Die Grünen gegen ein ganzes Ökosystem
Der Leitantrag hat es in sich. Vollmundig und vordergründig wird behauptet, man wolle die KünstlerInnen stärken. Gleichzeitig haben sich die Grünen offensichtlich auf die Fahnen geschrieben, eines der wichtigsten Ökosysteme einer Gesellschaft zu zerstören - nämlich die Lebensgrundlage von KünstlerInnen und Kulturschaffenden. Die Ideen der Grünen klingen abstrus, sind aber brandgefährlich:
»Eine deutliche Verkürzung bzw. Flexibilisierung der Schutzfristen z.B. auf fünf Jahre muss mit der Möglichkeit der Neuverhandlung einhergehen. Das bedeutet: Eine fünfjährige Schutzfrist ab Veröffentlichung mit anschließender, gebührenpflichtiger mehrmaliger Verlängerungsoption...«Einfach gesagt: Die Grünen wollen schnell mal das in Europa hart erkämpfte Urheberrecht auf fünf Jahre herunterbiegen. Danach muss man für das Urheberrecht entweder löhnen - oder ein anderer löhnt und bereichert sich an den künstlerischen Erzeugnissen. Ja, das muss man sich langsam im Hirn zergehen lassen!
Das ist aber noch nicht alles. Wer das Geschwurbel aufmerksam liest, wird noch andere Überlebensleckerli für Künstler und Kulturschaffende finden. So werden die Plattformen in ihrer Macht gestärkt, die jetzt schon die Milliarden verdienen, Contentpiraterie soll von jeglicher Strafverfolgung befreit werden und die öffentlich-rechtlichen Sender sollen verpflichtet werden, ihre gesamten Archive kostenlos öffentlich zu machen. Auch die nicht-kommerzielle Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken soll künftig nicht mehr der Zustimmung des Urhebers bedürfen - jeder soll mit den Werken anstellen können, was er will, sofern er kein Geld verdient. (Nur mal ein Beispiel angedacht: Ich kann dann künftig aus "echten" Büchern Copy & Paste-Texte basteln und kostenlos ins Netz stellen, ohne deren Urheber fragen zu müssen.)
Der einzige Trost bei diesem Enteignungswahnsinn mag sein, dass der Leitantrag politisch derart unausgegoren ist, dass er auf europäischer Ebene nur lächerlich wirken kann, würde sich Deutschland in Sachen Urheberrecht derart isolieren. Trotzdem - was auf Parteitagen gedacht und beschlossen wird, bekommt bekanntlich schnell Junge. Als Betroffener kann man sich nicht früh genug wehren. KünstlerInnen und Kulturschaffende sollen mit einer wolkig angedachten Art von Kulturflatrate abgespeist werden. Sie verlieren aber nicht nur ihre Lebensgrundlage. Sie verlieren - sollte so ein Unsinn Politik werden, das wichtigste immaterielle Gut eines Künstlers: die Fähigkeit, über das eigene Werk zu entscheiden, die Schöpfungsmöglichkeiten in eigenen Händen zu halten.
So aber wird Kunst zum reinen Kommerz, nach Trockenlegung des Biotops der Künstler haben wir dann künftig "Contentbastler" und fröhliche Verwerter. Totaler Konsumismus nun also auch bei den Grünen, politischer Klimawandel. Geiz ist geil! Was braucht eine Gesellschaft Kulturschaffende, wenn sie seltene Tierarten schützt? Für mich sind die Grünen mit diesem Antrag unwählbar geworden. Dass ich sie in der Vergangenheit schon gewählt habe, dafür schäme ich mich.
Der Protest aus Kulturkeisen formiert sich. Gebt die Informationen weiter und beschwert euch - sofern zu den betroffenen Berufen zählend - direkt bei den Grünen. Denkt daran: Kommentare in diesem Blog nützen nicht viel - schenkt sie den "Urhebern" dieses Leitantrags. Macht eure Bedürfnisse öffentlich.
Mein Beitrag geht außerdem an den Verband deutscher Schriftsteller.
Linktipps:
- Der Protest des Verbands der Drehbuchautoren
- Der Protest des Verbands der Komponisten (pdf)
- Die Facebookseite der Grünen für Feedback
- Die taz vermeldet, der Vorstand wolle "weichere Formulierung vorschlagen" - man hat Angst vor Kritikern.
Es geht nicht um das Urheberrecht nach dem Tod, sondern eindeutig zu Lebzeiten. Die taz schreibt dazu (Link oben):
"Bisher schlägt er (der Parteivorstand) bei neu entstandenen Werken "eine fünfjährige Schutzfrist ab Veröffentlichung" vor. Künstler und Autoren sollten diese Frist mehrmals gebührenpflichtig verlängern dürfen.
Diesen Passus will der Grünen-Vorstand streichen. Stattdessen wird er den 900 Grünen-Delegierten, die sich ab diesem Freitag in Kiel treffen, eine weichere Formulierung vorschlagen. In dem Text ist dann nur noch von einer "deutlichen Verkürzung und Flexibilisierung der Schutzfristen" die Rede, wobei den UrheberInnen mit Verlängerungsoptionen entgegengekommen werden soll"
Der DJV informiert über die Beschlüsse des Wochenendes und stellt eine Linkliste zum Thema zur Verfügung. Demnach haben die massiven Proteste offensichtlich Wirkung gezeigt und die wahnwitzige 5-Jahres-Regel ist vom Tisch. Insgesamt hat sich inhaltlich jedoch nicht viel am Konzept geändert. Ich würde mich freuen, wenn noch mehr betroffene Verbände endlich aufwachten...
Die Fotografenvereinigung Freelens: Grüne Piraten vergraben den Kulturschatz
Eine Stellungnahme des VS konnte ich bis heute (1.12.11) nicht finden.
Die Debatte der Grünen ist der typische Reflex auf die Konkurrenz - in diesem Fall die Piraten, denen man ein Thema nehmen will. Alles schon Geplänkel vor dem nächsten Bundestagswahlkampf.
AntwortenLöschenWie immer wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Der Leitantrag ist bereits vom Tisch. Trotzdem muss man die Debatte aufmerksam verfolgen, gemäß dem Motto "Wehret den Anfängen".
Die TAZ schreibt heute zu dem Thema:
http://taz.de/Debatte-ums-Urheberrecht/!82520/
Vom Tisch ist er nicht, man will ihn "abschwächen", um niemanden zu verprellen. Auf den Seiten der Grünen bei FB prangt er noch...
AntwortenLöschenNatürlich werden sie mit solchen Ideen massiv baden gehen. Aber wie du sagst: "Wehret den Anfängen." Einmal derart abstruse Ideen gestreut - schon bedienen sich andere. Und als Wahlvieh waren KünstlerInnen noch nie attraktiv...
Ich schlage vor: Bedingungsloses Grundeinkommen auf Lebenszeit für alle Kunstschaffenden!
AntwortenLöschenEine Kürzung des Urheberrechts nach dem Tod des Künstlers ist durchaus nachdenkenswert. Aber zu Lebzeiten, das wäre die Höhe. Das wäre, als würde man ein Haus bauen und nach 5 Jahren muss man plötzlich Miete zahlen. Verramschen wir jetzt auch unseren Geist? "Tut mir leid, sie haben zu viel Fantasie, dafür müssen sie jetzt Steuern zahlen." Einen so ausgekochten Unsinn habe ich noch nie gehört. Das ist gegen Freiheit und gegen Menschenrechte. Ein Kunstwerk gehört dem Künstler. Er hat sehr viel Schweiß, Stress und oft auch Leid hineingelegt. Beim Wissenschaftler sind das ähnlich aus, die lassen wir ja netterweise auch einfach ausbluten. Denken wir doch lieber darüber nach, wie wir zwei der wichtigsten Säulen einer Gesellschaft, die Kunst und die Wissenschaft, besser schützen und fördern können. Auf der Konsumseite haben wir ja schon genug getan. Was ist mit der Schöpferseite?
AntwortenLöschenSagt das den Grünen bitte ;-)
AntwortenLöschenDie Formulierung "fünf Jahre" wollen sie laut taz ja nun unter den Tisch fallen lassen, weil man die harsche Kritik fürchtet. Doch der Teufel steckt im restlichen Detail...
Ich denke auch, dass man alte Bestimmungen immer mal wieder diskutieren und womöglich ändern muss. Aber MIT den Betroffenen, nicht GEGEN sie. Und nicht hinterrücks aus der Hüfte geschossen.
Es geht ja bei solchen Ideen tendenziell immer auch um den allgemeinen Umgang mit geistigen "Produkten": Texte, Musik, Design, Figuren, Namen, Patente etc.
AntwortenLöschenWenn ich sehe, was z.B. Apple in die Wege leitet, um sich seinen angebissenen Apfel schützen zu lassen - oder Coca Cola mit der Form seiner Flasche... Alles mehr als 5 Jahre alt und damit für den allgemeinen Gebrauch freizugeben? Ein Hoch auf die Produktpiraterie und alle Nachahmererzeugnisse!
Sabine, die Feinheit, zwischen immer mehr verarmenden Künstlerinnen und Riesenkonzernen zu unterscheiden, traue ich den Grünen aber gerade noch zu ;-)
AntwortenLöschenMan kann das Urheberrecht (hat mit Markenrecht nichts zu tun) nicht mit der Fliegenklatsche diskutieren.
Interessant ist allemal, wie unklug man sich um des vermeintlichen Machterhalts oder des Erlangens dessen immer wieder elbst ins eigene Fleisch beißt.
AntwortenLöschenMich persönlich wundert eigentlich nichts mehr. Ich staune nur "ergriffen" ...
Lieber Gruß
Elke
Dumm nur, dass Volkes Stimme gern "unklug" wählt. Mich erschreckt bei Diskussionen im Net zum Urheberrecht immer wieder, wie da mit Halb- und Viertelwissen nach dem Motto diskutiert wird: Wenn so viele Leute Fahrräder klauen, sollten wir den Diebstahl von Fahrrädern legalisieren. Oder: Wenn dich einer zusammenschlägt, bist du selbst schuld, hättest ja nicht rausgehen müssen. Und das sogar unter AUTOREN!
AntwortenLöschenWie sagt ein Anwalt immer so schön: Die Rechtverluderung greift um sich. Bis in politische Kreise...
Dabei würde es schon reichen, die Leute überahupt mal aufzuklären, was der Unterschied zwischen Urheberrecht und Nutzungsrechten etc. ist.
Schöne Grüße, Petra
> Was braucht eine Gesellschaft Kulturschaffende, wenn sie seltene Tierarten schützt?
AntwortenLöschenBiotopschutz ist auch out, der Maisacker fürs Biogas hat Vorrang.
Freelens hat den Nagel auf den Kopf getroffen:
http://freelens.com/recht/die-gruenen-piraten-vergraben-den-kulturschatz
Man wollte wohl die Piratenpartei überbieten, siehe
http://bov.antville.org/stories/2031601/
Danke für die Links, Irene, werde ich noch im Text einsetzen!
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