Lesung im Stundenhotel!

... mir wurde anonym folgende Mail zugespielt, die meiner Meinung nach eine breitere Öffentlichkeit verdient hat. Damit sich das Ganze flüssiger liest, möchte ich den Autor ganz fiktiv Alfons Alfonsius nennen. Mit womöglich existierenden Menschen des gleichen Namens hat er nichts zu tun, Übereinstimmungen wären rein zufällig.

... hat mich mein Verlag zu einem großen Essen im X eingeladen, um gemeinsam mit der Werbeabteilung ein brandneues, brandheißes ( so steht das wörtlich in der Einladung) Konzept in Sachen Markenbildung und Corporate Identity für mich und mein Buch zu erarbeiten. Da ich den Vertrag nur bekommen habe, weil ich mich zu eigenen Auftritten und Zusammenarbeit bei den Werbemaßnahmen bereit erklärt habe, war ich natürlich sofort dabei (und welcher Autor kann sich schon ein fünf-Gänge-Diner im X leisten!).

Ich habe einen Management-Ratgeber im populären Sachbuchbereich geschrieben, bei dem es darum geht, sich äußerlich wie innerlich freier zu präsentieren, den Kollegen gegenüber, den Kunden gegenüber. Darin sind Tipps enthalten, welche schicken Alternativen es zu Krawatte und Anzug gibt, aber auch Wege beschrieben, wie sich moderne Manager zur eigenen Authentizität in Social Media befreien, anstatt nur um der Karriere willen den Sklaven im System zu mimen. Die Programmkonferenz soll bei der Vorstellung von Exposé und Probetext gejubelt und mit großem Hallo gleich drei Titel vorgeschlagen haben:
--- "50 shades of  pinstripes"
--- "Fi.k dich selbst. Eine Reise ins Innere der Macht"
--- "Deutschland löscht dich aus"

Bei einer spannenden Treibjagd zwischen Vertretern und Lektorat wurde Vorschlag 3 sofort verworfen, weil die Werbeabteilung fand, für diesen Titel sähe ich einfach zu jung und knackig aus, und weil mein Kollege Sarrazin schon alle geilen Auftrittsorte dafür "verbrannt" hätte. Der Rest wurde, wie gesagt, in diesem angesagten Schuppen mit mir besprochen. Anbei das Podcast (transkribiert):

Programmchef: Wir können heutzutage Bücher nicht mehr nur über Wasserglaslesungen in der staubigen Buchhandlung verkaufen. Lesereisen zwischen Köln-Porz, Bayrisch Himmelstein und Berlin Kreuzberg ziehen einfach nicht mehr. Ohne Event, das ich in den Social Media auch mal ein bißchen langatmiger und nicht so kurzlebig verkaufen kann, läuft heute nichts mehr im Spitzensellerbereich!

Werbetante: Da muss ein echtes Event her! Etwas nie Dagewesenes! Etwas, das unseren jungen, schmucken Mann hier in die Herzen aller Frauen und vor allem ins TieVie katapultiert!

Dauerfrustrierte outgesourcte Lektorin: Frauen? Wie viele hocken denn in Spitzenpositionen? Das ist eindeutig ein Männerbuch.

Vertreter: Vergesst Männerbücher. 95% aller Käufer sind weiblich. Ist doch egal, was die für einen Beruf haben. Hauptsache der Kerl auf dem Autorenfoto ist sexy und der Titel auch. Ich bin für den Titel mit den pineapples, äh, den Dingern, äh, das versteht doch keine Sau. Können wir da nicht ein "grey" draus machen, passend zum Anzug?

Werbetante: Ich ruf gleich bei Hugo Boss an, ob die nicht vielleicht eine Kollektion mit Handschellen haben, das wird der Renner!

Programmchef: Sachte, sachte mit die jungen Damen. Fragen wir doch erst mal unseren vielversprechenden Autor, wie er gedenkt, sich für das Geld einzubringen, das wir in sein Machwerk pumpen!

Controler: Meine Rede. Bevor das Profitcenter Autor nicht steht, brauchen wir über Markenbildung gar nicht zu reden.

Werbetante mit lustvollem Seitenblick auf den Autor: Aber das mit der Corporate Identity wird ein Kinderspiel. Corpus hat der Junge, das muss man ihm lassen ...

Autor, schüchtern stammelnd: Also, also ich würd natürlich schon was tun für mein Buch. Ich könnte mir durchaus auch Events vorstellen.

Lektorin, jetzt weniger frustriert, aber immer noch outgesourct: Ich hab euch ja gesagt, der Mann ist Gold wert! Der zickt nicht so rum wie letztens die Veganerin, die während der Lesung öffentlich ihr Baby stillen wollte. Ich mein, wo kommen wir denn da hin, schreibt einen Sächsratgeber und stillt ihr Kind mitten im Verhütungskapitel!

Autor: Ich habe einen Managementratgeber geschrieben. Vielleicht könnte man ein Event unter Managern ...

Vertreter: Nee Jung, das schmink dir mal ganz schnell ab! Da muss was Geileres her! Thalia kauft uns das unmöglich ab, da hatten wir schon letztens Probleme, weil die Autorin mit diesem historischen Roman "Die Fußschemelin der Knappin" gleich ein ganzes Schloss mieten wollte. Dabei war die Treppe noch nicht mal bezahlt ...

Nicht zuständige Lektorin, fest angestellt: Der zweite Titel tät mich anmachen. "Hengstparade" ist ja leider schon vergeben. Unsere Leserinnen werden uns das Buch aus den Händen reißen. Warum eigentlich nicht auch unseren Autor? Ich seh vor mir, wie die Fans dem die Kleider vom Leib reißen!

Autor stumm mit Glubschaugen.

Werbetante: Nackich ist immer gut. Vor allem bei der Corpus Identity! Kommen wir zwar nicht ins Vorabendprogramm und in die Jugendpresse, aber je kontroverser, desto besser. Das Feuilleton wird sich kollektiv einen runterholen beim Meckern!

Vertreter: Was machen wir mit Weltbild?

Werbetante: Gegessen. Kommt ja kein Kondom im Buch vor, oder?

Controler: Ich mache darauf aufmerksam, dass wir schon bei der Hauptspeise sind. Unser Autor hat bereits eine ganze Flasche Champagner allein niedergemacht. Das kostet! Wir sollten also schnell zu einer tragfähigen Werbeaktion kommen!

Autor, lallend: Wewennn, w ...ich auchmal w...wwasss sagen ...

Werbepraktikant: Hab mit Boss telefoniert, die könnten Anzüge stiften, aber die Handschellen müssten wir in so Shops besorgen. Oder bei der Polizei. Aber des wär doch zu arg Crime oder? Und die Mehrheit in Social Media steht auf Blümchensex laut unserer Studie von vor zwei Jahren.

Autor pfatscht mit Löffel in den Beilagen, dass es spritzt, und kichert: Aber ich hab doch einen Management...

Controler: Jetzt machen wir mal Nägel mit Köpfen. Nackt muss sein. Drunter geht's bei Spitzentiteln nicht mehr. Die Leserinnen wollen ihre Lieblingsautoren zum Anfassen. Und jetzt, wo die Konkurrenz ihre Autoren schon im Livestream in der Muckibude lesen lässt, da geht bei uns nix nix nix mehr im Anzug. Wenn ich das richtig verstanden habe, geht's in dem Buch sowieso ums Freimachen?!

Werbetante: Ja, ja, ja, jaaaaaaa! Geil! Irre, super, dasisses!

Lektorin, egal welche: So leidenschaftlich auf einmal, Erika? Wenn sie diese Verve doch auch mal für unsere Frauenromane aufbringen würden!

Werbetante: Ach was, Frauen. Unsere Leserinnen wollen FLEISCH. Leidenschaft, genau das ist es. Wie viele Frauen müssen heutzutage ohne Buch ins Bett gehen! Mag ich mir gar nicht vorstellen. Diese Leere, dieses Leid. Aber Muckibude ... lasst das mal die Konkurrenz machen. Ich bin ja der Meinung, nicht jede Leserin steht auf Männerschweiß. Wo gehen Manager hin? Lasst uns das mit ganz dichtem Bezug zum Buch machen! Na, was kommt denn nach den Sitzungen und Konferenzen am Abend immer?

Vertreter: Gemeinsames Besäufnis an der Bar. Endlich mal unter sich. Ohne Ehefrau.

Werbetante: Das ist das Stichwort! Wie viele Leserinnen würden sich bei unserem schnieken Autor nicht an die Stelle der Ehefrau wünschen, der Mann sieht ja auch noch volltrunken richtig heiß aus!

Autor bestellt mit hochgerecktem Mittelfinger noch eine Flasche Champagner.

Werbetante: Ich hab's. Wir mieten das Kempinsky oder das Atlantik Hotel oder so einen Edelschuppen. Natürlich nur ein Zimmer mit Doppelbett. Dafür tauschen die die Bibel auf allen Zimmern durch unser Buch aus, gekauft, nicht gespendet. Boss liefert die Klamotten zum Ausziehen und stapelt unser Buch im Outlet. Link zu unserem Verlag in allen internationalen Shops. Unser Autor macht im Live-Streaming einen Striptease und wird täglich eine Viertelstunde auf den entsprechenden Sendern im Fernsehen gezeigt. Dazu bauen wir eine Website mit VIP-Lounge, wo man ihn mit Virtual Reality, oder wie das heißt, auffem Touchscreen antatschen und bewegen kann.

Controler tippt in Rechner und strahlt.

Werbepraktikant: Da hätte ich die geilste, äh, wenn ich vorschlagen dürfte, also eine irre geile Idee ...

Controler: Wenn sie nichts kostet?

Werbepraktikant: Nein, sie bringt sogar noch Geld ein. Wir verlosen unter den Leserinnen eine Stunde mit ihrem Lieblingsautor, nackt vor der Live-Cam. Gestreamt auf alle Kanäle. Für jede Minute, die die Kamera ausgeschaltet bleibt, kaufen die Leserinnen ein Buch. Macht sechzig Bücher à 38,95 Euro für eine Stunde Gratissex. Das war noch nie da.

Controler: Das schlägt sicherlich die Konkurrenz mit dem Mann in der schweißigen Muckibude. Die haben sicher fürchterlich investieren müssen.

Autor rülpst laut und säuft weiter.

Verleger: Einverstanden. Das wird der absolute Bestseller. Die werden uns in der Luft zerreissen und uns darum das Buch aus den Händen reißen. Ich schlage den Titel vor: "Fifty shades of fi.k dich selbst. Eine Reise ins Innere der Macht". Keinen Sponsor vergessen, unseren Autor auf Vitamine setzen, schicken sie auch gleich eine Ladung voll an Weltbild und vergessen sie nicht, die Leute von Thalia zum Probeliegen einzuladen. Das wird der geilste Management-Ratgeber, den wir je im Programm hatten. (Zum Werbepraktikanten) Melden Sie sich morgen bei mir. Sie bekommen ein unbefristetes Praktikum auf drei Jahre bei uns. Solche Mitarbeiter brauchen wir!


Autor liegt bewusstlos unterm Tisch.

Danke, Alfons Alfonsius, für den Mut, trotz der widrigen Umstände diesen Abend auf einem batteriebetriebenen Diktiergerät mit Minikassetten mitzuschneiden.
Danke Tom, für die Überführung der Tondaten auf mp3, so dass ich das Ganze zum Ausdrucken transkribieren konnte.
Und ein besonders dickes Dankeschön an die Fischer Verlage für die absolut geile Steilvorlage, Autoren zum Lesen in die Sauna zu schicken. Die Satirikerin konnte einfach nicht mehr anders.

4 Kommentare:

  1. Corpus identity, ich schmeiß mich weg! Aber wenn den Corpus Christo verhüllt, kann man dat Dingens sicher auch über den Vatikan vertreiben ;-)

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  2. Du meinst Weltbild? ;-)

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  3. Klar, Weltbild hat mich inspiriert. Aber ich denke hier durchaus an einen Direktvertrieb über die Kirche. Drei, vier Exemplare pro Bank, Managementratgeber statt Gesangbücher, zum Reinlesen, wenn die Predigt langweilt. Wer's dann gleich mitnehmen will, zahlt beim Rausgehen am Opferstock. Müsst man halt Pineapple durch Passionsfrucht ersetzen, Nagelspur statt Nadelstreif ... Oh, jetzt komm ich gleich ins Schwärmen ;-)

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  4. Willst du meine Marketing-Beraterin werden? Hätte ein Buch über Schwarze Madonnen zu bieten ... ;-)))

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