Ein Tag zum Emigrieren

Ein Tag wie ein Molotowcocktail. Die Übersetzung eines Buchs droht, meine Existenz zu vernichten. Vor mir ein Brief der Krankenkasse, ich hätte sie betrogen, es könne nicht sein, dass man fast ein Jahr lang nur für einen einzigen Verlag übersetzt (!) und dann behauptet, Freiberuflerin zu sein und Autorin. Seit zwei Monaten sitze ich ohne Krankenversicherung da, jetzt verlängert sich das. Eine Krankenhausrechnung steht an. Jedes Jahr das gleiche Spiel, weil die französischen Behörden den von französischen Behörden erlassenen Sonderstatus eines "auteur-artiste" nicht begreifen wollen, der auch mal übersetzen darf.

Jemand, der in diesem Umfeld arbeitet, sagte hinter vorgehaltener Hand, das träfe viele, ja immer mehr Menschen, und das habe Methode. Das Sozialsystem sei derart pleite, dass sie angewiesen seien, Geld herauszuholen oder zu sparen, wo es nur möglich sei. Ob ich nicht die Rechnungen hätte fälschen können, das sei bequemer ...

Das und vieles mehr sind die Hintergründe, warum Sarkozy in Sachen Euro-Rettung so vorprescht. Frankreich wäre der nächste Wackelkandidat. Noch kann man die Bilanzen schönen - auf dem Rücken der Ärmsten. Mir bleibt nur, wieder einen Tag lang Papiere zusammen zu suchen und einen Brief auf dem Niveau von gehirnamputierten Vollidioten zu verfassen und einen halben Tag auf dem Amt herumzusitzen. Unbezahltes Arbeiten für die Administration. Und auf dem Amt kocht die Stimmung, die Menschen werden immer aggressiver - wer kann es ihnen verdenken. Bei jedem Amtsbesuch höre ich von Schicksalen der Behördenwillkür, wie ich sie mir nie habe vorstellen mögen. Irgendwann wird es wieder brennen in Frankreich. Aber diesmal nicht nur in den Vorstädten.

Ich denke, meine Tage hier sind sehr gezählt. Das alles ist nur der berühmte Tropfen im überlaufenden Fass. Ich bin müde, ausgepowert, vom täglichen Kampf ums ganz normale Leben. Das hat Ausmaße angenommen, die nicht einmal im Polen der frühen Neunziger so schlimm waren. Aber ich kann nicht einmal einfach so weg. Nach einem Vierteljahrhundert wird selbst Emigrieren zum behördlichen Abenteuer. Und wer weiß, was für Freuden mich als Migrantin in Deutschland empfingen!

7 Kommentare:

  1. Ach Liebes - entschuldige die intime Anrede - geh weg, wenn du willst. Wenn die Behörden so schlampig sind, verfolgen sie dich auch nicht bis nach Dland :-) - was auch immer der Papierkram sein wird.
    Wieder nach Dland zu gehen ... umziehen, anmelden, fertig.
    Mein Leben ist upside down, bei mir wird es auch einschneidene Änderungen geben.
    Anyway good luck!!!

    Madam - RCN

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  2. Die Anrede ist schon richtig angekommen, danke Madam! :-)

    Es geht ja nicht ums Verfolgen (ich habe den Ärger auch nur öfter als andere, weil ich NICHT trickse und betrüge). Aber nach fast einem Vierteljahrhundert bricht man die Zelte nicht so einfach ab (eine Rente will man ja auch mal) - zumal ich gar noch nicht weiß, ob ich überhaupt nach Deutschland möchte ... ich wäre dort inzwischen Ausländerin.

    Ich weiß von Freiberuflerfreunden, dass die Ämter dort auch nicht im Sinne der Bürger arbeiten und alles ist sehr sehr viel teurer.

    Was mich so in Rage bringt: Ich will ein Land nicht wegen solcher Dinge verlassen müssen. Will es mir von solchen Betonköpfen nicht vermiesen lassen. Aber irgendwann, wenn man immer nur dafür bestraft wird, dass man keinen 0815-Beruf hat, macht das mürbe und kaputt. Und dann reden sie zynisch von beruflicher Mobiltät und Patchworkexistenzen.

    Nun ja, heute feiere ich ein wenig mit anderen Migranten, die hier seit vielen Wochen ohne Telefon dasitzen, weil angeblich für ihr Dorf das Kontingent an Leitungen schon verlegt und keine mehr frei ist. Wir werden erst über Frankreich herziehen und anschließend über die Länder, aus denen wir kommen. Und nachher wieder lachen, weil alle Bürokraten dieser Welt so strunzdoof sind und wir sie alle überleben werden.

    Manchmal, zwischendurch, träumen wir sogar ganz kurz von Korruption. Wie leicht wäre das Leben, wenn man wüsste, wen man wie schmieren muss, damit er endlich sein Gehirn einschaltet ;-))))

    Grüße aus dem französischen Outback,
    Petra

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  3. Mein Beileid, Madame!

    ich befürchte jedoch, dass das nur die ersten Anzeichen der Probleme sind, die früher oder später auf ganz Europa zukommen.

    Ich werde in der kommenden Woche für eine Woche in Griechenland sein und freue mich jetzt schon unglaublich auf die ganzen zugekleisterten Schaufenster...

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  4. Ich sehe das wie du, Dedalus. Ein paar meiner deutschen Freunde machen sich darüber lustig, "dass in Frankreich nix funktioniert" (was maßlos übertrieben ist). Und vergessen, dass ihre Frau Merkel mit unserem Herrn Sarkozy ganz dicke ist.
    Wir haben alle die vergangenen Jahre über unsere Verhältnisse gelebt...

    Was mich viel mehr beunruhigt, ist die wachsende Aggression, Gewaltbereitschaft und sogar Demokratiefeindlichkeit unter denen, die nicht verstehen, wie alles so hat kommen können, und die die ganz großen Verlierer sind, während der Überreichtum auch überproportional wächst. Und was ich nicht verstehe, ist diese üble Polemik gegen die Griechen, die ja auch nur ausbaden müssen, was eine Klüngelwirtschaft einiger weniger verursacht hat.

    Ich bin sehr gespannt, was du zu berichten haben wirst!

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  5. Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen, dass die wachsende Aggression und Gewaltbereitschaft bewusst geschürt wird (sh. Bericherstattung der BILD-Zeitung zu GR) um von den tatsächlichen Verursachern abzulenken.

    Nichtsdestotrotz sind der aufkeimende Hass und die Demokratiefeindlichkeit tatsächlich besorgniserregend. Wo das Ganze enden wird, weiß ich beim besten Willen nicht.

    Werde am ab dem 19.11. berichten können, wie die Situation in der Heimat ist... befürchte aber, dass ich kaum Gutes zu berichten haben werde.

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  6. Und wer weiß, was für Freuden mich als Migrantin in Deutschland empfingen!

    Exakt! Vermutlich geht es Deutschland auch nicht besser als Frankreich. Merkel und Sarkozy wären sonst keine dicken Freunde. Zwischen arm und reich hat es noch nie Freundschaft gegeben.

    Liebe Petra,
    Sie werden zur richtigen Zeit die richtige Entscheidung treffen. Sie sind eine starke Frau, die sich auch mal erlauben darf, müde und ausgepowert zu sein.
    Ich drücke Ihnen alle verfügbaren Daumen, dass der "tägliche Kampf" für Sie wieder erträglich wird und die Schaffensfreude wieder überwiegt.

    Gruß Heinrich

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  7. Ja, Dedalus, das Thema ließe sich ausweiten auch auf den üblen Rechtsruck in Europa und anderswo. Die Worte der Brandstifter unterscheiden sich ja kaum noch von denen in den 1920ern.

    Heinrich, in der Politik gibt es keine Freundschaft, nur Zweckgemeinschaft. Schauen sie sich die Gesichter der beiden dicken Freunde mal ganz genau an, wenn die Maske etwas erschlafft...

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