Verbrannte Bücher

Am 10. Mai vor 75 Jahren verbrannten die Nazis auf dem Berliner Opernplatz öffentlich Texte und Bücher, die sie in ihrer Diktatur nicht mehr dulden wollten. Es ging ihnen dabei nicht mehr nur um ein Verbot des Lesens - jede Möglichkeit, frei über seinen Lesestoff, seine Informationen und die eigene Kultur zu entscheiden, sollte damit ausgerottet werden. Und so, wie man bildhaft Bücher auf dem Scheiterhaufen hinrichtete, waren deren AutorInnen dem Berufsverbot ausgesetzt, der Verfolgung, dem Exil - und damit der Loslösung vom eigenen Sprachumfeld - und schließlich der Ermordung.

Zum Jahrestag plant der Verband deutscher Schriftsteller zahlreiche Aktionen und Lesungen vergessener und verschwundener Texte. Vergessen nicht nur wegen der Zerstörung, sondern weil nach dem Zweiten Weltkrieg an dieses Thema nicht systematisch gerührt wurde.

Literatur auf dem Scheiterhaufen – Der Geist im Feuer“ unter diesem Titel erinnern die Akademie der Künste, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, das P.E.N. Zentrum Deutschland und der Verband Deutscher Schriftsteller am 9. Mai 2008 mit einer zentralen Gedenkveranstaltung in der Akademie der Künste am Pariser Platz an den 75. Jahrestag der Bücherverbrennungen. Die Rede zum Gedenken hält Bundespräsident Horst Köhler.

Was geht uns die Bücherverbrennung heute an?

Faschistisches, menschen- und lebensverachtendes Gedankengut feiert heute wieder in aller Öffentlichkeit fröhliche Urständ - bis hinein in die Politik, die über unser Leben bestimmt. Es gilt wieder wach zu werden, aufmerksam hinzuschauen. In einer freiheitlichen Demokratie des Medienzeitalters wird sich niemand mehr damit ausreden können, er habe nichts davon gewusst - oder es sei zu gefährlich gewesen, Rückgrat und Zivilcourage zu leben. Wehret den Anfängen - dieser alte Spruch ist nach wie vor aktuell!

Weltweit werden Schriftsteller und Schreibende zensiert, verfolgt, verboten, ermordet. Von der Freiheit des Wortes ist unsere Welt weit entfernt. (Hilfe für verfolgte Schriftsteller)

Deutsche SchriftstellerInnen und LeserInnen der heutigen Zeit leiden an den Folgen der Bücherverbrennung, teilweise ohne es zu merken. Denn Schreiben heißt immer auch, sich auf Traditionslinien zu beziehen, von denen zu lernen, die vorher geschrieben haben. Aus einer kontinuierlichen Schriftkultur entstehen Auseinandersetzungen mit der Vergangenheit und Entwicklungen für die Zukunft. Mit der Bücherverbrennung wurden diese Wurzeln abgeschnitten. Wenigstens die Emigranten haben viel von ihrer Erzählkultur und alten Erzählformen in andere Länder retten können. Aber ihr eigenes Land hat sich von dieser Befruchtung und Inspiration abgeschnitten. Nicht zuletzt, weil jüdische Schriftsteller die deutschsprachige Erzählkunst nachhaltig prägten und mitentwickelten. Nach 1945 hat Deutschland auch in der Literatur wieder von vorn anfangen müssen.

Die Beschäftigung mit alten und vergessenen Texten kann uns heute wieder einen Zugang zu jenen Wurzeln schaffen. Wir Schriftsteller werden die Wunde nie mehr schließen können. Aber wir können wieder lernen von den Alten, eintauchen in ihre Ausdrucks- und Erlebniswelten. Wir können uns inspirieren lassen, um Neues zu schaffen. Und vielleicht können wir eines Tages eines wieder lernen, das durch die Nazibarbarei so zerstört wurde: das große Erzählen.

Lesetipps:

Volker Weidermann: Das Buch der verbrannten Bücher, Kiepenheuer & Witsch
Weidermann hat versucht, die Biographien der 131 SchriftstellerInnen zu rekonstruieren, die 1933 auf der schwarzen Liste der "Schönen Literatur" standen.

Ray Bradbury: Fahrenheit 451, Heyne
Der weltberühmte, auch verfilmte Science Fiction ist teilweise erschreckend von der Gegenwart eingeholt worden und wird dadurch zusätzlich zu einer Allegorie auf subtile "Verbrennungen" von Kultur und Literatur durch gleichgültige Konsumentenhaltung.

Antoni Graf Sobanski: Nachrichten aus Berlin, 1933-1936, Parthas
Der polnische Journalist und Kosmopolit war bei der Bücherverbrennung und dem Reichsparteitag als Korrespondent dabei und wurde schließlich selbst Opfer des Veröffentlichungsverbots. Nach 70 Jahren haben die Polen seine espritreichen Reportagen ans Licht geholt, jetzt sind sie erstmals übersetzt. Zitat vom 10.5.1933:

"Ich trauere um die Bücher als sterbende Gegenstände; ich trauere um das Volk, das diese Schande auf sich lud. Ich bin beschämt darüber, als gaffender Ausländer Zeuge dieser "Familienschande" gewesen zu sein. In diesem Augenblick der gemeinsam verspürten Scham war ich assimiliert."


Übermorgen, am 8. Mai, feiern viele Länder Europas mit Ausnahme von Deutschland die Befreiung von der Naziherrschaft.
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