Künste-Crossover

Es ist auf die Dauer einseitig, sich immer nur schreibend mit dem Schreiben oder Schreibenden zu beschäftigen. So geht es jedenfalls mir. Ich werde kreativ, wenn ich gefordert werde - am liebsten von Fremdem, neuen Denkwelten, sehr unterschiedlichen Menschen... und folglich liebe ich das Crossover von Künsten.

Dass man als bildlich geprägter Mensch aus der bildenden Kunst viel ins Schreiben hinübernehmen kann, ist am ehesten vorstellbar. Seit ich in Sachbüchern auch explizit mit bildender Kunst arbeite, ist diese Verknüpfung selbstverständlich. Schräger erscheint es da schon, sich bei den Musikern zu bedienen. Tatsächlich gibt es jede Menge von Arbeitsparallelen zwischen Profimusikern und Profiautoren - am runden Tisch stöhnen wir ungefähr über ähnliche Dinge und können sogar die Fußschmerzen einer Balletttänzerin nachfühlen, die harte Arbeit und eiserne Disziplin verursachen. Musiktheorie hat es aber noch mehr in sich. Wer sich einmal Gedanken machen will über Inhalt und Form und deren Verhältnis - und über die eigene Stellung zum Erzeugen von ... ja von was eigentlich! ... der findet vielleicht eine Idee in Eduard Hanslicks musiktheoretischer Abhandlung "Vom Musikalisch-Schönen". Uralt, immer noch interessant und teilweise herrlich spitz formuliert.


Heute habe ich das Crossover dann noch einmal auf die Spitze getrieben und mir einen Workshop im Theater gegönnt - die Anfangsgründe des Schauspielerns. Wirklich vermessen bis lächerlich, das in einigen Stunden absolvieren zu wollen (und es wird nicht bei diesem Workshop allein bleiben). Aber selbst die einfachsten Übungen in der Gruppe haben nicht nur überbordende Energie gegeben, sondern Inspirationen fürs Schreiben an völlig unvermuteten Stellen. Artikulationsübungen, Körperarbeit, kleine Tricks - das ist auch für Lesungen nützlich.

Viel spannender aber war die wirklich körperliche Erfahrung, dass lebendige Geschichten aus der Reibung entstehen. Dass es diese Momente sind, wo zwei Extreme aufeinander treffen und sich eben nicht harmonisieren - sondern diesen kleinen Moment (aus)halten können, wo die Extreme auf gleicher Augenhöhe sind... und schließlich umkippen können, wohin auch immer. Wie gut halten wir Autoren diese Spannung aus, dieser Verweigerung der Harmonie und Bequemlichkeit?

Oder die Erfahrung, wie schnell und leicht man sozusagen auf Knopfdruck Stimmungen und Situationen wechseln, ja sogar abrufen kann, wenn man sich nur vorher genau genug darauf konzentriert hat, was man fühlen und fühlen lassen will. Das herrliche Gefühl von Improvisation, wenn einem die Geschichte entgleitet. Nicht angestrengt Kollegen fragen, was man denn dagegen mache und ob es Rezepte gebe, den sicheren Weg nicht zu verlassen. Nein, spielen, Kind sein, Blödsinn machen, den anderen fordern, Abstruses wagen, überzeichnen, experimentieren, sich Bälle zuspielen...

Zauberhaft für die Autorenseele sind auch einfache Paarexperimente, wo man lernt, wann nur noch eine Figur spielt und sich abzappelt - oder ab wann zwei Figuren wirklich miteinander spielen, reden, reagieren. Ich habe das Gefühl, ich muss unter diesem Gesichtspunkt meinen ganzen bisherigen Text überprüfen, denn so streng wie im Theater habe ich mir selbst noch nie Dialog- oder Szenenkritik gegeben.

Mein Fazit: Öfter mal das Schreiben sein lassen tut dem Schreiben gut. Und es ist erstaunlich, durch welche Künste ohne Schreiben man das Schreiben neu zu betrachten lernt.

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