Schreiben: eine darstellende Kunst?
In der NZZ macht sich Verleger Jochen Jung herrlich ironisch Gedanken über die modernen "Autorendarsteller": "Was einst Lesung war, heißt heute Auftritt." Nicht ganz zu Unrecht beklagt er, dass die Rückzugsgebiete für Autorinnen und Autoren rar werden - an allen Ecken und Enden zieht die Öffentlichkeit - und die Social-Media-Kultur will gar Transparenz auf allen Kanälen. Was aber macht das mit den Schriftstellern und was mit deren Kunst? Ein Artikel, der nicht nur sehr lesenswert ist - es lohnt sich, darüber nachzudenken, die eigene Situation zu überprüfen.
Spontan fiel mir bei Facebook dazu folgender Kommentar ein:
Ich muss zugeben, ich bin wohl eine Rampensau. Hätte ich früher von mir nie gedacht. Anfangs starb ich auch vor jeder Wasserglaslesung drei Tage lang, obwohl ich mich da so wunderschön an meinem Buch festhalten konnte und in meiner Studienzeit immerhin eine Sprechausbildung gemacht hatte. Aber irgendwann stellte ich fest, dass ich diesen Kontakt zu Ausschnitten meines Publikums im viel größeren Stil liebe - und dass der Adrenalinstoß und die Energie, die einen auf der Bühne elektrisieren, unwahrscheinlich kreativ machen können. Bei Auftritten lade ich mich auf wie ein Akku - drum mag ich "Events".
Schnell konnte ich mich mit "normalen" Lesungen einfach nicht mehr arrangieren. Die Leser rückten mir auf die Pelle; wollten wissen, wie viel von meinen Figuren in meiner Küche sitzt, ob ich nach dem Signieren für Tante Amalie nicht auch deren Tagebuch bei meinem Agenten abgeben könne ... immer wieder die gleichen gequälten Fragen, das gleiche Abspulen eines offenbar heiligen Rituals. Das wollte ich brechen, ich brauchte Bühne, ich wollte frei sprechen, denn Lesen kann doch eigentlich jeder selbst. Laienkurse beim Theater kamen dazu, neue Ideen. Ich habe auch künstlerisch etwas von solchen Bühnen: Das Live-Erzählen prägt meinen Stil, Texte muss man auch hören können wie gute Musikkompositionen. Texte kann man sogar eigens für Bühnen schreiben ...
Aber das alles mache ich freiwillig, aus Lust. Weniger lustvoll sieht es manchmal in Social Media aus. Was zum Teufel schreibe ich heute bei FB? Ich habe schon tagelang nicht mehr getwittert: Wird man mich noch kennen? Ich rede zuviel Privates, vergesse die Themen. Ich hätte gern mehr Zeit. Zeit zum Abschalten, zum Entwickeln, zum Schreiben. Aber ich muss das alles tun. Die Verkaufszahlen beweisen es: Ohne Social Media bist du nur ein halber Autor. Dauerdarstellung. Braucht's die aber wirklich?
Und wenn es scheinbar kein Geheimnis mehr um mich oder meine Bücher gibt? Ich selbst bin ja gemein: Scheinbar plappere ich den ganzen Tag, aber gewisse Dinge erzähle ich nie und nimmer. Da gibt es große Tabus. Doch immer häufiger bekomme ich bei FB schräge bis eklige Zuschriften von Typen, die glauben, durch eine virtuelle Präsenz alles über einen Menschen zu wissen. Die über ein Schnipselchen von dieser Autorin verfügen wollen - und wenn es nur für das ominöse Tagebuch ist, dass man bitteschön dem Agenten ... Ich will das nicht. Ich mag das nicht. Live mag sich so jemand zum Signieren verirren, aber da habe ich keine Zeit für ihn. Stehe ich auf der Bühne, sitzt so jemand im Dunkeln, weit weg, verschwimmt für mich in einer konturlosen Masse.
Ja, Jochen Jung hat recht: Es ist Zeit für eine Bestandsaufnahme, inwieweit man selbst schon in den darstellenden Künsten angelangt ist. Ob man das so will und kann. Vor allem aber ist es Zeit für die Frage, wie viel Kunst man daraus schöpft oder wie viel Krempel man nur redet.
Spontan fiel mir bei Facebook dazu folgender Kommentar ein:
"Herrlich, diese Ironie! Und er piekst so wunderbar in die Wunden des Literaturbetriebs hinein, dass es saftet. Er hat ja so recht. So isses.
Es gab mal einen Kultschriftsteller, Tom Robbins, der hat sich jahrelang, falls er überhaupt in die Öffentlichkeit ging, bei Interviews nur mit Krokodilsmaske gezeigt. Keiner wusste, wie der Mann aussieht oder gar lebt, aber alle schrieben über ihn. Seine Bücher gingen wie warme Semmeln, obwohl den Autor niemand kannte. Oder WEIL er ein so großes Geheimnis war? Auf meinem Computer liegt jedenfalls ein altes Krokodil aus einem Kasperletheater. Um mich manchmal zu warnen, wenn ich zu sehr im Kasperletheater drin bin ...
Sicher haben wir viel gewonnen mit der Öffnung zu den Lesern und der Transparenz und der Verpflichtung, auf allen Kanälen zu tanzen. Wir haben aber vielleicht noch mehr verloren?
Kürzlich sagte mir die Bibliotheksdirektorin einer nicht ganz unwichtigen Stadt, dass die Zeit der Wasserglaslesungen vorbei sei. Die Leute wollen das zumindest in dieser Stadt nicht mehr. Verwöhnt vom allgemeinen Kulturangebot müssen Schriftsteller nun Events stemmen, tolle Veranstaltungen rund ums Buch ausdenken - lesen können die Leser selbst, im Stillen, alleine. Das ist auch fantastisch. Für die Rampensäue, die Erfindungsreichen oder die Selbstdarsteller. Aber früher, als Schriftsteller nur Bücher schrieben, konnten auch die Schüchternen, die Antisozialen und die Ängstlichen wunderbare Bücher verkaufen ..."Und das sage ausgerechnet ich, die ich auf so vielen Kanälen "dauerpräsent" bin, wie das mal ein Freund formulierte?
Ich muss zugeben, ich bin wohl eine Rampensau. Hätte ich früher von mir nie gedacht. Anfangs starb ich auch vor jeder Wasserglaslesung drei Tage lang, obwohl ich mich da so wunderschön an meinem Buch festhalten konnte und in meiner Studienzeit immerhin eine Sprechausbildung gemacht hatte. Aber irgendwann stellte ich fest, dass ich diesen Kontakt zu Ausschnitten meines Publikums im viel größeren Stil liebe - und dass der Adrenalinstoß und die Energie, die einen auf der Bühne elektrisieren, unwahrscheinlich kreativ machen können. Bei Auftritten lade ich mich auf wie ein Akku - drum mag ich "Events".
Schnell konnte ich mich mit "normalen" Lesungen einfach nicht mehr arrangieren. Die Leser rückten mir auf die Pelle; wollten wissen, wie viel von meinen Figuren in meiner Küche sitzt, ob ich nach dem Signieren für Tante Amalie nicht auch deren Tagebuch bei meinem Agenten abgeben könne ... immer wieder die gleichen gequälten Fragen, das gleiche Abspulen eines offenbar heiligen Rituals. Das wollte ich brechen, ich brauchte Bühne, ich wollte frei sprechen, denn Lesen kann doch eigentlich jeder selbst. Laienkurse beim Theater kamen dazu, neue Ideen. Ich habe auch künstlerisch etwas von solchen Bühnen: Das Live-Erzählen prägt meinen Stil, Texte muss man auch hören können wie gute Musikkompositionen. Texte kann man sogar eigens für Bühnen schreiben ...
Aber das alles mache ich freiwillig, aus Lust. Weniger lustvoll sieht es manchmal in Social Media aus. Was zum Teufel schreibe ich heute bei FB? Ich habe schon tagelang nicht mehr getwittert: Wird man mich noch kennen? Ich rede zuviel Privates, vergesse die Themen. Ich hätte gern mehr Zeit. Zeit zum Abschalten, zum Entwickeln, zum Schreiben. Aber ich muss das alles tun. Die Verkaufszahlen beweisen es: Ohne Social Media bist du nur ein halber Autor. Dauerdarstellung. Braucht's die aber wirklich?
Und wenn es scheinbar kein Geheimnis mehr um mich oder meine Bücher gibt? Ich selbst bin ja gemein: Scheinbar plappere ich den ganzen Tag, aber gewisse Dinge erzähle ich nie und nimmer. Da gibt es große Tabus. Doch immer häufiger bekomme ich bei FB schräge bis eklige Zuschriften von Typen, die glauben, durch eine virtuelle Präsenz alles über einen Menschen zu wissen. Die über ein Schnipselchen von dieser Autorin verfügen wollen - und wenn es nur für das ominöse Tagebuch ist, dass man bitteschön dem Agenten ... Ich will das nicht. Ich mag das nicht. Live mag sich so jemand zum Signieren verirren, aber da habe ich keine Zeit für ihn. Stehe ich auf der Bühne, sitzt so jemand im Dunkeln, weit weg, verschwimmt für mich in einer konturlosen Masse.
Ja, Jochen Jung hat recht: Es ist Zeit für eine Bestandsaufnahme, inwieweit man selbst schon in den darstellenden Künsten angelangt ist. Ob man das so will und kann. Vor allem aber ist es Zeit für die Frage, wie viel Kunst man daraus schöpft oder wie viel Krempel man nur redet.
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