Zen in Frankreich
Eigentlich sollte ich ganz laut schreien, vom Eiffelturm herab Bungee springen oder 1001 Kakerlaken ermorden. Das befreit, sagt man. Stattdessen stelle ich fest, habe ich mir endlich endlich die richtige innere Ruhe à la frongsähs zugelegt, die notwendig ist, die Reformen von Merkels kurzem Freund zu überleben. Stoisch das Schicksal akzeptieren, man kann ja ohnehin nichts dagegen tun, als Kuhmist vor einem gewissen Palais in Paris abzuladen oder Wetten abzuschließen, wann es in Frankreich wieder brennen wird. Wenn es diesmal brennt, werden allerdings die guten Bürger auch so einiges zu sengen haben.
Eigentlich geht es mir nicht anders als Tausenden anderen auch. Weil ich jedes Jahr einen gewissen Formularwahn erneuern muss und weil Paris die einst lokalen Behörden fürs ganze Elsass in einer hirnfreien Papierbearbeitungsfabrik in Strasbourg zusammengefasst hat, bin ich in den Mahlstrom des Administrationswahnsinns geraten. Früher, lokal, war die Sache mit zwei Blatt Papier in zwei Wochen erledigt. Strasbourg fordert ein halbes Kilo Papier, weil man nun auch noch beweisen muss, dass man auch ja man selbst ist - es kennt einen ja keiner mehr. Stromrechnungen und Aufenthaltsgenehmigung, Wohn- oder Grundsteuer, Steuerbescheid und Passkopie - l'idiot c'est moi.
Die Idioten am anderen Ende der Macht brauchen jetzt zwei Monate und schicken einem, wenn auch nur ein Wisch fehlt oder nicht maschinenlesbar ist, den ganzen Krempel zurück: nochmal einreichen! Nochmal zwei Monate. Das Ganze zwei Monate früher einzureichen, nutzt gar nichts, weil man ja den Steuerbescheid braucht. Den gibt's frühestens im August, weil auch dieses Amt länger braucht als früher. Papiere vorreichen und Steuerbescheid nachreichen geht schon gar nicht: Man überfordere nie die Denkkapazitäten der französischen Administration. Und eigentlich könnte ich gelassen im Sessel sitzen, was rege ich mich denn so auf, es geht ja nur um meine Krankenversicherung.
Praktisch, dass wenigstens die Zusatzversicherung, die alles aufzahlt von den 70%, nicht beim Staat liegt. Höchst unpraktisch, dass die meine, wie bei einem Großteil der Franzosen, von der netten Hausbank gewährleistet wird. Und auch die hat sich - um ach so vorbildlich Geld zu sparen - zentralisiert. Callcenter wahrscheinlich irgendwo in Afrika, Paris entscheidet alles. Oberste Prämisse: Geld sparen. Bürger habt Mitleid, wir Banken sidn neuerdings so arm! Also hauen sie mich aus dem Vertrag raus, weil sie für den das Formular aus Strasbourg bräuchten. Kein Problem, wenn man nicht krank wird. Sie zahlen rückwirkend, sobald das Formular da ist.
Slapstick beim Bankberater, der nach Jahren wundervoller Arbeit selbst das Heulen kriegt. Auch er hängt eine halbe Stunde in der afrikanischen Warteschleife und gerät an Menschen, die sich reihum für nicht zuständig erklären. Der Job mache keinen Spaß mehr, man könne den Menschen nicht mehr helfen, er selbst habe um ein Formular für seinen Sohn anderthalb Jahre gekämpft. Sie seien nur noch Staffage für die da oben und die seien nur noch am Geldverdienen interessiert. Obendrein muss er den Pappnasen aus Paris erst einmal eindringlich erklären, dass das Elsass Sonderregelungen in Sachen Krankenkasse habe und eigene Gesetze. Ob denn irgendeiner zu sprechen sei, der sich damit auskenne. Elsass in Paris? - Meine 30% sind weg. Vorerst. Keine Diskussion, keine Härtefallregelungen, kein Einsehen. Ohne das Formular aus Strasbourg kein Vertrag mehr. Und Strasbourg beeilt sich nicht wegen Bürgerin XY. All die anderen Bürger warten schließlich auch! Nein, meine Zusatzversicherung ist nur noch am Einkassieren interessiert.
Glück haben sie ja, dass ich nicht wegen jeder kleinen Grippe zum Arzt renne. Aber nächste Woche ist ein schön teures Gerät im Krankenhaus angesagt. Routineuntersuchung. Kann aber nicht zwei Monate warten. Die Zusatzversicherung schickt mich zum lokalen Büro der Krankenkasse. Das sind die, die man eigentlich wegrationalisiert hat und die nur noch die Formularpacken entgegennehmen und nach Strasbourg schicken. Ich solle mir keine Sorgen machen. Ich sei ja zu 70% gedeckt. - Nun ja, sage ich, 30% von viel Geld ist auch viel für mich. Die Bank habe gesagt, ich müsse das vorschießen.
Bloß nicht!, sagt die Krankenkasse. Sie haben ein Recht drauf. Ich funktioniere bereits französisch: ein Recht, aber kein Papier! - Madame schaut im Computer nach. Voilà, mein Papierkram ist in Strasbourg angekommen. Drei Tage war er von einem Amt zum anderen unterwegs, nun ist der Eingang vermeldet. Ob ich wenigstens das schriftlich haben könnte. Nein, sie seien nicht befugt, solche Bescheinigungen auszustellen. - Ob die in Strasbourg vielleicht? Nein, das sei überhaupt nicht vorgesehen. Papiere gäbe es erst, wenn alles bewilligt sei. In zwei Monaten etwa.
Mir fällt das Herz in die Hosentasche. Theoretisch verliert man in Frankreich nie seinen Krankenschutz, dafür ist das Land berühmt. Was mache ich jetzt? Muss ich etwa diesen Krankenhausspaß allein finanzieren? Meine Carte Vitale ist ja offiziell noch nicht verlängert.
Ich solle mir keine Sorgen machen. 70% seien ja ohnehin abgedeckt. Dass etwas nicht stimme, würden die im Krankenhaus schon an meiner Karte sehen. Ich solle das mit Strasbourg erzählen und dass es eben noch dauere, vielleicht sei der Brief auch schon Ende November da.
- Und dann? Ich hätte doch keinerlei Beweis in der Hand!
Ich solle mir keine Sorgen machen. Einfach das Krankenhaus bitten, die Rechnung zwei Monate später rauszuschicken.
- Die werden mich auslachen und zum Teufel schicken!
- Nein, die werden das schon verstehen, die werden das schon tun. Ich sei ja nicht die einzige, der es so ginge. Ich solle einfach mit denen reden und sie bitten...
Zum Glück ist es nur eine Routineuntersuchung, die nicht aufs Hirn schlägt. Nicht auszudenken, was ich im Koma machen dürfte. Es ist natürlich ein äußerst abenteuerliches Gefühl, sich in ein fremdes Krankenhaus in einem fremden Land zu wagen, wo man eh schon vor lauter Aufregung fremdsprachig herumstottert. Ich habe Schiss vor Kliniken. Und jetzt muss ich auch noch für unseren Sarko die Kastanien aus dem Feuer schwätzen.
Immerhin, meine Romanfigur Odile muss auch gerade ins französische Krankenhaus. Das trifft sich gut. Ich wollte schon immer mal den Wahnsinn, den ich mir in solchen Szenen ausmale, im echten Leben recherchieren. Maxim Gorki soll gesagt haben, man müsse nicht in einer Pfanne gelegen haben, um über ein Schnitzel schreiben zu können. Werter Herr Kollege, Sie haben damals nicht wissen können, dass manche Behörden dumm wie ein Schnitzel sind und ihre Bürger deshalb in die Pfanne hauen!
Ich bin dann also mal Odile. In meinem Roman brennt es in Frankreich. In meinem Roman sind nur die Vorstädte betroffen. In meinem Roman haben die braven Bürger noch nicht genügend Wut. Aber ich konnte es bei allen Behörden und bei der Bank fast körperlich fühlen - in den braven Schnitzeln kocht es gewaltig. Das geht nicht mehr lange gut.
Eigentlich geht es mir nicht anders als Tausenden anderen auch. Weil ich jedes Jahr einen gewissen Formularwahn erneuern muss und weil Paris die einst lokalen Behörden fürs ganze Elsass in einer hirnfreien Papierbearbeitungsfabrik in Strasbourg zusammengefasst hat, bin ich in den Mahlstrom des Administrationswahnsinns geraten. Früher, lokal, war die Sache mit zwei Blatt Papier in zwei Wochen erledigt. Strasbourg fordert ein halbes Kilo Papier, weil man nun auch noch beweisen muss, dass man auch ja man selbst ist - es kennt einen ja keiner mehr. Stromrechnungen und Aufenthaltsgenehmigung, Wohn- oder Grundsteuer, Steuerbescheid und Passkopie - l'idiot c'est moi.
Die Idioten am anderen Ende der Macht brauchen jetzt zwei Monate und schicken einem, wenn auch nur ein Wisch fehlt oder nicht maschinenlesbar ist, den ganzen Krempel zurück: nochmal einreichen! Nochmal zwei Monate. Das Ganze zwei Monate früher einzureichen, nutzt gar nichts, weil man ja den Steuerbescheid braucht. Den gibt's frühestens im August, weil auch dieses Amt länger braucht als früher. Papiere vorreichen und Steuerbescheid nachreichen geht schon gar nicht: Man überfordere nie die Denkkapazitäten der französischen Administration. Und eigentlich könnte ich gelassen im Sessel sitzen, was rege ich mich denn so auf, es geht ja nur um meine Krankenversicherung.
Praktisch, dass wenigstens die Zusatzversicherung, die alles aufzahlt von den 70%, nicht beim Staat liegt. Höchst unpraktisch, dass die meine, wie bei einem Großteil der Franzosen, von der netten Hausbank gewährleistet wird. Und auch die hat sich - um ach so vorbildlich Geld zu sparen - zentralisiert. Callcenter wahrscheinlich irgendwo in Afrika, Paris entscheidet alles. Oberste Prämisse: Geld sparen. Bürger habt Mitleid, wir Banken sidn neuerdings so arm! Also hauen sie mich aus dem Vertrag raus, weil sie für den das Formular aus Strasbourg bräuchten. Kein Problem, wenn man nicht krank wird. Sie zahlen rückwirkend, sobald das Formular da ist.
Slapstick beim Bankberater, der nach Jahren wundervoller Arbeit selbst das Heulen kriegt. Auch er hängt eine halbe Stunde in der afrikanischen Warteschleife und gerät an Menschen, die sich reihum für nicht zuständig erklären. Der Job mache keinen Spaß mehr, man könne den Menschen nicht mehr helfen, er selbst habe um ein Formular für seinen Sohn anderthalb Jahre gekämpft. Sie seien nur noch Staffage für die da oben und die seien nur noch am Geldverdienen interessiert. Obendrein muss er den Pappnasen aus Paris erst einmal eindringlich erklären, dass das Elsass Sonderregelungen in Sachen Krankenkasse habe und eigene Gesetze. Ob denn irgendeiner zu sprechen sei, der sich damit auskenne. Elsass in Paris? - Meine 30% sind weg. Vorerst. Keine Diskussion, keine Härtefallregelungen, kein Einsehen. Ohne das Formular aus Strasbourg kein Vertrag mehr. Und Strasbourg beeilt sich nicht wegen Bürgerin XY. All die anderen Bürger warten schließlich auch! Nein, meine Zusatzversicherung ist nur noch am Einkassieren interessiert.
Glück haben sie ja, dass ich nicht wegen jeder kleinen Grippe zum Arzt renne. Aber nächste Woche ist ein schön teures Gerät im Krankenhaus angesagt. Routineuntersuchung. Kann aber nicht zwei Monate warten. Die Zusatzversicherung schickt mich zum lokalen Büro der Krankenkasse. Das sind die, die man eigentlich wegrationalisiert hat und die nur noch die Formularpacken entgegennehmen und nach Strasbourg schicken. Ich solle mir keine Sorgen machen. Ich sei ja zu 70% gedeckt. - Nun ja, sage ich, 30% von viel Geld ist auch viel für mich. Die Bank habe gesagt, ich müsse das vorschießen.
Bloß nicht!, sagt die Krankenkasse. Sie haben ein Recht drauf. Ich funktioniere bereits französisch: ein Recht, aber kein Papier! - Madame schaut im Computer nach. Voilà, mein Papierkram ist in Strasbourg angekommen. Drei Tage war er von einem Amt zum anderen unterwegs, nun ist der Eingang vermeldet. Ob ich wenigstens das schriftlich haben könnte. Nein, sie seien nicht befugt, solche Bescheinigungen auszustellen. - Ob die in Strasbourg vielleicht? Nein, das sei überhaupt nicht vorgesehen. Papiere gäbe es erst, wenn alles bewilligt sei. In zwei Monaten etwa.
Mir fällt das Herz in die Hosentasche. Theoretisch verliert man in Frankreich nie seinen Krankenschutz, dafür ist das Land berühmt. Was mache ich jetzt? Muss ich etwa diesen Krankenhausspaß allein finanzieren? Meine Carte Vitale ist ja offiziell noch nicht verlängert.
Ich solle mir keine Sorgen machen. 70% seien ja ohnehin abgedeckt. Dass etwas nicht stimme, würden die im Krankenhaus schon an meiner Karte sehen. Ich solle das mit Strasbourg erzählen und dass es eben noch dauere, vielleicht sei der Brief auch schon Ende November da.
- Und dann? Ich hätte doch keinerlei Beweis in der Hand!
Ich solle mir keine Sorgen machen. Einfach das Krankenhaus bitten, die Rechnung zwei Monate später rauszuschicken.
- Die werden mich auslachen und zum Teufel schicken!
- Nein, die werden das schon verstehen, die werden das schon tun. Ich sei ja nicht die einzige, der es so ginge. Ich solle einfach mit denen reden und sie bitten...
Zum Glück ist es nur eine Routineuntersuchung, die nicht aufs Hirn schlägt. Nicht auszudenken, was ich im Koma machen dürfte. Es ist natürlich ein äußerst abenteuerliches Gefühl, sich in ein fremdes Krankenhaus in einem fremden Land zu wagen, wo man eh schon vor lauter Aufregung fremdsprachig herumstottert. Ich habe Schiss vor Kliniken. Und jetzt muss ich auch noch für unseren Sarko die Kastanien aus dem Feuer schwätzen.
Immerhin, meine Romanfigur Odile muss auch gerade ins französische Krankenhaus. Das trifft sich gut. Ich wollte schon immer mal den Wahnsinn, den ich mir in solchen Szenen ausmale, im echten Leben recherchieren. Maxim Gorki soll gesagt haben, man müsse nicht in einer Pfanne gelegen haben, um über ein Schnitzel schreiben zu können. Werter Herr Kollege, Sie haben damals nicht wissen können, dass manche Behörden dumm wie ein Schnitzel sind und ihre Bürger deshalb in die Pfanne hauen!
Ich bin dann also mal Odile. In meinem Roman brennt es in Frankreich. In meinem Roman sind nur die Vorstädte betroffen. In meinem Roman haben die braven Bürger noch nicht genügend Wut. Aber ich konnte es bei allen Behörden und bei der Bank fast körperlich fühlen - in den braven Schnitzeln kocht es gewaltig. Das geht nicht mehr lange gut.
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