Musik wird sehr viel größer als üblich sein. (Ein ähnliches Text-Musik-Projekt ist z.B. Vindings Spiel / Rezension / Hörprobe bei Suhrkamp). Und so viel kann ich auch schon verraten: Die Musikrechte, die wir bekommen haben, sind traumhaft!
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